gesetzes in der Beziehung der Höhe und Breite weniger erschweren. Die Bedeutung der Ferne ist es nun aber, die uns unmittelbar auf die Farbe führt, denn sie vollendet sich ja erst durch die Luftperspective, durch Licht und Farbe überhaupt: soll sie ideal wirken, dem auf den Hintergrund verwiesenen Gegenstand das höchste Interesse leihen, so muß Beleuchtung und Ton ihn heben, wie z. B. die in der Abendsonne glühenden Berges- gipfel am äußersten Horizont. In Licht- und Farbengebung hebt sich die Zeichnung beziehungsweise auf: so hebt sich denn auch die Composition als räumliche Anordnung beziehungsweise in die Composition als Far- ben-Ordnung auf, vollendet sich erst in ihr. Wir sagen: beziehungsweise, und auch der §. stellt nichts Absolutes auf, sondern beschränkt sich auf ein "sowohl, als auch". Schleiermacher urtheilt anders; er setzt das Ganze der Malerei in die Licht- und Farbengebung, er sagt, die ganze Erfindung werde nur bestimmt durch die Darstellung der Gestalten in den Verhältnissen des Lichts (Vorles. über d. Aesth. S. 527. 528). Er setzt also Gestalten voraus; aber wenn er gerade an dieser Stelle besonders betont, was er übrigens als für alle Kunst geltend behauptet, daß es nämlich nicht auf den Gegenstand und seine Wirkung ("das Ethos") ankomme, so kann solche ausdrückliche Hervorhebung eines allgemeinen Satzes an dieser Stelle nur den Sinn haben, daß mit dem Interesse der Gegenstände auch das Interesse der Li- near-Schönheit in der malerischen Composition rein aufgehen soll. Dieß ist nicht richtig, sondern heißt der Partei der einseitigen Coloristen bei- treten, von der wir in §. 676 gesehen haben, wie sie sich durch ihr Prinzip bis zum Nihilismus, zur Romantik der gegenstandslosen Stimmung treiben läßt. Es sind mehrere Fälle möglich: in jedem derselben wird die lineare Composition relativ unselbständig, in keinem so ganz gleichgül- tig, wie es bei solcher extremen Auffassung scheint. Wir heben, indem wir diese Fälle unterscheiden, den im §. zuletzt aufgeführten hier als den ersten hervor, weil er in vollem Gegensatze zum einseitig coloristischen Standpuncte steht: es ist der, wo auf den Gegenständen, d. h. den ge- stalteten Körpern, nicht nur überhaupt noch positives Gewicht liegt, sondern auch gefordert wird, daß sie schön in der Form seien. Daß nach Maaß- gabe des Stoffes und gemäß der Berechtigung, die dem plastischen Style zukommt, dieß so sein kann, ohne daß darum im Geringsten ein patho- logisches Interesse auf den Stoff an sich fällt, bedarf gewiß keines Be- weises. Wie sehr nun auch hier das Gesetz des linearen Aufbaus durch die Geltung der Licht- und Farbenverhältnisse alterirt wird, erhellt z. B. daraus, daß selbst in einer Landschaft plastischen Styls alle bedeutenderen Körper sich in den einen oder andern Winkel der viereckigen Fläche zu einem ungefähren Dreieck zusammendrängen können, während die andere Seite relativ leer, flach bleibt; dadurch ist alle Schönheit der Architektonik,
geſetzes in der Beziehung der Höhe und Breite weniger erſchweren. Die Bedeutung der Ferne iſt es nun aber, die uns unmittelbar auf die Farbe führt, denn ſie vollendet ſich ja erſt durch die Luftperſpective, durch Licht und Farbe überhaupt: ſoll ſie ideal wirken, dem auf den Hintergrund verwieſenen Gegenſtand das höchſte Intereſſe leihen, ſo muß Beleuchtung und Ton ihn heben, wie z. B. die in der Abendſonne glühenden Berges- gipfel am äußerſten Horizont. In Licht- und Farbengebung hebt ſich die Zeichnung beziehungsweiſe auf: ſo hebt ſich denn auch die Compoſition als räumliche Anordnung beziehungsweiſe in die Compoſition als Far- ben-Ordnung auf, vollendet ſich erſt in ihr. Wir ſagen: beziehungsweiſe, und auch der §. ſtellt nichts Abſolutes auf, ſondern beſchränkt ſich auf ein „ſowohl, als auch“. Schleiermacher urtheilt anders; er ſetzt das Ganze der Malerei in die Licht- und Farbengebung, er ſagt, die ganze Erfindung werde nur beſtimmt durch die Darſtellung der Geſtalten in den Verhältniſſen des Lichts (Vorleſ. über d. Aeſth. S. 527. 528). Er ſetzt alſo Geſtalten voraus; aber wenn er gerade an dieſer Stelle beſonders betont, was er übrigens als für alle Kunſt geltend behauptet, daß es nämlich nicht auf den Gegenſtand und ſeine Wirkung („das Ethos“) ankomme, ſo kann ſolche ausdrückliche Hervorhebung eines allgemeinen Satzes an dieſer Stelle nur den Sinn haben, daß mit dem Intereſſe der Gegenſtände auch das Intereſſe der Li- near-Schönheit in der maleriſchen Compoſition rein aufgehen ſoll. Dieß iſt nicht richtig, ſondern heißt der Partei der einſeitigen Coloriſten bei- treten, von der wir in §. 676 geſehen haben, wie ſie ſich durch ihr Prinzip bis zum Nihiliſmus, zur Romantik der gegenſtandsloſen Stimmung treiben läßt. Es ſind mehrere Fälle möglich: in jedem derſelben wird die lineare Compoſition relativ unſelbſtändig, in keinem ſo ganz gleichgül- tig, wie es bei ſolcher extremen Auffaſſung ſcheint. Wir heben, indem wir dieſe Fälle unterſcheiden, den im §. zuletzt aufgeführten hier als den erſten hervor, weil er in vollem Gegenſatze zum einſeitig coloriſtiſchen Standpuncte ſteht: es iſt der, wo auf den Gegenſtänden, d. h. den ge- ſtalteten Körpern, nicht nur überhaupt noch poſitives Gewicht liegt, ſondern auch gefordert wird, daß ſie ſchön in der Form ſeien. Daß nach Maaß- gabe des Stoffes und gemäß der Berechtigung, die dem plaſtiſchen Style zukommt, dieß ſo ſein kann, ohne daß darum im Geringſten ein patho- logiſches Intereſſe auf den Stoff an ſich fällt, bedarf gewiß keines Be- weiſes. Wie ſehr nun auch hier das Geſetz des linearen Aufbaus durch die Geltung der Licht- und Farbenverhältniſſe alterirt wird, erhellt z. B. daraus, daß ſelbſt in einer Landſchaft plaſtiſchen Styls alle bedeutenderen Körper ſich in den einen oder andern Winkel der viereckigen Fläche zu einem ungefähren Dreieck zuſammendrängen können, während die andere Seite relativ leer, flach bleibt; dadurch iſt alle Schönheit der Architektonik,
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geſetzes in der Beziehung der Höhe und Breite weniger erſchweren. Die
Bedeutung der Ferne iſt es nun aber, die uns unmittelbar auf die Farbe
führt, denn ſie vollendet ſich ja erſt durch die Luftperſpective, durch Licht
und Farbe überhaupt: ſoll ſie ideal wirken, dem auf den Hintergrund
verwieſenen Gegenſtand das höchſte Intereſſe leihen, ſo muß Beleuchtung
und Ton ihn heben, wie z. B. die in der Abendſonne glühenden Berges-
gipfel am äußerſten Horizont. In Licht- und Farbengebung hebt ſich
die Zeichnung beziehungsweiſe auf: ſo hebt ſich denn auch die Compoſition
als räumliche Anordnung beziehungsweiſe in die Compoſition als Far-
ben-Ordnung auf, vollendet ſich erſt in ihr. Wir ſagen: beziehungsweiſe,
und auch der §. ſtellt nichts Abſolutes auf, ſondern beſchränkt ſich auf ein
„ſowohl, als auch“. Schleiermacher urtheilt anders; er ſetzt das Ganze der
Malerei in die Licht- und Farbengebung, er ſagt, die ganze Erfindung werde
nur beſtimmt durch die Darſtellung der Geſtalten in den Verhältniſſen des
Lichts (Vorleſ. über d. Aeſth. S. 527. 528). Er ſetzt alſo Geſtalten voraus;
aber wenn er gerade an dieſer Stelle beſonders betont, was er übrigens als
für alle Kunſt geltend behauptet, daß es nämlich nicht auf den Gegenſtand
und ſeine Wirkung („das Ethos“) ankomme, ſo kann ſolche ausdrückliche
Hervorhebung eines allgemeinen Satzes an dieſer Stelle nur den Sinn
haben, daß mit dem Intereſſe der Gegenſtände auch das Intereſſe der Li-
near-Schönheit in der maleriſchen Compoſition rein aufgehen ſoll. Dieß
iſt nicht richtig, ſondern heißt der Partei der einſeitigen Coloriſten bei-
treten, von der wir in §. 676 geſehen haben, wie ſie ſich durch ihr Prinzip
bis zum Nihiliſmus, zur Romantik der gegenſtandsloſen Stimmung
treiben läßt. Es ſind mehrere Fälle möglich: in jedem derſelben wird
die lineare Compoſition relativ unſelbſtändig, in keinem ſo ganz gleichgül-
tig, wie es bei ſolcher extremen Auffaſſung ſcheint. Wir heben, indem
wir dieſe Fälle unterſcheiden, den im §. zuletzt aufgeführten hier als den
erſten hervor, weil er in vollem Gegenſatze zum einſeitig coloriſtiſchen
Standpuncte ſteht: es iſt der, wo auf den Gegenſtänden, d. h. den ge-
ſtalteten Körpern, nicht nur überhaupt noch poſitives Gewicht liegt, ſondern
auch gefordert wird, daß ſie ſchön in der Form ſeien. Daß nach Maaß-
gabe des Stoffes und gemäß der Berechtigung, die dem plaſtiſchen Style
zukommt, dieß ſo ſein kann, ohne daß darum im Geringſten ein patho-
logiſches Intereſſe auf den Stoff an ſich fällt, bedarf gewiß keines Be-
weiſes. Wie ſehr nun auch hier das Geſetz des linearen Aufbaus durch
die Geltung der Licht- und Farbenverhältniſſe alterirt wird, erhellt z. B.
daraus, daß ſelbſt in einer Landſchaft plaſtiſchen Styls alle bedeutenderen
Körper ſich in den einen oder andern Winkel der viereckigen Fläche zu
einem ungefähren Dreieck zuſammendrängen können, während die andere
Seite relativ leer, flach bleibt; dadurch iſt alle Schönheit der Architektonik,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/119>, abgerufen am 16.02.2025.
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