Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
plätze, Loggien, Arkaden in den Städten, wie schon die antiken Stoen 2. Die große Wichtigkeit, welche die unmittelbarste Form des An- Vischer's Aesthetik. 3. Band. 42
plätze, Loggien, Arkaden in den Städten, wie ſchon die antiken Stoen 2. Die große Wichtigkeit, welche die unmittelbarſte Form des An- Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 42
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0141" n="633"/> plätze, Loggien, Arkaden in den Städten, wie ſchon die antiken Stoen<lb/> und Leſchen, Baptiſterien, Kapellen, Kirchen des romaniſchen, in beſchränk-<lb/> terem Umfange des gothiſchen Styls, politiſche, Kunſt-Gebäude, Privat-<lb/> paläſte und Villen öffnen ſich dieſer großen cykliſchen Entfaltung einer<lb/> Kunſt, die noch ungleich leichter und raſcher ſich an die architektoniſche<lb/> Fläche ſchmiegt, als die Plaſtik. Die Decke des Innern, wie dieß na-<lb/> mentlich in den Kuppel-Malereien geſchah, zu benützen iſt und bleibt wegen<lb/> der mechaniſchen Schwierigkeit der Anſchauung nicht räthlich. Wenigſtens<lb/> wird es paſſend ſein, hier nur Kleineres, leicht Ueberſichtliches anzu-<lb/> bringen. Dieſe Rückſicht äußerer Zweckdienlichkeit trifft auf das Natür-<lb/> lichſte mit der inneren Genialität der Erfindung und Anordnung zuſammen<lb/> in Raphaels Stanzen: an den Wänden die Darſtellung der Idee in<lb/> großen hiſtoriſchen Bildern, in wahrer und wirklicher Verkörperung, an<lb/> der Decke in allegoriſcher Andeutung und daneben noch in typiſchen Sce-<lb/> nen, wie die Theologie im Sündenfall, das Recht im Urtheil Salomon’s<lb/> verſinnlicht; die Deckenbilder ſind kleine, leicht faßliche Deviſen, in die<lb/> Gewölbefelder paſſend vertheilt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Die große Wichtigkeit, welche die unmittelbarſte Form des An-<lb/> ſchluſſes an die Architektur, die Freske, für Hebung und Tragung des<lb/> Lebens der Malerei überhaupt hat, ergibt ſich von ſelbſt und iſt ſchon<lb/> durch die Andeutungen des §. 660 ausgeſprochen. Die Fresko-Malerei<lb/> iſt der natürliche feſte Punct, um den ſich das Leben dieſer Kunſt bewegt;<lb/> ihr Aufſchwung bringt Großartigkeit, Kühnheit, Fülle der Erfindung in die<lb/> andern Zweige; die techniſche Nothwendigkeit, in dieſer Kunſtweiſe nur<lb/> die weſentlichen, gewaltigen Grundzüge des Inhalts und der Formen zu<lb/> geben, wird der Hebel, wodurch der monumentale Styl erſteht, ohne deſſen<lb/> ſtarke Stütze auch die Tafelmalerei Halt und Kraft entbehrt. Allein die<lb/> Sache hat auch ihre Schattenſeite: Es iſt klar, daß die Freske mit der<lb/> plaſtiſchen Stylrichtung zuſammenfällt: die Farbe tritt zurück, das Gewicht<lb/> fällt auf die Zeichnung und den Linienbau der Compoſition, hiemit auf<lb/> den Begriff, die Erfindung und auf das Prinzip des directen Idealiſmus.<lb/> Damit ſind die Verirrungen und Einſeitigkeiten des plaſtiſchen Styls nahe<lb/> gelegt. Es bildet ſich leicht jene Gedankenkunſt aus, welche zu viel Werth<lb/> auf das Ausſinnen des Cyklus legt. Man hüte ſich, jene beziehungs-<lb/> reichen Anordnungen einer Vielheit von Bildern gar zu hoch anzuſchlagen;<lb/> am Ende könnte jeder begabtere Kopf ohne allen beſondern Künſtlerberuf<lb/> aus einer gegebenen Idee ſolche Combinationen entwickeln. Das einzelne<lb/> Bild in ſeiner rein äſthetiſchen Compoſition und in der vollendeten Durch-<lb/> führung des Scheins der Dinge zeigt qualitativ mehr den Künſtler, als<lb/> das Auffinden eines Fadens, der eine Vielheit von Bildern zuſammen-<lb/> hält. Man widerſtehe der Verſuchung, die Mängel der künſtleriſchen</hi><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Viſcher’s</hi> Aeſthetik. 3. Band. 42</fw><lb/> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [633/0141]
plätze, Loggien, Arkaden in den Städten, wie ſchon die antiken Stoen
und Leſchen, Baptiſterien, Kapellen, Kirchen des romaniſchen, in beſchränk-
terem Umfange des gothiſchen Styls, politiſche, Kunſt-Gebäude, Privat-
paläſte und Villen öffnen ſich dieſer großen cykliſchen Entfaltung einer
Kunſt, die noch ungleich leichter und raſcher ſich an die architektoniſche
Fläche ſchmiegt, als die Plaſtik. Die Decke des Innern, wie dieß na-
mentlich in den Kuppel-Malereien geſchah, zu benützen iſt und bleibt wegen
der mechaniſchen Schwierigkeit der Anſchauung nicht räthlich. Wenigſtens
wird es paſſend ſein, hier nur Kleineres, leicht Ueberſichtliches anzu-
bringen. Dieſe Rückſicht äußerer Zweckdienlichkeit trifft auf das Natür-
lichſte mit der inneren Genialität der Erfindung und Anordnung zuſammen
in Raphaels Stanzen: an den Wänden die Darſtellung der Idee in
großen hiſtoriſchen Bildern, in wahrer und wirklicher Verkörperung, an
der Decke in allegoriſcher Andeutung und daneben noch in typiſchen Sce-
nen, wie die Theologie im Sündenfall, das Recht im Urtheil Salomon’s
verſinnlicht; die Deckenbilder ſind kleine, leicht faßliche Deviſen, in die
Gewölbefelder paſſend vertheilt.
2. Die große Wichtigkeit, welche die unmittelbarſte Form des An-
ſchluſſes an die Architektur, die Freske, für Hebung und Tragung des
Lebens der Malerei überhaupt hat, ergibt ſich von ſelbſt und iſt ſchon
durch die Andeutungen des §. 660 ausgeſprochen. Die Fresko-Malerei
iſt der natürliche feſte Punct, um den ſich das Leben dieſer Kunſt bewegt;
ihr Aufſchwung bringt Großartigkeit, Kühnheit, Fülle der Erfindung in die
andern Zweige; die techniſche Nothwendigkeit, in dieſer Kunſtweiſe nur
die weſentlichen, gewaltigen Grundzüge des Inhalts und der Formen zu
geben, wird der Hebel, wodurch der monumentale Styl erſteht, ohne deſſen
ſtarke Stütze auch die Tafelmalerei Halt und Kraft entbehrt. Allein die
Sache hat auch ihre Schattenſeite: Es iſt klar, daß die Freske mit der
plaſtiſchen Stylrichtung zuſammenfällt: die Farbe tritt zurück, das Gewicht
fällt auf die Zeichnung und den Linienbau der Compoſition, hiemit auf
den Begriff, die Erfindung und auf das Prinzip des directen Idealiſmus.
Damit ſind die Verirrungen und Einſeitigkeiten des plaſtiſchen Styls nahe
gelegt. Es bildet ſich leicht jene Gedankenkunſt aus, welche zu viel Werth
auf das Ausſinnen des Cyklus legt. Man hüte ſich, jene beziehungs-
reichen Anordnungen einer Vielheit von Bildern gar zu hoch anzuſchlagen;
am Ende könnte jeder begabtere Kopf ohne allen beſondern Künſtlerberuf
aus einer gegebenen Idee ſolche Combinationen entwickeln. Das einzelne
Bild in ſeiner rein äſthetiſchen Compoſition und in der vollendeten Durch-
führung des Scheins der Dinge zeigt qualitativ mehr den Künſtler, als
das Auffinden eines Fadens, der eine Vielheit von Bildern zuſammen-
hält. Man widerſtehe der Verſuchung, die Mängel der künſtleriſchen
Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 42
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