Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.Stimmung, das Genährige, Dumpfe anziehen, den Bildhauer erfreut die Stimmung, das Genährige, Dumpfe anziehen, den Bildhauer erfreut die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <pb facs="#f0064" n="390"/> <hi rendition="#et">Stimmung, das Genährige, Dumpfe anziehen, den Bildhauer erfreut die<lb/> Form eines Widderkopfs ſchon im Zug ihrer Linien. Die Lehre vom<lb/> Naturſchönen hat überall in kurzen Zügen das Weſentliche angedeutet,<lb/> auch über den Unterſchied der plaſtiſchen und maleriſchen Seite Winke<lb/> gegeben. Nun aber kann es ſich doch auch in der bildneriſchen Auffaſſung um<lb/> die Form nur in ihrer Einheit mit der ſeeliſchen Belebung handeln; das<lb/> Thierleben iſt ein unfreies, bewußtloſes, ſeine körperliche Bildung nur<lb/> der Ausdruck dieſer dunkeln Seele, und da fragt es ſich, wie eine Kunſt,<lb/> welche kein Mittel hat, eine Lebensſtufe, die in dieſe Niedrigkeit gebannt<lb/> iſt, durch die Farbe und den Stimmungshauch umgebender Natur in<lb/> einem gewiſſen lockernden, dem geiſtigen Ausdruck nähernden Sinne zu<lb/> durcharbeiten, dennoch berechtigt und gerufen ſei, dieſelbe ganz für ſich, ja<lb/> ein einzelnes Thier als würdigen Gegenſtand zu behandeln. Geiſt in<lb/> Naturform iſt Aufgabe der bildneriſchen Darſtellung, ein in ſich ungebro-<lb/> chenes, ungetheiltes, naives Seelenleben hat ſie zur Erſcheinung zu brin-<lb/> gen. Ein ſolches iſt nun im Thiere ſozuſagen zu vollſtändig vorhanden.<lb/> Es iſt vielſeitig in Empfindungen und Trieben, es zeigt beſtimmte Ana-<lb/> loga mit dem geiſtigen und ſittlichen Leben des Menſchen, aber Alles liegt<lb/> im Schooße bewußtloſen Dunkels gebunden. Dieſer Ueberfluß von Natur<lb/> liegt jedoch für den plaſtiſchen Standpunct der richtigen äſthetiſchen Mitte<lb/> um ſo viel näher, als der Ueberfluß von Geiſt, daß ſie gerade mit Vor-<lb/> liebe bei ihm verweilen wird wie einem ſichern Hafen, der ſie vor dieſem<lb/> unruhigen Meere des einſeitig Geiſtigen, der ſinnlich ausgeſogenen, geiſtig<lb/> verblaſenen Natur ſchützt. Die richtige Mitte wird eine Menſchheit ſein,<lb/> wie wir ſie §. 350 von den Griechen ausgeſagt haben: „das Individuum<lb/> athmet Geiſtigkeit in Form edlerer Thierheit“, vergl. dazu Anm. 3. Iſt<lb/> ebendamit der Grund ausgeſprochen, warum das thieriſche Leben dem<lb/> menſchlichen, wie es die Plaſtik braucht, näher liegt, <hi rendition="#g">als ein überbil-<lb/> detes menſchliches,</hi> ſo heben ſich aus dieſer allgemeinen Nachbar-<lb/> ſchaft auch beſtimmte Bilder näherer Analogie hervor. Menſchen wie<lb/> die, von denen Göthe zu ſagen pflegte: es iſt eine Natur, erinnern häufig<lb/> an gewiſſe Thier-Typen, oder umgekehrt, in der Thierwelt treten Typen<lb/> ſo ausgeprägter Natur hervor, daß ſie wie vorbildend für menſchliche<lb/> Charaktere, als Charakter-Typen erſcheinen. Adler, Stier, Eber, Hirſch,<lb/> Widder, Roß, Löwe, Hund für das Komiſche, ſoweit die Bildnerkunſt<lb/> ſich in es einlaſſen kann, Hahn, Eule, Storch, Ziege, Elephant, Bär,<lb/> Fuchs ſind ſolche Erſcheinungen, die gerade durch die einfache Ausſchließ-<lb/> lichkeit, womit ein Analogon ſittlicher Eigenſchaft in ihnen als Naturnoth-<lb/> wendiges ſich darſtellt, ſich wie von ſelbſt anbieten, um menſchlichen Charak-<lb/> teren, ſelbſt wie ſie in die höchſte Idealität als Götter und die dieſem<lb/> zunächſt liegende der Genien und Heroen ſich erheben, etwas von ihren<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [390/0064]
Stimmung, das Genährige, Dumpfe anziehen, den Bildhauer erfreut die
Form eines Widderkopfs ſchon im Zug ihrer Linien. Die Lehre vom
Naturſchönen hat überall in kurzen Zügen das Weſentliche angedeutet,
auch über den Unterſchied der plaſtiſchen und maleriſchen Seite Winke
gegeben. Nun aber kann es ſich doch auch in der bildneriſchen Auffaſſung um
die Form nur in ihrer Einheit mit der ſeeliſchen Belebung handeln; das
Thierleben iſt ein unfreies, bewußtloſes, ſeine körperliche Bildung nur
der Ausdruck dieſer dunkeln Seele, und da fragt es ſich, wie eine Kunſt,
welche kein Mittel hat, eine Lebensſtufe, die in dieſe Niedrigkeit gebannt
iſt, durch die Farbe und den Stimmungshauch umgebender Natur in
einem gewiſſen lockernden, dem geiſtigen Ausdruck nähernden Sinne zu
durcharbeiten, dennoch berechtigt und gerufen ſei, dieſelbe ganz für ſich, ja
ein einzelnes Thier als würdigen Gegenſtand zu behandeln. Geiſt in
Naturform iſt Aufgabe der bildneriſchen Darſtellung, ein in ſich ungebro-
chenes, ungetheiltes, naives Seelenleben hat ſie zur Erſcheinung zu brin-
gen. Ein ſolches iſt nun im Thiere ſozuſagen zu vollſtändig vorhanden.
Es iſt vielſeitig in Empfindungen und Trieben, es zeigt beſtimmte Ana-
loga mit dem geiſtigen und ſittlichen Leben des Menſchen, aber Alles liegt
im Schooße bewußtloſen Dunkels gebunden. Dieſer Ueberfluß von Natur
liegt jedoch für den plaſtiſchen Standpunct der richtigen äſthetiſchen Mitte
um ſo viel näher, als der Ueberfluß von Geiſt, daß ſie gerade mit Vor-
liebe bei ihm verweilen wird wie einem ſichern Hafen, der ſie vor dieſem
unruhigen Meere des einſeitig Geiſtigen, der ſinnlich ausgeſogenen, geiſtig
verblaſenen Natur ſchützt. Die richtige Mitte wird eine Menſchheit ſein,
wie wir ſie §. 350 von den Griechen ausgeſagt haben: „das Individuum
athmet Geiſtigkeit in Form edlerer Thierheit“, vergl. dazu Anm. 3. Iſt
ebendamit der Grund ausgeſprochen, warum das thieriſche Leben dem
menſchlichen, wie es die Plaſtik braucht, näher liegt, als ein überbil-
detes menſchliches, ſo heben ſich aus dieſer allgemeinen Nachbar-
ſchaft auch beſtimmte Bilder näherer Analogie hervor. Menſchen wie
die, von denen Göthe zu ſagen pflegte: es iſt eine Natur, erinnern häufig
an gewiſſe Thier-Typen, oder umgekehrt, in der Thierwelt treten Typen
ſo ausgeprägter Natur hervor, daß ſie wie vorbildend für menſchliche
Charaktere, als Charakter-Typen erſcheinen. Adler, Stier, Eber, Hirſch,
Widder, Roß, Löwe, Hund für das Komiſche, ſoweit die Bildnerkunſt
ſich in es einlaſſen kann, Hahn, Eule, Storch, Ziege, Elephant, Bär,
Fuchs ſind ſolche Erſcheinungen, die gerade durch die einfache Ausſchließ-
lichkeit, womit ein Analogon ſittlicher Eigenſchaft in ihnen als Naturnoth-
wendiges ſich darſtellt, ſich wie von ſelbſt anbieten, um menſchlichen Charak-
teren, ſelbſt wie ſie in die höchſte Idealität als Götter und die dieſem
zunächſt liegende der Genien und Heroen ſich erheben, etwas von ihren
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