Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
so nun auch diese: der Geist der Ganzheit, in welchem jede Gestalt
ſo nun auch dieſe: der Geiſt der Ganzheit, in welchem jede Geſtalt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0043" n="369"/> ſo nun auch dieſe: der Geiſt der Ganzheit, in welchem jede Geſtalt<lb/> behandelt wird, tritt als innerer Grund mit dem äußern zuſammen,<lb/> füllt das zuerſt nur negativ Motivirte poſitiv aus und führt ſo zu dem<lb/> Ergebniß, daß die Plaſtik ihr innerſtes Weſen am vollſten und reinſten<lb/> offenbart, wenn ſie nur Eine Geſtalt hinſtellt, welche jetzt der erſcheinende<lb/> Inbegriff aller Kräfte der Gattung, nicht nur ein Ganzes, ſondern, mit<lb/> nur ſchwachem Gewichte des Mittelbegriffs einer <hi rendition="#g">Seite</hi> der Gattung, das<lb/> Ganze der Gattung iſt. Stellt ſie dennoch mehrere Figuren auf, ſo be-<lb/> wirkt, da es zudem nur wenige ſind, die genannte Schwäche der Spezi-<lb/> fizirung, daß dennoch jede die Fülle des Ganzen, daß jede der <hi rendition="#g">abſolute<lb/> Menſch</hi> bleibt. Die ſo dargeſtellte Perſönlichkeit iſt aber nicht nur das<lb/> Ganze der Menſchheit, ſondern auch das Ganze der Welt: dieß zeigt der<lb/> dritte Schritt des §. Die Bildnerkunſt gibt ihrem Werke keinen Raum,<lb/> keine umgebende Natur mit, zunächſt, weil ſie es nicht kann; aber ihr<lb/> Nichtkönnen muß auch hier ein Nichtwollen, richtiger: ein Anderswollen<lb/> ſein. Dieß Anderswollen kann keinen andern Grund haben, als zunächſt<lb/> den, daß ſie im höheren organiſch lebendigen Individuum und vor Allem<lb/> im Menſchen die ganze Natur ſieht, den Inbegriff aller Kräfte und<lb/> Formen des Daſeins, den höchſten Zuſammenſchluß alles deſſen, was in<lb/> der unorganiſchen und botaniſchen Natur in’s Unbeſtimmte ausgegoſſen<lb/> iſt. Sie iſt nicht ausgegoſſener, ſondern geſammelter, in Einem Gefäße<lb/> zuſammengehaltener Geiſt. Ihr Gebilde iſt nicht auf einen Hintergrund,<lb/> auf Umgebungen bezogen, weil es dieß Alles in ſich eingeſogen hat,<lb/> Alles dieß ſelbſt iſt. Nun erhebt ſie aber daſſelbe mit der oben nach-<lb/> gewieſenen Intenſität zum Ausdruck des Inbegriffs vollkommener<lb/> Menſchheit: vereinigt es ſo die ganze Menſchheit und die ganze Natur<lb/> in ſich, ſo iſt es nichts Anderes, als die Welt ſelbſt, perſönlich vorge-<lb/> ſtellt, die abſolute Perſon, aller Geiſt, alſo alles Subjective, und alle<lb/> Natur, alſo alles Objective in Einem. Es iſt längſt erkannt, daß keine<lb/> andere Kunſt, ſo wie dieſe, <hi rendition="#g">das Ideal ſelbſt</hi> gibt. Dieß iſt eigentlich<lb/> bereits in dem Satze von der directen Idealiſirung ausgeſprochen und<lb/> jetzt nur zum ganz erfüllten Nachweiſe gelangt. — Der Schlußſatz des<lb/> §. faßt nun einen Punct auf, der mit jenem oben erörterten Widerſpruche<lb/> zuſammenhängt, wonach es in aller Kunſt, beſonders auffallend aber in<lb/> der Bildnerkunſt, von den Gattungen der Weſen je nur Ein vollkommenes,<lb/> für alle vicarirendes Exemplar und doch zugleich die Vielen gibt. Wir<lb/> werden dieſen, im Weſen der Phantaſie und in ihrem Unterſchiede von<lb/> der Logik berechtigt liegenden Widerſpruch noch in andere Seiten verfol-<lb/> gen, namentlich was die Weglaſſung des Raums und die Beziehungslo-<lb/> ſigkeit zu einer umgebenden Natur betrifft. Der Unterſchied der hier vorlie-<lb/> genden von der oben beſprochenen Frage iſt jedoch der, daß es ſich jetzt<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [369/0043]
ſo nun auch dieſe: der Geiſt der Ganzheit, in welchem jede Geſtalt
behandelt wird, tritt als innerer Grund mit dem äußern zuſammen,
füllt das zuerſt nur negativ Motivirte poſitiv aus und führt ſo zu dem
Ergebniß, daß die Plaſtik ihr innerſtes Weſen am vollſten und reinſten
offenbart, wenn ſie nur Eine Geſtalt hinſtellt, welche jetzt der erſcheinende
Inbegriff aller Kräfte der Gattung, nicht nur ein Ganzes, ſondern, mit
nur ſchwachem Gewichte des Mittelbegriffs einer Seite der Gattung, das
Ganze der Gattung iſt. Stellt ſie dennoch mehrere Figuren auf, ſo be-
wirkt, da es zudem nur wenige ſind, die genannte Schwäche der Spezi-
fizirung, daß dennoch jede die Fülle des Ganzen, daß jede der abſolute
Menſch bleibt. Die ſo dargeſtellte Perſönlichkeit iſt aber nicht nur das
Ganze der Menſchheit, ſondern auch das Ganze der Welt: dieß zeigt der
dritte Schritt des §. Die Bildnerkunſt gibt ihrem Werke keinen Raum,
keine umgebende Natur mit, zunächſt, weil ſie es nicht kann; aber ihr
Nichtkönnen muß auch hier ein Nichtwollen, richtiger: ein Anderswollen
ſein. Dieß Anderswollen kann keinen andern Grund haben, als zunächſt
den, daß ſie im höheren organiſch lebendigen Individuum und vor Allem
im Menſchen die ganze Natur ſieht, den Inbegriff aller Kräfte und
Formen des Daſeins, den höchſten Zuſammenſchluß alles deſſen, was in
der unorganiſchen und botaniſchen Natur in’s Unbeſtimmte ausgegoſſen
iſt. Sie iſt nicht ausgegoſſener, ſondern geſammelter, in Einem Gefäße
zuſammengehaltener Geiſt. Ihr Gebilde iſt nicht auf einen Hintergrund,
auf Umgebungen bezogen, weil es dieß Alles in ſich eingeſogen hat,
Alles dieß ſelbſt iſt. Nun erhebt ſie aber daſſelbe mit der oben nach-
gewieſenen Intenſität zum Ausdruck des Inbegriffs vollkommener
Menſchheit: vereinigt es ſo die ganze Menſchheit und die ganze Natur
in ſich, ſo iſt es nichts Anderes, als die Welt ſelbſt, perſönlich vorge-
ſtellt, die abſolute Perſon, aller Geiſt, alſo alles Subjective, und alle
Natur, alſo alles Objective in Einem. Es iſt längſt erkannt, daß keine
andere Kunſt, ſo wie dieſe, das Ideal ſelbſt gibt. Dieß iſt eigentlich
bereits in dem Satze von der directen Idealiſirung ausgeſprochen und
jetzt nur zum ganz erfüllten Nachweiſe gelangt. — Der Schlußſatz des
§. faßt nun einen Punct auf, der mit jenem oben erörterten Widerſpruche
zuſammenhängt, wonach es in aller Kunſt, beſonders auffallend aber in
der Bildnerkunſt, von den Gattungen der Weſen je nur Ein vollkommenes,
für alle vicarirendes Exemplar und doch zugleich die Vielen gibt. Wir
werden dieſen, im Weſen der Phantaſie und in ihrem Unterſchiede von
der Logik berechtigt liegenden Widerſpruch noch in andere Seiten verfol-
gen, namentlich was die Weglaſſung des Raums und die Beziehungslo-
ſigkeit zu einer umgebenden Natur betrifft. Der Unterſchied der hier vorlie-
genden von der oben beſprochenen Frage iſt jedoch der, daß es ſich jetzt
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