Handelnde, der Siegreiche u. s. w. werde dem Leidenden gegenüber häufig auch in räumlicher Erhöhung auftreten, so war damit bereits zugleich ein Werthverhältniß ausgesprochen. Dieß ist nun aber für sich zu beleuchten. Die eigentliche Einheit ist immer der Geist des Ganzen; dieser wird sich aber in Einem Gegenstand oder in einigen positiver concentriren, als in den andern, der Begriff der Einheit bestimmt sich daher innerhalb des Einzelnen zu dem der Ueberordnung. Diese drückt sich in der Malerei keineswegs nur durch die Höhe aus; zur Seite Christi in Leonardo's Abendmahl z. B. steigen die Gruppen der Apostel zu den Seiten höher an, die Hauptperson ist räumlich nur durch einen stärkeren Zwischenraum, als der zwischen den einzelnen Gruppen, abgehoben, an sich aber durch die Stellung in der Mitte ausgezeichnet. Man sieht an diesem entschei- denden Beispiele, daß, wie im Relief, auch die Stellung in der Mitte allein die Bedeutung der Hauptfigur ausdrücken kann; selbst die Stellung an einem Ende kann, ebenfalls wie im Relief, diesen Zweck erfüllen, was man in so manchen Länge-Compositionen der Venetianer sieht. Doch ist die Symbolik der Höhe und Tiefe eine so einleuchtende, daß die Malerei als bildende Kunst nothwendig sich von ihr bestimmen lassen muß, auch wo sie die mythisch-architektonische Composition längst verlassen hat. Es ist z. B. dem Auge peinlich, daß Constantin auf Raphaels Schlachtbild eine gedrückte Figur ist und zu tief im Pferde sitzt (ein Fehler, der auch bei andern Reiterfiguren Raphaels vorkommt). In zahllosen Werken großer Meister, auch wo nicht ein äußeres Motiv, wie Hängen am Kreuz, Kreuzabnahme, die Höhen-Composition mit sich bringt, herrscht sie und befriedigt unser innerstes Gefühl. Die Emporragung stellt nicht noth- wendig einen pyramidalen Gipfel dar, die höher gestellte Gruppe ist z. B. breit in Raphaels Ananias, noch breiter in der Schule von Athen, in der Amazonenschlacht von Rubens, wo sich aber doch so klar und wohl- thuend das sausende Gewühl in die zwei Seitengruppen der wild in den Strom abstürzenden Amazonen und den Hauptkampf oben auf der Brücke disponirt. Allerdings aber ist das steilere Ansteigen zur Pyramide in den verschiedensten Variationen zu natürlich, als daß es nicht in unendlichen Werken der Malerei sich aufdrängen sollte; wir greifen aus der Fülle der Beispiele drei der edeln Compositionen von L. Robert heraus, die wir zum Theil schon flüchtig angeführt haben. Auf den Fischern von Chioggia bauen sich drei Hauptgruppen: in den zwei untern stehen sich rechts Männer, links Frauen in freier Symmetrie gegenüber; den letzteren näher ist ein Jüngling, fast noch Knabe, mit den Netzen beschäftigt, ein schöner Linien- zug führt von ihm hinauf zur mittleren höheren Gruppe, deren höchsten Punct der befehlende Alte, das vielerfahrene Familienhaupt, einem home- rischen Manne gleich, darstellt; wobei wir nachholen, wie auch in der
Handelnde, der Siegreiche u. ſ. w. werde dem Leidenden gegenüber häufig auch in räumlicher Erhöhung auftreten, ſo war damit bereits zugleich ein Werthverhältniß ausgeſprochen. Dieß iſt nun aber für ſich zu beleuchten. Die eigentliche Einheit iſt immer der Geiſt des Ganzen; dieſer wird ſich aber in Einem Gegenſtand oder in einigen poſitiver concentriren, als in den andern, der Begriff der Einheit beſtimmt ſich daher innerhalb des Einzelnen zu dem der Ueberordnung. Dieſe drückt ſich in der Malerei keineswegs nur durch die Höhe aus; zur Seite Chriſti in Leonardo’s Abendmahl z. B. ſteigen die Gruppen der Apoſtel zu den Seiten höher an, die Hauptperſon iſt räumlich nur durch einen ſtärkeren Zwiſchenraum, als der zwiſchen den einzelnen Gruppen, abgehoben, an ſich aber durch die Stellung in der Mitte ausgezeichnet. Man ſieht an dieſem entſchei- denden Beiſpiele, daß, wie im Relief, auch die Stellung in der Mitte allein die Bedeutung der Hauptfigur ausdrücken kann; ſelbſt die Stellung an einem Ende kann, ebenfalls wie im Relief, dieſen Zweck erfüllen, was man in ſo manchen Länge-Compoſitionen der Venetianer ſieht. Doch iſt die Symbolik der Höhe und Tiefe eine ſo einleuchtende, daß die Malerei als bildende Kunſt nothwendig ſich von ihr beſtimmen laſſen muß, auch wo ſie die mythiſch-architektoniſche Compoſition längſt verlaſſen hat. Es iſt z. B. dem Auge peinlich, daß Conſtantin auf Raphaels Schlachtbild eine gedrückte Figur iſt und zu tief im Pferde ſitzt (ein Fehler, der auch bei andern Reiterfiguren Raphaels vorkommt). In zahlloſen Werken großer Meiſter, auch wo nicht ein äußeres Motiv, wie Hängen am Kreuz, Kreuzabnahme, die Höhen-Compoſition mit ſich bringt, herrſcht ſie und befriedigt unſer innerſtes Gefühl. Die Emporragung ſtellt nicht noth- wendig einen pyramidalen Gipfel dar, die höher geſtellte Gruppe iſt z. B. breit in Raphaels Ananias, noch breiter in der Schule von Athen, in der Amazonenſchlacht von Rubens, wo ſich aber doch ſo klar und wohl- thuend das ſauſende Gewühl in die zwei Seitengruppen der wild in den Strom abſtürzenden Amazonen und den Hauptkampf oben auf der Brücke diſponirt. Allerdings aber iſt das ſteilere Anſteigen zur Pyramide in den verſchiedenſten Variationen zu natürlich, als daß es nicht in unendlichen Werken der Malerei ſich aufdrängen ſollte; wir greifen aus der Fülle der Beiſpiele drei der edeln Compoſitionen von L. Robert heraus, die wir zum Theil ſchon flüchtig angeführt haben. Auf den Fiſchern von Chioggia bauen ſich drei Hauptgruppen: in den zwei untern ſtehen ſich rechts Männer, links Frauen in freier Symmetrie gegenüber; den letzteren näher iſt ein Jüngling, faſt noch Knabe, mit den Netzen beſchäftigt, ein ſchöner Linien- zug führt von ihm hinauf zur mittleren höheren Gruppe, deren höchſten Punct der befehlende Alte, das vielerfahrene Familienhaupt, einem home- riſchen Manne gleich, darſtellt; wobei wir nachholen, wie auch in der
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Handelnde, der Siegreiche u. ſ. w. werde dem Leidenden gegenüber häufig
auch in räumlicher Erhöhung auftreten, ſo war damit bereits zugleich ein
Werthverhältniß ausgeſprochen. Dieß iſt nun aber für ſich zu beleuchten.
Die eigentliche Einheit iſt immer der Geiſt des Ganzen; dieſer wird ſich
aber in Einem Gegenſtand oder in einigen poſitiver concentriren, als in
den andern, der Begriff der Einheit beſtimmt ſich daher innerhalb des
Einzelnen zu dem der Ueberordnung. Dieſe drückt ſich in der Malerei
keineswegs nur durch die Höhe aus; zur Seite Chriſti in Leonardo’s
Abendmahl z. B. ſteigen die Gruppen der Apoſtel zu den Seiten höher
an, die Hauptperſon iſt räumlich nur durch einen ſtärkeren Zwiſchenraum,
als der zwiſchen den einzelnen Gruppen, abgehoben, an ſich aber durch
die Stellung in der Mitte ausgezeichnet. Man ſieht an dieſem entſchei-
denden Beiſpiele, daß, wie im Relief, auch die Stellung in der Mitte allein
die Bedeutung der Hauptfigur ausdrücken kann; ſelbſt die Stellung an
einem Ende kann, ebenfalls wie im Relief, dieſen Zweck erfüllen, was
man in ſo manchen Länge-Compoſitionen der Venetianer ſieht. Doch iſt
die Symbolik der Höhe und Tiefe eine ſo einleuchtende, daß die Malerei
als bildende Kunſt nothwendig ſich von ihr beſtimmen laſſen muß, auch
wo ſie die mythiſch-architektoniſche Compoſition längſt verlaſſen hat. Es
iſt z. B. dem Auge peinlich, daß Conſtantin auf Raphaels Schlachtbild
eine gedrückte Figur iſt und zu tief im Pferde ſitzt (ein Fehler, der auch
bei andern Reiterfiguren Raphaels vorkommt). In zahlloſen Werken
großer Meiſter, auch wo nicht ein äußeres Motiv, wie Hängen am Kreuz,
Kreuzabnahme, die Höhen-Compoſition mit ſich bringt, herrſcht ſie und
befriedigt unſer innerſtes Gefühl. Die Emporragung ſtellt nicht noth-
wendig einen pyramidalen Gipfel dar, die höher geſtellte Gruppe iſt z. B.
breit in Raphaels Ananias, noch breiter in der Schule von Athen, in
der Amazonenſchlacht von Rubens, wo ſich aber doch ſo klar und wohl-
thuend das ſauſende Gewühl in die zwei Seitengruppen der wild in den
Strom abſtürzenden Amazonen und den Hauptkampf oben auf der Brücke
diſponirt. Allerdings aber iſt das ſteilere Anſteigen zur Pyramide in den
verſchiedenſten Variationen zu natürlich, als daß es nicht in unendlichen
Werken der Malerei ſich aufdrängen ſollte; wir greifen aus der Fülle der
Beiſpiele drei der edeln Compoſitionen von L. Robert heraus, die wir zum
Theil ſchon flüchtig angeführt haben. Auf den Fiſchern von Chioggia bauen
ſich drei Hauptgruppen: in den zwei untern ſtehen ſich rechts Männer,
links Frauen in freier Symmetrie gegenüber; den letzteren näher iſt ein
Jüngling, faſt noch Knabe, mit den Netzen beſchäftigt, ein ſchöner Linien-
zug führt von ihm hinauf zur mittleren höheren Gruppe, deren höchſten
Punct der befehlende Alte, das vielerfahrene Familienhaupt, einem home-
riſchen Manne gleich, darſtellt; wobei wir nachholen, wie auch in der
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/136>, abgerufen am 16.02.2025.
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