Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
gemeinen Medien der höhere Werth gelegt ist, sind allgemeine Feststellungen In der Herrschaft der Linien-Verhältnisse bei der bildnerischen Com-
gemeinen Medien der höhere Werth gelegt iſt, ſind allgemeine Feſtſtellungen In der Herrſchaft der Linien-Verhältniſſe bei der bildneriſchen Com- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0118" n="610"/> gemeinen Medien der höhere Werth gelegt iſt, ſind allgemeine Feſtſtellungen<lb/> von ſolcher Beſtimmtheit, wie in der Plaſtik, nicht möglich.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">In der Herrſchaft der Linien-Verhältniſſe bei der bildneriſchen Com-<lb/> poſition haben wir einen Ausdruck ihrer innern Verwandtſchaft mit der<lb/> Baukunſt gefunden (§. 626, <hi rendition="#sub">1</hi>.). Man ſagt nun wohl auch von einem<lb/> Gemälde: es baut ſich ſchön, aber es muß ſich nicht nothwendig ſchön<lb/> bauen; wenn Anderes, was neben der Linienbildung die Harmonie des<lb/> Ganzen zu begründen hat, auf eine befriedigende Weiſe wirkt, ſo mögen<lb/> die Linien an ſich immerhin weniger ſchön, im Einzelnen ſelbſt nicht ſchön,<lb/> ja unſchön ſein, man ſagt dennoch nicht: es baut ſich nicht ſchön, weil<lb/> man von dem ſich Bauen jetzt abſieht; tritt aber dieß Andere nicht als<lb/> Erſatz ein, dann ſagt man es. Als das erſte Moment, das die Aeſthetik<lb/> der Linie beſchränkt, führt der §. die mitdargeſtellte räumliche Umgebung<lb/> auf. In Raphaels Schule von Athen treten Plato und Ariſtoteles als<lb/> die Hauptfiguren hervor; ſie ſtehen auch oben auf der Treppe, über welche<lb/> die ganze Compoſition ſich ausbreitet, aber nicht allein, ſondern umgeben von<lb/> Schülern und weiteren zur Seite aufgeſtellten Gruppen. Nach plaſtiſchem<lb/> Geſetz müßte ihre Bedeutung viel entſchiedener durch die Wirkung der Höhe<lb/> ausgedrückt ſein, ſie müßten weit beſtimmter die Spitze einer ungefähren Pyra-<lb/> mide darſtellen. Nun aber wölbt ſich über dieſer oberſten Gruppe die pracht-<lb/> volle Halle und das Auge fühlt die herrliche Wölbung wie eine Art von<lb/> räumlich dargeſtellter Erweiterung der geiſtigen Größe der zwei Haupt-<lb/> figuren. Natürlich wird dieſe Art von Zuwachs noch eine beſondere Be-<lb/> deutung durch die Beleuchtung und Farbe erhalten können, von welcher<lb/> vorerſt noch nicht die Rede iſt. Das zweite Moment iſt die Perſpective.<lb/> Wir haben geſehen, wie ſie mit ihren drei Gründen zu den Abſtufungen<lb/> und Arten der Idealität ſich verhält: in gewiſſer Weiſe idealiſirt die<lb/> Ferne, in gewiſſer die Nähe, dieſe im Sinn der kräftigen Behauptung<lb/> des in ſich geſchloſſenen Daſeins, jene im Sinn der Auflöſung in das<lb/> Unendliche. In der Sculptur wird die höhere Bedeutung einer Perſon<lb/> äußerlich in den Raumverhältniſſen durch die Höhe und durch die Stel-<lb/> lung in der Mitte, im Relief auch durch Stellung an den Enden einer<lb/> Reihe ausgedrückt; in der Malerei aber muß dieſes plaſtiſche Geſetz eben<lb/> durch die hinzugetretene Richtung in die Tiefe auf’s Mannigfaltigſte modi-<lb/> ficirt werden. Freilich iſt dieß nach Zweigen verſchieden; in der Land-<lb/> ſchaft wird in der Regel die höchſte Wirkung in der Ferne ſich ſammeln,<lb/> in der thieriſchen und menſchlichen Darſtellung wird es dabei bleiben,<lb/> was wir ſchon aufgeſtellt haben, daß die bedeutenderen Individuen den<lb/> Vordergrund oder näheren Mittelgrund einnehmen; die Ferne wird uns<lb/> alſo hier die Aufſuchung einer ungefähren Beſtimmung des Compoſitions-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [610/0118]
gemeinen Medien der höhere Werth gelegt iſt, ſind allgemeine Feſtſtellungen
von ſolcher Beſtimmtheit, wie in der Plaſtik, nicht möglich.
In der Herrſchaft der Linien-Verhältniſſe bei der bildneriſchen Com-
poſition haben wir einen Ausdruck ihrer innern Verwandtſchaft mit der
Baukunſt gefunden (§. 626, 1.). Man ſagt nun wohl auch von einem
Gemälde: es baut ſich ſchön, aber es muß ſich nicht nothwendig ſchön
bauen; wenn Anderes, was neben der Linienbildung die Harmonie des
Ganzen zu begründen hat, auf eine befriedigende Weiſe wirkt, ſo mögen
die Linien an ſich immerhin weniger ſchön, im Einzelnen ſelbſt nicht ſchön,
ja unſchön ſein, man ſagt dennoch nicht: es baut ſich nicht ſchön, weil
man von dem ſich Bauen jetzt abſieht; tritt aber dieß Andere nicht als
Erſatz ein, dann ſagt man es. Als das erſte Moment, das die Aeſthetik
der Linie beſchränkt, führt der §. die mitdargeſtellte räumliche Umgebung
auf. In Raphaels Schule von Athen treten Plato und Ariſtoteles als
die Hauptfiguren hervor; ſie ſtehen auch oben auf der Treppe, über welche
die ganze Compoſition ſich ausbreitet, aber nicht allein, ſondern umgeben von
Schülern und weiteren zur Seite aufgeſtellten Gruppen. Nach plaſtiſchem
Geſetz müßte ihre Bedeutung viel entſchiedener durch die Wirkung der Höhe
ausgedrückt ſein, ſie müßten weit beſtimmter die Spitze einer ungefähren Pyra-
mide darſtellen. Nun aber wölbt ſich über dieſer oberſten Gruppe die pracht-
volle Halle und das Auge fühlt die herrliche Wölbung wie eine Art von
räumlich dargeſtellter Erweiterung der geiſtigen Größe der zwei Haupt-
figuren. Natürlich wird dieſe Art von Zuwachs noch eine beſondere Be-
deutung durch die Beleuchtung und Farbe erhalten können, von welcher
vorerſt noch nicht die Rede iſt. Das zweite Moment iſt die Perſpective.
Wir haben geſehen, wie ſie mit ihren drei Gründen zu den Abſtufungen
und Arten der Idealität ſich verhält: in gewiſſer Weiſe idealiſirt die
Ferne, in gewiſſer die Nähe, dieſe im Sinn der kräftigen Behauptung
des in ſich geſchloſſenen Daſeins, jene im Sinn der Auflöſung in das
Unendliche. In der Sculptur wird die höhere Bedeutung einer Perſon
äußerlich in den Raumverhältniſſen durch die Höhe und durch die Stel-
lung in der Mitte, im Relief auch durch Stellung an den Enden einer
Reihe ausgedrückt; in der Malerei aber muß dieſes plaſtiſche Geſetz eben
durch die hinzugetretene Richtung in die Tiefe auf’s Mannigfaltigſte modi-
ficirt werden. Freilich iſt dieß nach Zweigen verſchieden; in der Land-
ſchaft wird in der Regel die höchſte Wirkung in der Ferne ſich ſammeln,
in der thieriſchen und menſchlichen Darſtellung wird es dabei bleiben,
was wir ſchon aufgeſtellt haben, daß die bedeutenderen Individuen den
Vordergrund oder näheren Mittelgrund einnehmen; die Ferne wird uns
alſo hier die Aufſuchung einer ungefähren Beſtimmung des Compoſitions-
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