Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
bild nicht nur in das Sittenbild, sondern auch in Landschaft und Porträt §. 711. Den Standpunct des Lyrischen betritt die geschichtliche Malerei in der
bild nicht nur in das Sittenbild, ſondern auch in Landſchaft und Porträt §. 711. Den Standpunct des Lyriſchen betritt die geſchichtliche Malerei in der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0193" n="685"/> bild nicht nur in das Sittenbild, ſondern auch in Landſchaft und Porträt<lb/> ſtark hinübergreift; das iſt ganz in der Ordnung, aber es ſollen dieſe<lb/> beigezogenen Momente dennoch ſecundär bleiben, ſie ſollen nicht ſo über-<lb/> wuchern, daß die Gattung, in welche das Bild gehört, zweifelhaft wird,<lb/> denn das Geſetz der Reinhaltung der Sphären (§. 696) beſteht natürlich<lb/> auch hier. Vielfach, auch in der neueſten Zeit, hat man gemeint, eine<lb/> höhere Einheit von Landſchaft und Hiſtorie ſchaffen zu müſſen; das iſt<lb/> verkehrt, die Landſchaft ſoll ſtimmend mitwirken, aber nicht für ſich ſpezi-<lb/> fiſch in die Aeſthetik der landſchaftlichen Schönheit abführen; die land-<lb/> ſchaftliche Stimmung als Grund- und Haupt-Eindruck eines Kunſtwerks<lb/> und das Intereſſe am menſchlichen Schickſal in ſeiner ſpezifiſchen Aus-<lb/> drücklichkeit heben einander ein für allemal auf. Das Porträt haben<lb/> wir (§. 708) den Bauſtein des Geſchichtsbilds, dieſes das in Bewegung<lb/> und Verbindung geſetzte Porträt genannt. Allein es iſt nun entſchieden<lb/> auszuſprechen, daß daſſelbe durch dieſe Einfügung in das bewegte Leben<lb/> des geſchichtlichen Bilds eine neue beſondere Art der Idealiſirung erfahren<lb/> muß, noch verſchieden von derjenigen, die es als Gattung an ſich fordert,<lb/> eine freie Umbildung im ſpezifiſch hiſtoriſchen Sinne. Weniger ſcheint<lb/> dieß nöthig im bloßen Repräſentationsbilde, denn da werden die Perſonen<lb/> in Ruhe dargeſtellt; wo aber Bewegung und Handlung gefordert iſt,<lb/> da entſteht, wenn der Maler nur Bildniſſe zuſammenſtellt, ein Repräſen-<lb/> tationsbild am falſchen Orte: er kann nicht wagen, die Köpfe und Figuren<lb/> in volle Leidenſchaft zu verſetzen, weil er dann die Porträtzüge künſtleriſch<lb/> frei verändern müßte. Iſt z. B. der Feldherr und ſein Generalſtab in<lb/> einem Schlachtbild eigentliches Porträt, ſo verſchwindet eben hier, im<lb/> Mittelpuncte, das Leben der Schlacht, weil in dieſer Gruppe kein Affect<lb/> entwickelt werden kann. Der Geſchichtsmaler muß anders ſtyliſiren, als<lb/> der Porträtmaler, er muß die gegebene Form als ein Feld behandeln,<lb/> worin große Bewegungen ungehemmt ſich ergießen können. Und das iſt<lb/> doch auch im ruhigen Repräſentationsbilde nöthig: auch hier dürfen die<lb/> Porträts nicht ganz ſo behandelt ſein, wie wenn ſie für ſich als bloße<lb/> Bildniſſe vor uns ſtünden; eine gewiſſe Styliſirung iſt auch hier erfordert.<lb/> Beſonders reiche, belehrende Beiſpiele liefert zu dem ganzen Inhalte die-<lb/> ſes §. die Galerei von Verſailles. Daß endlich der Stärke, welche dieſe<lb/> Gattung den Culturformen gönnt, ein Maaß geſetzt iſt, deſſen Ueberſchrei-<lb/> tung in das Sittenbild abführt, bedarf keiner weitern Erklärung.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 711.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Den Standpunct des <hi rendition="#g">Lyriſchen</hi> betritt die geſchichtliche Malerei in der<lb/> Darſtellung ſubjectiv bewegter Momente, die nicht unmittelbar zur Handlung<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [685/0193]
bild nicht nur in das Sittenbild, ſondern auch in Landſchaft und Porträt
ſtark hinübergreift; das iſt ganz in der Ordnung, aber es ſollen dieſe
beigezogenen Momente dennoch ſecundär bleiben, ſie ſollen nicht ſo über-
wuchern, daß die Gattung, in welche das Bild gehört, zweifelhaft wird,
denn das Geſetz der Reinhaltung der Sphären (§. 696) beſteht natürlich
auch hier. Vielfach, auch in der neueſten Zeit, hat man gemeint, eine
höhere Einheit von Landſchaft und Hiſtorie ſchaffen zu müſſen; das iſt
verkehrt, die Landſchaft ſoll ſtimmend mitwirken, aber nicht für ſich ſpezi-
fiſch in die Aeſthetik der landſchaftlichen Schönheit abführen; die land-
ſchaftliche Stimmung als Grund- und Haupt-Eindruck eines Kunſtwerks
und das Intereſſe am menſchlichen Schickſal in ſeiner ſpezifiſchen Aus-
drücklichkeit heben einander ein für allemal auf. Das Porträt haben
wir (§. 708) den Bauſtein des Geſchichtsbilds, dieſes das in Bewegung
und Verbindung geſetzte Porträt genannt. Allein es iſt nun entſchieden
auszuſprechen, daß daſſelbe durch dieſe Einfügung in das bewegte Leben
des geſchichtlichen Bilds eine neue beſondere Art der Idealiſirung erfahren
muß, noch verſchieden von derjenigen, die es als Gattung an ſich fordert,
eine freie Umbildung im ſpezifiſch hiſtoriſchen Sinne. Weniger ſcheint
dieß nöthig im bloßen Repräſentationsbilde, denn da werden die Perſonen
in Ruhe dargeſtellt; wo aber Bewegung und Handlung gefordert iſt,
da entſteht, wenn der Maler nur Bildniſſe zuſammenſtellt, ein Repräſen-
tationsbild am falſchen Orte: er kann nicht wagen, die Köpfe und Figuren
in volle Leidenſchaft zu verſetzen, weil er dann die Porträtzüge künſtleriſch
frei verändern müßte. Iſt z. B. der Feldherr und ſein Generalſtab in
einem Schlachtbild eigentliches Porträt, ſo verſchwindet eben hier, im
Mittelpuncte, das Leben der Schlacht, weil in dieſer Gruppe kein Affect
entwickelt werden kann. Der Geſchichtsmaler muß anders ſtyliſiren, als
der Porträtmaler, er muß die gegebene Form als ein Feld behandeln,
worin große Bewegungen ungehemmt ſich ergießen können. Und das iſt
doch auch im ruhigen Repräſentationsbilde nöthig: auch hier dürfen die
Porträts nicht ganz ſo behandelt ſein, wie wenn ſie für ſich als bloße
Bildniſſe vor uns ſtünden; eine gewiſſe Styliſirung iſt auch hier erfordert.
Beſonders reiche, belehrende Beiſpiele liefert zu dem ganzen Inhalte die-
ſes §. die Galerei von Verſailles. Daß endlich der Stärke, welche dieſe
Gattung den Culturformen gönnt, ein Maaß geſetzt iſt, deſſen Ueberſchrei-
tung in das Sittenbild abführt, bedarf keiner weitern Erklärung.
§. 711.
Den Standpunct des Lyriſchen betritt die geſchichtliche Malerei in der
Darſtellung ſubjectiv bewegter Momente, die nicht unmittelbar zur Handlung
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