Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.auch ein großer Theil der ganzen künstlerischen Kraft einer Zeit aus einem auch ein großer Theil der ganzen künſtleriſchen Kraft einer Zeit aus einem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <pb facs="#f0144" n="636"/> <hi rendition="#et">auch ein großer Theil der ganzen künſtleriſchen Kraft einer Zeit aus einem<lb/> Ueberſchuß des Subjectiven in der Phantaſie, einem poetiſchen Bildungs-<lb/> triebe, der in der eigentlichen Dichtung kein Bett zu finden vermag und<lb/> ſich mit wuchernder Gedankenfülle auf die bildende Kunſt wirft, mit Vor-<lb/> liebe in ihm bewegen, wie dieß im Anfange des ſechzehnten Jahrhunderts<lb/> in Deutſchland der Fall war. Wenn an ſich die Skizze in innerem Zu-<lb/> ſammenhang mit dem plaſtiſchen Style ſteht, wie er bald mehr den Fluß<lb/> der rein ſchönen Linie, bald die Schwellung der kräftigen und überkräfti-<lb/> gen Form liebt, ſo kann ſich doch auch die ächt maleriſche Richtung auf<lb/> die Herrſchaft des Conturs iſoliren, der dann freilich einen ganz andern<lb/> Charakter tragen wird. In und zu §. 676 iſt dieſer Charakter ſchon<lb/> angedeutet; im geſchichtlichen Theile wird er ſich in volleres Licht ſtellen,<lb/> wie innerhalb des rein maleriſchen Styls noch einmal der Gegenſatz des<lb/> herrſchenden Umriſſes und der ganzen Entwicklung der Farbe auftritt;<lb/> hier iſt nur ſo viel zu ſagen, daß die erſtere Richtung von der verwandten<lb/> Totalrichtung des plaſtiſchen Styls ſich durch harten Individualiſmus und<lb/> Naturaliſmus unterſcheiden wird, was ſich mit dem poetiſirenden Geiſte,<lb/> in welchem die Pflege der Skizze ihren Grund hat, ſo verbindet, daß<lb/> der üppige Bildungstrieb gerne bis zur Ueberladung und Ueberſchnörk-<lb/> lung des Charakteriſtiſchen fortgehen wird; daher hier auch die Caricatur<lb/> nahe liegt. Wir weiſen übrigens der Erläuterung wegen ſchon hier auf<lb/> die Holzſchnitte und Kupferſtiche der großen deutſchen Meiſter des ſech-<lb/> zehnten Jahrhunderts, eines Albrecht Dürer, eines Hans Holbein (des<lb/> Jüngſten) hin: hier benützt die cykliſche Skizze ihre freie Bewegung ohne<lb/> Farbe zu der äußerſten Verſchärfung aller treffenden Phyſiognomik, aber<lb/> auch aller derben Naturwahrheit, eckigen Härte, aller Neigung zu abſon-<lb/> derlichem Linienſpiel, die dem deutſchen Styl eigen war.</hi> </p> </div> </div> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [636/0144]
auch ein großer Theil der ganzen künſtleriſchen Kraft einer Zeit aus einem
Ueberſchuß des Subjectiven in der Phantaſie, einem poetiſchen Bildungs-
triebe, der in der eigentlichen Dichtung kein Bett zu finden vermag und
ſich mit wuchernder Gedankenfülle auf die bildende Kunſt wirft, mit Vor-
liebe in ihm bewegen, wie dieß im Anfange des ſechzehnten Jahrhunderts
in Deutſchland der Fall war. Wenn an ſich die Skizze in innerem Zu-
ſammenhang mit dem plaſtiſchen Style ſteht, wie er bald mehr den Fluß
der rein ſchönen Linie, bald die Schwellung der kräftigen und überkräfti-
gen Form liebt, ſo kann ſich doch auch die ächt maleriſche Richtung auf
die Herrſchaft des Conturs iſoliren, der dann freilich einen ganz andern
Charakter tragen wird. In und zu §. 676 iſt dieſer Charakter ſchon
angedeutet; im geſchichtlichen Theile wird er ſich in volleres Licht ſtellen,
wie innerhalb des rein maleriſchen Styls noch einmal der Gegenſatz des
herrſchenden Umriſſes und der ganzen Entwicklung der Farbe auftritt;
hier iſt nur ſo viel zu ſagen, daß die erſtere Richtung von der verwandten
Totalrichtung des plaſtiſchen Styls ſich durch harten Individualiſmus und
Naturaliſmus unterſcheiden wird, was ſich mit dem poetiſirenden Geiſte,
in welchem die Pflege der Skizze ihren Grund hat, ſo verbindet, daß
der üppige Bildungstrieb gerne bis zur Ueberladung und Ueberſchnörk-
lung des Charakteriſtiſchen fortgehen wird; daher hier auch die Caricatur
nahe liegt. Wir weiſen übrigens der Erläuterung wegen ſchon hier auf
die Holzſchnitte und Kupferſtiche der großen deutſchen Meiſter des ſech-
zehnten Jahrhunderts, eines Albrecht Dürer, eines Hans Holbein (des
Jüngſten) hin: hier benützt die cykliſche Skizze ihre freie Bewegung ohne
Farbe zu der äußerſten Verſchärfung aller treffenden Phyſiognomik, aber
auch aller derben Naturwahrheit, eckigen Härte, aller Neigung zu abſon-
derlichem Linienſpiel, die dem deutſchen Styl eigen war.
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