Handeln, das Menschenloos an schrecklichem Leiden großer Menschen- Massen dargestellt: dieß ist episches, sittenbildliches Geschichtsbild. Die zwei genannten Formen sind im Gebrauche geläufiger Unterscheidung; das Schlachtbild gehört aber hieher nur, wenn nicht im Mittelpuncte der Heros mit solchem Ausdruck hervortritt, daß die Idee, die innere Bedeu- tung, der nationale, politische Conflict, welcher die Seele des ganzen Kampfes ist, in entscheidender Weise aus dem instinctmäßigeren, dem in- nern Conflict fremderen Erweisen der Tapferkeit in den Massen sichtbar herausleuchtet. Die neuere Kriegsführung, worin die nationalen, politi- tischen Urheber entweder gar nicht, oder wenn sie, wie z. B Napoleon, zugleich die Feldherren sind, nicht physisch, sondern nur intellectuell aus der Ferne leitend am Kampfe Theil nehmen, gibt daher auch in der historischen Schlacht meist nur zu dieser sittenbildlichen Gattung den Stoff. Es ist schwer, in der neueren Geschichte einen Gegenstand zu finden, wie er in der herrlichen Mosaik von Pompeji, der Schlacht bei Issus, gegeben war: hier steht der Occident und der Orient, der Jünglings-Heros des griechischen Geists und die zusammenbrechende Herrlichkeit des persischen Despotismus im Schlage der vollen Katastrophe, im Augenblick der bluti- gen Krise sich gegenüber: das ist ächt geschichtliches Schlachtbild. Die Uniformität der Ordnung, Kleidung, Kampfesweise kommt in der neueren Zeit hinzu, den nur genreartigen Charakter zu vollenden. Der Krieg hat allerdings in der neuesten Zeit günstige Culturformen aufgeschlossen, na- mentlich in Algier, aber da fehlt es an der monumentalen Größe der Idee überhaupt und in der Erscheinung am eigentlichen Heros; will man einen Abdel Kader als solchen nehmen, so vermißt man ihn doch auf der andern Seite, denn der französische General, so geschickt und tapfer er sein mag, ist doch nicht das, was hier unter jenem Worte verstanden wird: positiver Träger und Vorfechter einer historischen Idee; die Bilder H. Vernets, so meisterhaft sie sind, sind doch nicht reine, sondern sitten- bildliche Geschichtsbilder.
2. Geht die Scene eines solchen Bilds im Freien vor sich, so hat eben wegen des sittenbildlichen Charakters die Landschaft große ästhetische Geltung neben dem Vorgang in der Menschenwelt; geht sie im geschlos- senen Raume vor sich, so interessirt der Maler auch für Geräthe, Archi- tektur u. s. w.; in beiden Fällen wird auf Tracht, Umgangsform, Kampfes- weise und dgl. ein Gewicht gelegt, das bei der strengeren Form verschwin- den wird. Dieß Gewicht der Culturformen ist schon zu 1. hervorgehoben; hier ist außer der Landschaft noch ein anderer Punct zu erwähnen: es liegt nämlich in der Natur der Sache, daß der Künstler in solchen ge- schichtlichen Actionen gern eine Zusammenstellung von wirklichen Porträts geben wird. Wir haben also jetzt ein Gebiet vor uns, wo das Geschichts-
Handeln, das Menſchenloos an ſchrecklichem Leiden großer Menſchen- Maſſen dargeſtellt: dieß iſt epiſches, ſittenbildliches Geſchichtsbild. Die zwei genannten Formen ſind im Gebrauche geläufiger Unterſcheidung; das Schlachtbild gehört aber hieher nur, wenn nicht im Mittelpuncte der Heros mit ſolchem Ausdruck hervortritt, daß die Idee, die innere Bedeu- tung, der nationale, politiſche Conflict, welcher die Seele des ganzen Kampfes iſt, in entſcheidender Weiſe aus dem inſtinctmäßigeren, dem in- nern Conflict fremderen Erweiſen der Tapferkeit in den Maſſen ſichtbar herausleuchtet. Die neuere Kriegsführung, worin die nationalen, politi- tiſchen Urheber entweder gar nicht, oder wenn ſie, wie z. B Napoleon, zugleich die Feldherren ſind, nicht phyſiſch, ſondern nur intellectuell aus der Ferne leitend am Kampfe Theil nehmen, gibt daher auch in der hiſtoriſchen Schlacht meiſt nur zu dieſer ſittenbildlichen Gattung den Stoff. Es iſt ſchwer, in der neueren Geſchichte einen Gegenſtand zu finden, wie er in der herrlichen Moſaik von Pompeji, der Schlacht bei Iſſus, gegeben war: hier ſteht der Occident und der Orient, der Jünglings-Heros des griechiſchen Geiſts und die zuſammenbrechende Herrlichkeit des perſiſchen Deſpotiſmus im Schlage der vollen Kataſtrophe, im Augenblick der bluti- gen Kriſe ſich gegenüber: das iſt ächt geſchichtliches Schlachtbild. Die Uniformität der Ordnung, Kleidung, Kampfesweiſe kommt in der neueren Zeit hinzu, den nur genreartigen Charakter zu vollenden. Der Krieg hat allerdings in der neueſten Zeit günſtige Culturformen aufgeſchloſſen, na- mentlich in Algier, aber da fehlt es an der monumentalen Größe der Idee überhaupt und in der Erſcheinung am eigentlichen Heros; will man einen Abdel Kader als ſolchen nehmen, ſo vermißt man ihn doch auf der andern Seite, denn der franzöſiſche General, ſo geſchickt und tapfer er ſein mag, iſt doch nicht das, was hier unter jenem Worte verſtanden wird: poſitiver Träger und Vorfechter einer hiſtoriſchen Idee; die Bilder H. Vernets, ſo meiſterhaft ſie ſind, ſind doch nicht reine, ſondern ſitten- bildliche Geſchichtsbilder.
2. Geht die Scene eines ſolchen Bilds im Freien vor ſich, ſo hat eben wegen des ſittenbildlichen Charakters die Landſchaft große äſthetiſche Geltung neben dem Vorgang in der Menſchenwelt; geht ſie im geſchloſ- ſenen Raume vor ſich, ſo intereſſirt der Maler auch für Geräthe, Archi- tektur u. ſ. w.; in beiden Fällen wird auf Tracht, Umgangsform, Kampfes- weiſe und dgl. ein Gewicht gelegt, das bei der ſtrengeren Form verſchwin- den wird. Dieß Gewicht der Culturformen iſt ſchon zu 1. hervorgehoben; hier iſt außer der Landſchaft noch ein anderer Punct zu erwähnen: es liegt nämlich in der Natur der Sache, daß der Künſtler in ſolchen ge- ſchichtlichen Actionen gern eine Zuſammenſtellung von wirklichen Porträts geben wird. Wir haben alſo jetzt ein Gebiet vor uns, wo das Geſchichts-
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Handeln, das Menſchenloos an ſchrecklichem Leiden großer Menſchen-
Maſſen dargeſtellt: dieß iſt epiſches, ſittenbildliches Geſchichtsbild. Die
zwei genannten Formen ſind im Gebrauche geläufiger Unterſcheidung;
das Schlachtbild gehört aber hieher nur, wenn nicht im Mittelpuncte der
Heros mit ſolchem Ausdruck hervortritt, daß die Idee, die innere Bedeu-
tung, der nationale, politiſche Conflict, welcher die Seele des ganzen
Kampfes iſt, in entſcheidender Weiſe aus dem inſtinctmäßigeren, dem in-
nern Conflict fremderen Erweiſen der Tapferkeit in den Maſſen ſichtbar
herausleuchtet. Die neuere Kriegsführung, worin die nationalen, politi-
tiſchen Urheber entweder gar nicht, oder wenn ſie, wie z. B Napoleon,
zugleich die Feldherren ſind, nicht phyſiſch, ſondern nur intellectuell aus
der Ferne leitend am Kampfe Theil nehmen, gibt daher auch in der
hiſtoriſchen Schlacht meiſt nur zu dieſer ſittenbildlichen Gattung den Stoff.
Es iſt ſchwer, in der neueren Geſchichte einen Gegenſtand zu finden, wie
er in der herrlichen Moſaik von Pompeji, der Schlacht bei Iſſus, gegeben
war: hier ſteht der Occident und der Orient, der Jünglings-Heros des
griechiſchen Geiſts und die zuſammenbrechende Herrlichkeit des perſiſchen
Deſpotiſmus im Schlage der vollen Kataſtrophe, im Augenblick der bluti-
gen Kriſe ſich gegenüber: das iſt ächt geſchichtliches Schlachtbild. Die
Uniformität der Ordnung, Kleidung, Kampfesweiſe kommt in der neueren
Zeit hinzu, den nur genreartigen Charakter zu vollenden. Der Krieg hat
allerdings in der neueſten Zeit günſtige Culturformen aufgeſchloſſen, na-
mentlich in Algier, aber da fehlt es an der monumentalen Größe der
Idee überhaupt und in der Erſcheinung am eigentlichen Heros; will man
einen Abdel Kader als ſolchen nehmen, ſo vermißt man ihn doch auf der
andern Seite, denn der franzöſiſche General, ſo geſchickt und tapfer er
ſein mag, iſt doch nicht das, was hier unter jenem Worte verſtanden
wird: poſitiver Träger und Vorfechter einer hiſtoriſchen Idee; die Bilder
H. Vernets, ſo meiſterhaft ſie ſind, ſind doch nicht reine, ſondern ſitten-
bildliche Geſchichtsbilder.
2. Geht die Scene eines ſolchen Bilds im Freien vor ſich, ſo hat
eben wegen des ſittenbildlichen Charakters die Landſchaft große äſthetiſche
Geltung neben dem Vorgang in der Menſchenwelt; geht ſie im geſchloſ-
ſenen Raume vor ſich, ſo intereſſirt der Maler auch für Geräthe, Archi-
tektur u. ſ. w.; in beiden Fällen wird auf Tracht, Umgangsform, Kampfes-
weiſe und dgl. ein Gewicht gelegt, das bei der ſtrengeren Form verſchwin-
den wird. Dieß Gewicht der Culturformen iſt ſchon zu 1. hervorgehoben;
hier iſt außer der Landſchaft noch ein anderer Punct zu erwähnen: es
liegt nämlich in der Natur der Sache, daß der Künſtler in ſolchen ge-
ſchichtlichen Actionen gern eine Zuſammenſtellung von wirklichen Porträts
geben wird. Wir haben alſo jetzt ein Gebiet vor uns, wo das Geſchichts-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 684. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/192>, abgerufen am 16.02.2025.
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