bilds vor uns, und wie dieses an die Novelle erinnert, so mag der Thier- maler gern in sinnig motivirten Scenen der Thierwelt eine Art von Thier- novelle anklingen lassen; durch gespannteren Zustand, wie in Hondekoe- ters Hühnerhof oder in jenen furchtbaren Jagdbildern eines Rubens und Snyders, wo die Entscheidung, ob Löwe, Tiger, Wildschwein, Bär oder Hund und Mensch gewinnt, auf der Spitze und das bluttriefende Thier wie ein bedrängter Heros dasteht, steigert sich das Novellistische in das Dramatische. Dagegen ist das einfache Sein und sich Gehaben, Saufen, Fressen, Wandern, hingestreckt Ruhen immer mehr episch im allgemeinen Sinne, Gemüthszustände, wie zärtliches Lecken der Jungen oder Aufblicken zum Herrn und dergl. mehr lyrisch, und so sehen wir auch diese Form des Unterschieds, die sich auf die Mischungen der bildenden Phantasie mit der empfindenden und dichtenden gründet, in Wirkung.
Es ist nun auch klar, wie zu reicher Entfaltung des einfach Schönen, des Furchtbaren in Form, Leidenschaft und Bewegung, das Komische hinzutritt, denn dieses beginnt (vergl. §. 158, 4.) mit dem Thiere. Das Spielen so mancher Thiere, die Kraftanstrengung bei kleinen Verhältnissen, die drolligen Bewegungen, Kämpfe, tragikomischen Schicksale, die Charakter- typen, die als natürliche Caricatur menschlicher Eigenschaften erscheinen, das volle Zerrbild des Menschen im Affen: da ist komische Novelle und Lustspiel aufgethan. Die Poesie gibt reichen Anhalt in der Thiersage und ein Kaulbach hat diese Quelle mit tiefem Beobachtungsgeist und Hu- mor benützt. Dieß führt jedoch schon in phantastische Formenmischung und somit in das Gebiet der eigentlichen Caricatur hinüber.
2. Keine Kunst liefert der andern in dem Sinne Stoff, wie die Bau- kunst der Malerei, dieß ist in dem angeführten §. schon gezeigt. In der Architektur-Malerei, zunächst derjenigen, welche die Außenseiten be- handelt, wird ein Menschenwerk wie ein Naturwerk, wie der Theil einer Landschaft aufgefaßt; doch bleibt es Menschenwerk und die geschichtliche Physiognomie, die es haben soll, erzählt uns von Sitten und Schicksalen der Erbauer und Bewohner, es kündigt die Menschennähe an wie ein getragenes Kleid. Die Architektur-Malerei mag dem Stoffe nach öffent- liche oder Privatgebäude, dem Zustande nach Trümmer oder erhaltene (nur nicht nagelneue vergl. §. 677), dem Umfange nach einzelne oder viele Bauwerke bis zu reichen Straßenprospecten darstellen und verändert, verengt oder erweitert danach Geist und Stimmung des Ganzen. Die Dar- stellungen des Innern der Architektur (die sog. Interieurs) treten natürlich dem Menschlichen näher, aber auch hier wird das Bauwerk eigentlich unter dem Standpuncte des Landschaftlichen behandelt: die Linear- und Luft- perspective, die Dämmerung des Helldunkels, worin Kerzen- oder Fackel- Licht oder eindringendes Naturlicht an den Massen und Wölbungen hin-
bilds vor uns, und wie dieſes an die Novelle erinnert, ſo mag der Thier- maler gern in ſinnig motivirten Scenen der Thierwelt eine Art von Thier- novelle anklingen laſſen; durch geſpannteren Zuſtand, wie in Hondekoe- ters Hühnerhof oder in jenen furchtbaren Jagdbildern eines Rubens und Snyders, wo die Entſcheidung, ob Löwe, Tiger, Wildſchwein, Bär oder Hund und Menſch gewinnt, auf der Spitze und das bluttriefende Thier wie ein bedrängter Heros daſteht, ſteigert ſich das Novelliſtiſche in das Dramatiſche. Dagegen iſt das einfache Sein und ſich Gehaben, Saufen, Freſſen, Wandern, hingeſtreckt Ruhen immer mehr epiſch im allgemeinen Sinne, Gemüthszuſtände, wie zärtliches Lecken der Jungen oder Aufblicken zum Herrn und dergl. mehr lyriſch, und ſo ſehen wir auch dieſe Form des Unterſchieds, die ſich auf die Miſchungen der bildenden Phantaſie mit der empfindenden und dichtenden gründet, in Wirkung.
Es iſt nun auch klar, wie zu reicher Entfaltung des einfach Schönen, des Furchtbaren in Form, Leidenſchaft und Bewegung, das Komiſche hinzutritt, denn dieſes beginnt (vergl. §. 158, 4.) mit dem Thiere. Das Spielen ſo mancher Thiere, die Kraftanſtrengung bei kleinen Verhältniſſen, die drolligen Bewegungen, Kämpfe, tragikomiſchen Schickſale, die Charakter- typen, die als natürliche Caricatur menſchlicher Eigenſchaften erſcheinen, das volle Zerrbild des Menſchen im Affen: da iſt komiſche Novelle und Luſtſpiel aufgethan. Die Poeſie gibt reichen Anhalt in der Thierſage und ein Kaulbach hat dieſe Quelle mit tiefem Beobachtungsgeiſt und Hu- mor benützt. Dieß führt jedoch ſchon in phantaſtiſche Formenmiſchung und ſomit in das Gebiet der eigentlichen Caricatur hinüber.
2. Keine Kunſt liefert der andern in dem Sinne Stoff, wie die Bau- kunſt der Malerei, dieß iſt in dem angeführten §. ſchon gezeigt. In der Architektur-Malerei, zunächſt derjenigen, welche die Außenſeiten be- handelt, wird ein Menſchenwerk wie ein Naturwerk, wie der Theil einer Landſchaft aufgefaßt; doch bleibt es Menſchenwerk und die geſchichtliche Phyſiognomie, die es haben ſoll, erzählt uns von Sitten und Schickſalen der Erbauer und Bewohner, es kündigt die Menſchennähe an wie ein getragenes Kleid. Die Architektur-Malerei mag dem Stoffe nach öffent- liche oder Privatgebäude, dem Zuſtande nach Trümmer oder erhaltene (nur nicht nagelneue vergl. §. 677), dem Umfange nach einzelne oder viele Bauwerke bis zu reichen Straßenproſpecten darſtellen und verändert, verengt oder erweitert danach Geiſt und Stimmung des Ganzen. Die Dar- ſtellungen des Innern der Architektur (die ſog. Interieurs) treten natürlich dem Menſchlichen näher, aber auch hier wird das Bauwerk eigentlich unter dem Standpuncte des Landſchaftlichen behandelt: die Linear- und Luft- perſpective, die Dämmerung des Helldunkels, worin Kerzen- oder Fackel- Licht oder eindringendes Naturlicht an den Maſſen und Wölbungen hin-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0168"n="660"/>
bilds vor uns, und wie dieſes an die Novelle erinnert, ſo mag der Thier-<lb/>
maler gern in ſinnig motivirten Scenen der Thierwelt eine Art von Thier-<lb/>
novelle anklingen laſſen; durch geſpannteren Zuſtand, wie in Hondekoe-<lb/>
ters Hühnerhof oder in jenen furchtbaren Jagdbildern eines Rubens und<lb/>
Snyders, wo die Entſcheidung, ob Löwe, Tiger, Wildſchwein, Bär oder<lb/>
Hund und Menſch gewinnt, auf der Spitze und das bluttriefende Thier<lb/>
wie ein bedrängter Heros daſteht, ſteigert ſich das Novelliſtiſche in das<lb/>
Dramatiſche. Dagegen iſt das einfache Sein und ſich Gehaben, Saufen,<lb/>
Freſſen, Wandern, hingeſtreckt Ruhen immer mehr epiſch im allgemeinen<lb/>
Sinne, Gemüthszuſtände, wie zärtliches Lecken der Jungen oder Aufblicken<lb/>
zum Herrn und dergl. mehr lyriſch, und ſo ſehen wir auch dieſe Form<lb/>
des Unterſchieds, die ſich auf die Miſchungen der bildenden Phantaſie mit<lb/>
der empfindenden und dichtenden gründet, in Wirkung.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Es iſt nun auch klar, wie zu reicher Entfaltung des einfach Schönen, des<lb/>
Furchtbaren in Form, Leidenſchaft und Bewegung, das Komiſche hinzutritt,<lb/>
denn dieſes beginnt (vergl. §. 158, <hirendition="#sub">4.</hi>) mit dem Thiere. Das Spielen<lb/>ſo mancher Thiere, die Kraftanſtrengung bei kleinen Verhältniſſen, die<lb/>
drolligen Bewegungen, Kämpfe, tragikomiſchen Schickſale, die Charakter-<lb/>
typen, die als natürliche Caricatur menſchlicher Eigenſchaften erſcheinen,<lb/>
das volle Zerrbild des Menſchen im Affen: da iſt komiſche Novelle und<lb/>
Luſtſpiel aufgethan. Die Poeſie gibt reichen Anhalt in der Thierſage<lb/>
und ein Kaulbach hat dieſe Quelle mit tiefem Beobachtungsgeiſt und Hu-<lb/>
mor benützt. Dieß führt jedoch ſchon in phantaſtiſche Formenmiſchung<lb/>
und ſomit in das Gebiet der eigentlichen Caricatur hinüber.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2. Keine Kunſt liefert der andern in dem Sinne Stoff, wie die Bau-<lb/>
kunſt der Malerei, dieß iſt in dem angeführten §. ſchon gezeigt. In der<lb/><hirendition="#g">Architektur-Malerei</hi>, zunächſt derjenigen, welche die Außenſeiten be-<lb/>
handelt, wird ein Menſchenwerk wie ein Naturwerk, wie der Theil einer<lb/>
Landſchaft aufgefaßt; doch bleibt es Menſchenwerk und die geſchichtliche<lb/>
Phyſiognomie, die es haben ſoll, erzählt uns von Sitten und Schickſalen<lb/>
der Erbauer und Bewohner, es kündigt die Menſchennähe an wie ein<lb/>
getragenes Kleid. Die Architektur-Malerei mag dem Stoffe nach öffent-<lb/>
liche oder Privatgebäude, dem Zuſtande nach Trümmer oder erhaltene<lb/>
(nur nicht nagelneue vergl. §. 677), dem Umfange nach einzelne oder<lb/>
viele Bauwerke bis zu reichen Straßenproſpecten darſtellen und verändert,<lb/>
verengt oder erweitert danach Geiſt und Stimmung des Ganzen. Die Dar-<lb/>ſtellungen des Innern der Architektur (die ſog. Interieurs) treten natürlich<lb/>
dem Menſchlichen näher, aber auch hier wird das Bauwerk eigentlich unter<lb/>
dem Standpuncte des Landſchaftlichen behandelt: die Linear- und Luft-<lb/>
perſpective, die Dämmerung des Helldunkels, worin Kerzen- oder Fackel-<lb/>
Licht oder eindringendes Naturlicht an den Maſſen und Wölbungen hin-<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[660/0168]
bilds vor uns, und wie dieſes an die Novelle erinnert, ſo mag der Thier-
maler gern in ſinnig motivirten Scenen der Thierwelt eine Art von Thier-
novelle anklingen laſſen; durch geſpannteren Zuſtand, wie in Hondekoe-
ters Hühnerhof oder in jenen furchtbaren Jagdbildern eines Rubens und
Snyders, wo die Entſcheidung, ob Löwe, Tiger, Wildſchwein, Bär oder
Hund und Menſch gewinnt, auf der Spitze und das bluttriefende Thier
wie ein bedrängter Heros daſteht, ſteigert ſich das Novelliſtiſche in das
Dramatiſche. Dagegen iſt das einfache Sein und ſich Gehaben, Saufen,
Freſſen, Wandern, hingeſtreckt Ruhen immer mehr epiſch im allgemeinen
Sinne, Gemüthszuſtände, wie zärtliches Lecken der Jungen oder Aufblicken
zum Herrn und dergl. mehr lyriſch, und ſo ſehen wir auch dieſe Form
des Unterſchieds, die ſich auf die Miſchungen der bildenden Phantaſie mit
der empfindenden und dichtenden gründet, in Wirkung.
Es iſt nun auch klar, wie zu reicher Entfaltung des einfach Schönen, des
Furchtbaren in Form, Leidenſchaft und Bewegung, das Komiſche hinzutritt,
denn dieſes beginnt (vergl. §. 158, 4.) mit dem Thiere. Das Spielen
ſo mancher Thiere, die Kraftanſtrengung bei kleinen Verhältniſſen, die
drolligen Bewegungen, Kämpfe, tragikomiſchen Schickſale, die Charakter-
typen, die als natürliche Caricatur menſchlicher Eigenſchaften erſcheinen,
das volle Zerrbild des Menſchen im Affen: da iſt komiſche Novelle und
Luſtſpiel aufgethan. Die Poeſie gibt reichen Anhalt in der Thierſage
und ein Kaulbach hat dieſe Quelle mit tiefem Beobachtungsgeiſt und Hu-
mor benützt. Dieß führt jedoch ſchon in phantaſtiſche Formenmiſchung
und ſomit in das Gebiet der eigentlichen Caricatur hinüber.
2. Keine Kunſt liefert der andern in dem Sinne Stoff, wie die Bau-
kunſt der Malerei, dieß iſt in dem angeführten §. ſchon gezeigt. In der
Architektur-Malerei, zunächſt derjenigen, welche die Außenſeiten be-
handelt, wird ein Menſchenwerk wie ein Naturwerk, wie der Theil einer
Landſchaft aufgefaßt; doch bleibt es Menſchenwerk und die geſchichtliche
Phyſiognomie, die es haben ſoll, erzählt uns von Sitten und Schickſalen
der Erbauer und Bewohner, es kündigt die Menſchennähe an wie ein
getragenes Kleid. Die Architektur-Malerei mag dem Stoffe nach öffent-
liche oder Privatgebäude, dem Zuſtande nach Trümmer oder erhaltene
(nur nicht nagelneue vergl. §. 677), dem Umfange nach einzelne oder
viele Bauwerke bis zu reichen Straßenproſpecten darſtellen und verändert,
verengt oder erweitert danach Geiſt und Stimmung des Ganzen. Die Dar-
ſtellungen des Innern der Architektur (die ſog. Interieurs) treten natürlich
dem Menſchlichen näher, aber auch hier wird das Bauwerk eigentlich unter
dem Standpuncte des Landſchaftlichen behandelt: die Linear- und Luft-
perſpective, die Dämmerung des Helldunkels, worin Kerzen- oder Fackel-
Licht oder eindringendes Naturlicht an den Maſſen und Wölbungen hin-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 660. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/168>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.