Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
ist eben die bloße Relativität. Unwichtiger ist, daß der Maler umge-
iſt eben die bloße Relativität. Unwichtiger iſt, daß der Maler umge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0021" n="513"/> iſt eben die bloße Relativität. Unwichtiger iſt, daß der Maler umge-<lb/> kehrt auch die in der Natur winzige Geſtalt groß erſcheinen laſſen kann,<lb/> denn alle Kunſt hat wenig Intereſſe, das ſehr Kleine nachzuahmen (vergl.<lb/> §. 36, <hi rendition="#sub">1.</hi>). Nun vermag alſo die bildende Kunſt ſo Großes darzuſtellen,<lb/> als ſie will, denn ſie muß es nicht ſo <hi rendition="#g">groß</hi> darſtellen, als es an ſich<lb/> ſein müßte. Sie vermag aber auch ſo <hi rendition="#g">Vieles</hi> darzuſtellen, als ſie will,<lb/> denn ſie ſelbſt beſtimmt den Maaßſtab, der die für Einführung einer be-<lb/> liebigen Menge von Gegenſtänden und Figuren nöthige Verkleinerung<lb/> mit ſich bringt, und zudem kann der unbeſtimmtere Umriß im Bunde mit<lb/> der Farbe noch ganze Maſſen aufführen, indem er die Gegenſtände, wor-<lb/> aus ſie beſtehen, nur andeutet; die Vorſtellung führt das Angedeutete<lb/> vervielfältigend fort und ergänzt ſich die Formen. Allerdings kann ich die<lb/> Geſtalten nicht in jeder Art von Gruppe verwickeln wie ich will, denn<lb/> durchſichtig ſind ſie nicht; aber ich habe es in der Hand, ſie einander<lb/> nicht ſo decken zu laſſen, wie es künſtleriſch unerwünſcht wäre und wie<lb/> es dem Bildner zuſtieße, wenn er zu viele Figuren in einer Gruppe ver-<lb/> einigte, ſondern nur ſo, wie es äſthetiſch recht und gut iſt. Damit ſind<lb/> wir zu dem weiteren, beſonders wichtigen Momente gelangt, aus welchem<lb/> erhellt, wie nun Alles geiſtig frei, geiſtig geſetzt iſt: der freien Beſtimmung<lb/> des einzigen Standorts durch den Künſtler. Das Werk des Bildners,<lb/> zum Umwandeln beſtimmt (vom Relief ſehen wir jetzt ab, das ja doch im<lb/> Gewinne wieder verliert), iſt freilich auch auf Einen Sehpunct vorzüglich<lb/> berechnet, aber nur vorzüglich, es kann und will ihn nicht erzwingen, es<lb/> macht ſich durchaus davon abhängig, daß der Standort gewechſelt wird;<lb/> der Maler dagegen ſchreibt ihn vor und läßt keine Wahl, weil er nur den<lb/> einen gibt. Dieß iſt jedoch kein Geiſteszwang für den Zuſchauer; der<lb/> Gegenſtand läßt allerdings, wie derſelbe wohl weiß, eine Vielheit äſthetiſch<lb/> günſtiger Standpuncte zu, doch nicht ſo, wie die nur auf die feſte Form<lb/> angeſehene Geſtalt des Menſchen oder Thiers, denn eine Geſammtheit von<lb/> Gegenſtänden, wie ſie ſich vor dem eigentlich ſehenden Auge ausbreitet, bietet<lb/> nicht jedem Standorte dieſe geſchloſſene Welt allſeitig ſchwungvoller Linien,<lb/> ſondern zwiſchen glücklichen Augenpuncten auch entſchieden ungünſtige. Der<lb/> Zuſchauer weiß freilich ſo gut wie der Künſtler, daß es außer dem im je vor-<lb/> liegenden Kunſtwerke gewählten Standpuncte und den ungünſtigen Stand-<lb/> puncten noch unbeſtimmt viele, ebenfalls günſtige, und zwar gleichzeitig ſelbſt<lb/> bei dem ruhenden Gegenſtande, nicht nur ſucceſſiv bei dem bewegten, geben<lb/> muß, aber die Auswahl iſt ihm abgenommen, für dießmal die Auswahl <hi rendition="#g">dieſes</hi><lb/> günſtigen Sehpuncts, anderen Kunſtwerken bleibt die Auswahl anderer<lb/> vorbehalten. Es iſt ein Blitz des Geiſtes, der dießmal dieſe Erſcheinung<lb/> ſo beleuchtet, er entzündet augenblicklich im Zuſchauer die Ueberzeugung,<lb/> daß dießmal dieſe Mannigfaltigkeit unter dieſer Einheit geſehen ſein will,<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [513/0021]
iſt eben die bloße Relativität. Unwichtiger iſt, daß der Maler umge-
kehrt auch die in der Natur winzige Geſtalt groß erſcheinen laſſen kann,
denn alle Kunſt hat wenig Intereſſe, das ſehr Kleine nachzuahmen (vergl.
§. 36, 1.). Nun vermag alſo die bildende Kunſt ſo Großes darzuſtellen,
als ſie will, denn ſie muß es nicht ſo groß darſtellen, als es an ſich
ſein müßte. Sie vermag aber auch ſo Vieles darzuſtellen, als ſie will,
denn ſie ſelbſt beſtimmt den Maaßſtab, der die für Einführung einer be-
liebigen Menge von Gegenſtänden und Figuren nöthige Verkleinerung
mit ſich bringt, und zudem kann der unbeſtimmtere Umriß im Bunde mit
der Farbe noch ganze Maſſen aufführen, indem er die Gegenſtände, wor-
aus ſie beſtehen, nur andeutet; die Vorſtellung führt das Angedeutete
vervielfältigend fort und ergänzt ſich die Formen. Allerdings kann ich die
Geſtalten nicht in jeder Art von Gruppe verwickeln wie ich will, denn
durchſichtig ſind ſie nicht; aber ich habe es in der Hand, ſie einander
nicht ſo decken zu laſſen, wie es künſtleriſch unerwünſcht wäre und wie
es dem Bildner zuſtieße, wenn er zu viele Figuren in einer Gruppe ver-
einigte, ſondern nur ſo, wie es äſthetiſch recht und gut iſt. Damit ſind
wir zu dem weiteren, beſonders wichtigen Momente gelangt, aus welchem
erhellt, wie nun Alles geiſtig frei, geiſtig geſetzt iſt: der freien Beſtimmung
des einzigen Standorts durch den Künſtler. Das Werk des Bildners,
zum Umwandeln beſtimmt (vom Relief ſehen wir jetzt ab, das ja doch im
Gewinne wieder verliert), iſt freilich auch auf Einen Sehpunct vorzüglich
berechnet, aber nur vorzüglich, es kann und will ihn nicht erzwingen, es
macht ſich durchaus davon abhängig, daß der Standort gewechſelt wird;
der Maler dagegen ſchreibt ihn vor und läßt keine Wahl, weil er nur den
einen gibt. Dieß iſt jedoch kein Geiſteszwang für den Zuſchauer; der
Gegenſtand läßt allerdings, wie derſelbe wohl weiß, eine Vielheit äſthetiſch
günſtiger Standpuncte zu, doch nicht ſo, wie die nur auf die feſte Form
angeſehene Geſtalt des Menſchen oder Thiers, denn eine Geſammtheit von
Gegenſtänden, wie ſie ſich vor dem eigentlich ſehenden Auge ausbreitet, bietet
nicht jedem Standorte dieſe geſchloſſene Welt allſeitig ſchwungvoller Linien,
ſondern zwiſchen glücklichen Augenpuncten auch entſchieden ungünſtige. Der
Zuſchauer weiß freilich ſo gut wie der Künſtler, daß es außer dem im je vor-
liegenden Kunſtwerke gewählten Standpuncte und den ungünſtigen Stand-
puncten noch unbeſtimmt viele, ebenfalls günſtige, und zwar gleichzeitig ſelbſt
bei dem ruhenden Gegenſtande, nicht nur ſucceſſiv bei dem bewegten, geben
muß, aber die Auswahl iſt ihm abgenommen, für dießmal die Auswahl dieſes
günſtigen Sehpuncts, anderen Kunſtwerken bleibt die Auswahl anderer
vorbehalten. Es iſt ein Blitz des Geiſtes, der dießmal dieſe Erſcheinung
ſo beleuchtet, er entzündet augenblicklich im Zuſchauer die Ueberzeugung,
daß dießmal dieſe Mannigfaltigkeit unter dieſer Einheit geſehen ſein will,
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