Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
pflichtung ist und ihre Vernachläßigung sich peinlich zu fühlen gibt, das §. 690. Das Gesetz der Vertheilung fordert, daß sich die Vielheit in der ein-
pflichtung iſt und ihre Vernachläßigung ſich peinlich zu fühlen gibt, das §. 690. Das Geſetz der Vertheilung fordert, daß ſich die Vielheit in der ein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0129" n="621"/> pflichtung iſt und ihre Vernachläßigung ſich peinlich zu fühlen gibt, das<lb/> betont man dadurch, daß man einen Namen, der zwar auch der Dishar-<lb/> monie der Farbe gilt, mit beſonderem Nachdruck auf ſie anwendet. Beide<lb/> Seiten hängen aber ja innerlich auch zuſammen: die Farbe ſoll ja mit<lb/> der Bedeutung, alſo auch der Ordnung der Gegenſtände im Einklang<lb/> ſein und ſchwerlich wird, wer in der Linear-Compoſition unruhig wirkt,<lb/> in der Farbe ruhig wirken. Der Ausdruck iſt übrigens ſo treffend, daß<lb/> er verſtändlich iſt, noch ehe wir die Geſetze deutlicher zu beſtimmen ſuchen,<lb/> deren Verletzung er bezeichnet: Auge und Geiſt muß beunruhigt werden,<lb/> wenn die Gegenſtände in loſer Zerſtreuung herumtaumeln oder in allzu-<lb/> engem Knäuel ſich verwickeln, wenn man das Einzelne zu Gruppen zu-<lb/> ſammenleſen, wenn man in der Gruppe Theile, Geſtalten, Arme und<lb/> Füße auseinanderleſen muß, wenn die Linien der Haupt-Umriſſe ſich<lb/> fliehen und nicht wiederfinden, oder in chaotiſchem Wirrſal, in zerriſſenem<lb/> Zickzack zuſammenſtoßen. Die ſpeziellere Urſache ſolcher Verwirrung muß<lb/> nicht, aber kann liegen in einer Verletzung derjenigen Aufgabe, die wir<lb/> unter den Compoſitions-Geſetzen zuerſt aufgeführt haben (§. 495. 496):<lb/> der Einhaltung des Maaßes im Umfang. Der Maler iſt ſo frei in der<lb/> Vereinigung vieler Gegenſtände zu Einem Bilde, daß er im Uebermuth<lb/> leicht allzuviele hereinnimmt, müßige Figuren, allzu locker verbundene,<lb/> ſtörende Epiſoden einführt, und wie dieß den idealen Eindruck nicht zur<lb/> Einheit gelangen läßt, ſo muß es ſich auch dem Auge als ein in Linien<lb/> Unvereinigtes aufdrängen. Die Oekonomie in dieſem Sinne ſetzt ein<lb/> klares und volles Gefühl des geiſtigen Einheitspunctes der Aufgabe vor-<lb/> aus, das mit einem Gefühle räumlicher Wohlordnung im Künſtler innerlich<lb/> zuſammenfallen muß; dieß führt aber unmittelbar zur Oekonomie über-<lb/> haupt, auch abgeſehen von dem Zuwenig oder Zuviel im Maaße des<lb/> Umfangs, das völlig eingehalten ſein kann, ohne daß doch das Ganze<lb/> harmoniſch componirt iſt. Indem wir nun zu dieſer übergehen, wird ſich<lb/> zeigen, daß in der reicheren und verſchlungeneren Summe künſtleriſcher<lb/> Mittel, die ſich in der ausgebildeten Malerei darſtellt, doch die einfachen<lb/> Anhaltspuncte, die uns eine auf dem Boden mythiſcher Anſchauung ihre<lb/> Stoffe ſchlicht anordnende Kunſt an die Hand gegeben hat, nicht ſchlecht-<lb/> hin verloren ſind.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 690.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Das Geſetz der Vertheilung fordert, daß ſich die <hi rendition="#g">Vielheit</hi> in der ein-<lb/> zelnen Gruppe nicht unklar verſchlinge und ebenſo im Ganzen das mehr Ver-<lb/> einzelte und das Gruppirte deutlich auseinandertrete, damit die verſchiedenen<lb/> Formen des <hi rendition="#g">Contraſts</hi> wirken können. Im Weſentlichen wird dadurch auch<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [621/0129]
pflichtung iſt und ihre Vernachläßigung ſich peinlich zu fühlen gibt, das
betont man dadurch, daß man einen Namen, der zwar auch der Dishar-
monie der Farbe gilt, mit beſonderem Nachdruck auf ſie anwendet. Beide
Seiten hängen aber ja innerlich auch zuſammen: die Farbe ſoll ja mit
der Bedeutung, alſo auch der Ordnung der Gegenſtände im Einklang
ſein und ſchwerlich wird, wer in der Linear-Compoſition unruhig wirkt,
in der Farbe ruhig wirken. Der Ausdruck iſt übrigens ſo treffend, daß
er verſtändlich iſt, noch ehe wir die Geſetze deutlicher zu beſtimmen ſuchen,
deren Verletzung er bezeichnet: Auge und Geiſt muß beunruhigt werden,
wenn die Gegenſtände in loſer Zerſtreuung herumtaumeln oder in allzu-
engem Knäuel ſich verwickeln, wenn man das Einzelne zu Gruppen zu-
ſammenleſen, wenn man in der Gruppe Theile, Geſtalten, Arme und
Füße auseinanderleſen muß, wenn die Linien der Haupt-Umriſſe ſich
fliehen und nicht wiederfinden, oder in chaotiſchem Wirrſal, in zerriſſenem
Zickzack zuſammenſtoßen. Die ſpeziellere Urſache ſolcher Verwirrung muß
nicht, aber kann liegen in einer Verletzung derjenigen Aufgabe, die wir
unter den Compoſitions-Geſetzen zuerſt aufgeführt haben (§. 495. 496):
der Einhaltung des Maaßes im Umfang. Der Maler iſt ſo frei in der
Vereinigung vieler Gegenſtände zu Einem Bilde, daß er im Uebermuth
leicht allzuviele hereinnimmt, müßige Figuren, allzu locker verbundene,
ſtörende Epiſoden einführt, und wie dieß den idealen Eindruck nicht zur
Einheit gelangen läßt, ſo muß es ſich auch dem Auge als ein in Linien
Unvereinigtes aufdrängen. Die Oekonomie in dieſem Sinne ſetzt ein
klares und volles Gefühl des geiſtigen Einheitspunctes der Aufgabe vor-
aus, das mit einem Gefühle räumlicher Wohlordnung im Künſtler innerlich
zuſammenfallen muß; dieß führt aber unmittelbar zur Oekonomie über-
haupt, auch abgeſehen von dem Zuwenig oder Zuviel im Maaße des
Umfangs, das völlig eingehalten ſein kann, ohne daß doch das Ganze
harmoniſch componirt iſt. Indem wir nun zu dieſer übergehen, wird ſich
zeigen, daß in der reicheren und verſchlungeneren Summe künſtleriſcher
Mittel, die ſich in der ausgebildeten Malerei darſtellt, doch die einfachen
Anhaltspuncte, die uns eine auf dem Boden mythiſcher Anſchauung ihre
Stoffe ſchlicht anordnende Kunſt an die Hand gegeben hat, nicht ſchlecht-
hin verloren ſind.
§. 690.
Das Geſetz der Vertheilung fordert, daß ſich die Vielheit in der ein-
zelnen Gruppe nicht unklar verſchlinge und ebenſo im Ganzen das mehr Ver-
einzelte und das Gruppirte deutlich auseinandertrete, damit die verſchiedenen
Formen des Contraſts wirken können. Im Weſentlichen wird dadurch auch
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