Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
stellung mit dem Tragischen ist Hebel der kräftigsten Contraste, dient als 2. Im Sittenbilde ist der ächt malerische Styl naturgemäß im Vor-
ſtellung mit dem Tragiſchen iſt Hebel der kräftigſten Contraſte, dient als 2. Im Sittenbilde iſt der ächt maleriſche Styl naturgemäß im Vor- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0199" n="691"/> ſtellung mit dem Tragiſchen iſt Hebel der kräftigſten Contraſte, dient als<lb/> Folie wie die Blume am Abgrund oder wird in das Tragiſche hineinge-<lb/> riſſen — wie Margarete in Göthe’s Fauſt. Die Poſſe, der Witz, die milde<lb/> Ironie, der naive Humor des Sittenbilds hat keinen Platz; das Drama<lb/> der Geſchichte läßt nur den großartigen Humor zu, der die innere Miß-<lb/> geſtalt des Böſen, wie M. Angelo nach Dante in den Teufeln, wie ſo<lb/> viele alte Maler in den Phariſäern und Peinigern Chriſti, als äußere<lb/> Fratze herauswendet, bei rein hiſtoriſchem Stoff aber in der Selbſtzer-<lb/> ſtörung des menſchlich Böſen, dem Fanatismus der Leidenſchaft, dem<lb/> Wahnſinn der Parteien, dem Falle menſchlichen Uebermuths Oel in Fülle<lb/> findet, ſeine Flamme zu nähren, ſeinem tiefen Gefühl der Widerſprüche<lb/> des Lebens ohne jene phantaſtiſche Ausſchweifung Form zu geben. Eine<lb/> tiefe Mäßigung iſt immer nöthig, wenn nicht die Caricatur eintreten ſoll,<lb/> von der wir ſeines Orts ſprechen werden.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Im Sittenbilde iſt der ächt maleriſche Styl naturgemäß im Vor-<lb/> rechte der Herrſchaft, der plaſtiſche hat ſich daher auch erſt ſpät entwickelt;<lb/> im Geſchichtsbilde verhält es ſich umgekehrt: hier iſt der Beruf des letzteren<lb/> voller und unbezweifelter, als in irgend einem Zweige, denn wo es gilt,<lb/> die großen geſchichtlichen Momente in monumentalem Geiſte zu verewigen,<lb/> da iſt auch ein Verfahren gefordert, das aus dem Umfange des Realen<lb/> mit ſtarker Zeichnerhand die weſentlichen Züge heraushebt und diejenigen<lb/> ausſcheidet, welche an die ſpecielleren Lebensbedingungen erinnern. Allein der<lb/> rein maleriſche Styl iſt darum nichts weniger, als zu untergeordneter Rolle<lb/> verwieſen, wie das Naturaliſiren und Individualiſiren in der Bildnerkunſt;<lb/> im Gegentheil hat er in der Geſchichtsmalerei erſt ſeinen ganzen Beruf<lb/> zu erfüllen, indem er den plaſtiſch auffaſſenden Gegner ſtets auf’s Neue<lb/> reizen und mahnen ſoll, daß er ſich mit der Naturwärme und Indivi-<lb/> dualität ſättige und ſeiner Neigung zum Mythiſchen und Allegoriſchen<lb/> nicht die Zügel laſſe. Es iſt nun dieß natürlich zugleich ein Verhältniß<lb/> zwiſchen Freske und Oelmalerei; dieſe zwei Formen der Technik ſind uns<lb/> überall als Begleiter jenes Gegenſatzes begegnet, hier aber erreichen ſie<lb/> mit ihm ihre ganze Bedeutung, ſie werden geradezu Loſungswörter des<lb/> Kampfes der Style. Der Kampf iſt dann allerdings zugleich einſeitige<lb/> Blüthe der Hiſtorienmalerei und Reaction gegen dieſelbe; allein dieſe<lb/> Seite führt ſchließlich ebendahin, wie der Kampf innerhalb der geſchicht-<lb/> lichen Malerei ſelbſt, denn auch vom Sittenbilde und beziehungsweiſe von<lb/> der Landſchaft ſoll die plaſtiſche Einſeitigkeit in der Hiſtorie zur innigeren<lb/> Durchbildung des realen Scheins ſich leiten laſſen. — Dieß Alles wird<lb/> in der Geſchichte der Malerei nun ſeinen Beleg, der Begriff den Körper<lb/> finden, der ihn zugleich erläutert, und gerade der Schluß der letzteren wird<lb/> auf dieſen Schluß der Lehre von den Zweigen in gerader Linie zurückführen.</hi> </p> </div> </div> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [691/0199]
ſtellung mit dem Tragiſchen iſt Hebel der kräftigſten Contraſte, dient als
Folie wie die Blume am Abgrund oder wird in das Tragiſche hineinge-
riſſen — wie Margarete in Göthe’s Fauſt. Die Poſſe, der Witz, die milde
Ironie, der naive Humor des Sittenbilds hat keinen Platz; das Drama
der Geſchichte läßt nur den großartigen Humor zu, der die innere Miß-
geſtalt des Böſen, wie M. Angelo nach Dante in den Teufeln, wie ſo
viele alte Maler in den Phariſäern und Peinigern Chriſti, als äußere
Fratze herauswendet, bei rein hiſtoriſchem Stoff aber in der Selbſtzer-
ſtörung des menſchlich Böſen, dem Fanatismus der Leidenſchaft, dem
Wahnſinn der Parteien, dem Falle menſchlichen Uebermuths Oel in Fülle
findet, ſeine Flamme zu nähren, ſeinem tiefen Gefühl der Widerſprüche
des Lebens ohne jene phantaſtiſche Ausſchweifung Form zu geben. Eine
tiefe Mäßigung iſt immer nöthig, wenn nicht die Caricatur eintreten ſoll,
von der wir ſeines Orts ſprechen werden.
2. Im Sittenbilde iſt der ächt maleriſche Styl naturgemäß im Vor-
rechte der Herrſchaft, der plaſtiſche hat ſich daher auch erſt ſpät entwickelt;
im Geſchichtsbilde verhält es ſich umgekehrt: hier iſt der Beruf des letzteren
voller und unbezweifelter, als in irgend einem Zweige, denn wo es gilt,
die großen geſchichtlichen Momente in monumentalem Geiſte zu verewigen,
da iſt auch ein Verfahren gefordert, das aus dem Umfange des Realen
mit ſtarker Zeichnerhand die weſentlichen Züge heraushebt und diejenigen
ausſcheidet, welche an die ſpecielleren Lebensbedingungen erinnern. Allein der
rein maleriſche Styl iſt darum nichts weniger, als zu untergeordneter Rolle
verwieſen, wie das Naturaliſiren und Individualiſiren in der Bildnerkunſt;
im Gegentheil hat er in der Geſchichtsmalerei erſt ſeinen ganzen Beruf
zu erfüllen, indem er den plaſtiſch auffaſſenden Gegner ſtets auf’s Neue
reizen und mahnen ſoll, daß er ſich mit der Naturwärme und Indivi-
dualität ſättige und ſeiner Neigung zum Mythiſchen und Allegoriſchen
nicht die Zügel laſſe. Es iſt nun dieß natürlich zugleich ein Verhältniß
zwiſchen Freske und Oelmalerei; dieſe zwei Formen der Technik ſind uns
überall als Begleiter jenes Gegenſatzes begegnet, hier aber erreichen ſie
mit ihm ihre ganze Bedeutung, ſie werden geradezu Loſungswörter des
Kampfes der Style. Der Kampf iſt dann allerdings zugleich einſeitige
Blüthe der Hiſtorienmalerei und Reaction gegen dieſelbe; allein dieſe
Seite führt ſchließlich ebendahin, wie der Kampf innerhalb der geſchicht-
lichen Malerei ſelbſt, denn auch vom Sittenbilde und beziehungsweiſe von
der Landſchaft ſoll die plaſtiſche Einſeitigkeit in der Hiſtorie zur innigeren
Durchbildung des realen Scheins ſich leiten laſſen. — Dieß Alles wird
in der Geſchichte der Malerei nun ſeinen Beleg, der Begriff den Körper
finden, der ihn zugleich erläutert, und gerade der Schluß der letzteren wird
auf dieſen Schluß der Lehre von den Zweigen in gerader Linie zurückführen.
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