nams, der wieder erweckt werden soll. Der Name des Mumienhaften für diese hageren, ascetischen Figuren mit den grämlich greisenhaften Ge- sichtszügen, den gespenstisch großen Augen und schmalen, dünnen Nasen, dem noch antik motivirten, aber spitz gebrochenen Gefälte, der starren Bewegungslosigkeit und steifen, mühsamen Bewegung ist der passendste und hat sich als stehende Bezeichnung eingebürgert. Neben den fühlbaren Reminiscenzen der Form ist auch die Farbengebung an dieser eingefror- nen Gestalt doch nie so tief gesunken, wie zuletzt in Italien, zwischen den sichtbaren Umrißlinien finden sich, wiewohl in den Uebergängen scharf abgeschnitten, doch noch Schatten und Mitteltöne. Die Ausbildung der Stoffwelt kommt nicht völlig in's Stocken; zu dem Anbau, den die Gründungsgeschichte des Christenthums schon im althristlichen Style ge- funden, tritt ein neuer Kreis, den die jugendlich hoffnungsfreudige Kirche vermieden hat: das Leiden Christi, insbesondere das Bild des Gekreuzig- ten, auch das Leiden der Märtyrer, der Heiligen. Daneben ziehen sich profangeschichtliche Darstellungen, Ceremonienscenen, Schlachten, Jagden hin: ein fortdauernder Ausdruck jener ununterdrückbaren Tendenz der Malerei zum Realen. Die Composition geht häufig in's Figurenreiche, doch in architektonisch symmetrischer Art; in einem Aufflackern lebendigerer Bewegung zeigt sich hier und da stärkeres Nachwirken antiken Gefühls. Mechanisch in unendlichen Copien vervielfältigten sich die einmal gefundenen, dann typisch festgesetzten Compositionen. Es ist die despotische Ruhe und Stabilität des Orients, die über dieser eingeschlummerten Gestaltenwelt brütet.
Diese altchristliche und byzantinische Kunstweise bildet denn die große Thesis, den Vordersatz für alle weitere Entwicklung, oder richtiger, die ächt antike Kunst gewinnt durch sie jene Bedeutung einer Vorlage für die christliche, die schon in §. 717 ausgesprochen ist, freilich nur einer ersten Vorlage, welcher in später Zukunft eine ganz andere Art mustergebender Einwirkung folgen soll, weil es eben jene verhärtete Gestalt ist, in der sie sich in den Anfang der letzteren hereinschiebt. In Rücksicht auf diese Ver- härtung, zugleich aber insbesondere auf die Feierlichkeit der großen Haupt- bilder, die auch in der byzantischen Malerei beibehalten werden, können wir diese Epoche als die des strengen und harten, im engeren Sinn objectiven Styls bezeichnen. -- Dem Entwicklungsgange der Erwär- mung und Beseelung dieser abgestorbenen Formenwelt schicken wir nun die Bemerkung voran, die schon W. Schlegel (Ueber d. Verh. d. schönen Kunst z. Natur. Werke B. 9 S. 306) gemacht hat: die antike Kunst belebt zuerst den Körper, gibt ihm Schönheit und Wahrheit der Form auf Grund einer freien Naturbeobachtung, das Angesicht bleibt noch lange typisch leblos; die neue Kunst geht von der Beobachtung der Seele aus und
nams, der wieder erweckt werden ſoll. Der Name des Mumienhaften für dieſe hageren, aſcetiſchen Figuren mit den grämlich greiſenhaften Ge- ſichtszügen, den geſpenſtiſch großen Augen und ſchmalen, dünnen Naſen, dem noch antik motivirten, aber ſpitz gebrochenen Gefälte, der ſtarren Bewegungsloſigkeit und ſteifen, mühſamen Bewegung iſt der paſſendſte und hat ſich als ſtehende Bezeichnung eingebürgert. Neben den fühlbaren Reminiſcenzen der Form iſt auch die Farbengebung an dieſer eingefror- nen Geſtalt doch nie ſo tief geſunken, wie zuletzt in Italien, zwiſchen den ſichtbaren Umrißlinien finden ſich, wiewohl in den Uebergängen ſcharf abgeſchnitten, doch noch Schatten und Mitteltöne. Die Ausbildung der Stoffwelt kommt nicht völlig in’s Stocken; zu dem Anbau, den die Gründungsgeſchichte des Chriſtenthums ſchon im althriſtlichen Style ge- funden, tritt ein neuer Kreis, den die jugendlich hoffnungsfreudige Kirche vermieden hat: das Leiden Chriſti, insbeſondere das Bild des Gekreuzig- ten, auch das Leiden der Märtyrer, der Heiligen. Daneben ziehen ſich profangeſchichtliche Darſtellungen, Ceremonienſcenen, Schlachten, Jagden hin: ein fortdauernder Ausdruck jener ununterdrückbaren Tendenz der Malerei zum Realen. Die Compoſition geht häufig in’s Figurenreiche, doch in architektoniſch ſymmetriſcher Art; in einem Aufflackern lebendigerer Bewegung zeigt ſich hier und da ſtärkeres Nachwirken antiken Gefühls. Mechaniſch in unendlichen Copien vervielfältigten ſich die einmal gefundenen, dann typiſch feſtgeſetzten Compoſitionen. Es iſt die despotiſche Ruhe und Stabilität des Orients, die über dieſer eingeſchlummerten Geſtaltenwelt brütet.
Dieſe altchriſtliche und byzantiniſche Kunſtweiſe bildet denn die große Theſis, den Vorderſatz für alle weitere Entwicklung, oder richtiger, die ächt antike Kunſt gewinnt durch ſie jene Bedeutung einer Vorlage für die chriſtliche, die ſchon in §. 717 ausgeſprochen iſt, freilich nur einer erſten Vorlage, welcher in ſpäter Zukunft eine ganz andere Art muſtergebender Einwirkung folgen ſoll, weil es eben jene verhärtete Geſtalt iſt, in der ſie ſich in den Anfang der letzteren hereinſchiebt. In Rückſicht auf dieſe Ver- härtung, zugleich aber insbeſondere auf die Feierlichkeit der großen Haupt- bilder, die auch in der byzantiſchen Malerei beibehalten werden, können wir dieſe Epoche als die des ſtrengen und harten, im engeren Sinn objectiven Styls bezeichnen. — Dem Entwicklungsgange der Erwär- mung und Beſeelung dieſer abgeſtorbenen Formenwelt ſchicken wir nun die Bemerkung voran, die ſchon W. Schlegel (Ueber d. Verh. d. ſchönen Kunſt z. Natur. Werke B. 9 S. 306) gemacht hat: die antike Kunſt belebt zuerſt den Körper, gibt ihm Schönheit und Wahrheit der Form auf Grund einer freien Naturbeobachtung, das Angeſicht bleibt noch lange typiſch leblos; die neue Kunſt geht von der Beobachtung der Seele aus und
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für dieſe hageren, aſcetiſchen Figuren mit den grämlich greiſenhaften Ge-
ſichtszügen, den geſpenſtiſch großen Augen und ſchmalen, dünnen Naſen,
dem noch antik motivirten, aber ſpitz gebrochenen Gefälte, der ſtarren
Bewegungsloſigkeit und ſteifen, mühſamen Bewegung iſt der paſſendſte
und hat ſich als ſtehende Bezeichnung eingebürgert. Neben den fühlbaren
Reminiſcenzen der Form iſt auch die Farbengebung an dieſer eingefror-
nen Geſtalt doch nie ſo tief geſunken, wie zuletzt in Italien, zwiſchen den
ſichtbaren Umrißlinien finden ſich, wiewohl in den Uebergängen ſcharf
abgeſchnitten, doch noch Schatten und Mitteltöne. Die Ausbildung der
Stoffwelt kommt nicht völlig in’s Stocken; zu dem Anbau, den die
Gründungsgeſchichte des Chriſtenthums ſchon im althriſtlichen Style ge-
funden, tritt ein neuer Kreis, den die jugendlich hoffnungsfreudige Kirche
vermieden hat: das Leiden Chriſti, insbeſondere das Bild des Gekreuzig-
ten, auch das Leiden der Märtyrer, der Heiligen. Daneben ziehen ſich
profangeſchichtliche Darſtellungen, Ceremonienſcenen, Schlachten, Jagden
hin: ein fortdauernder Ausdruck jener ununterdrückbaren Tendenz der
Malerei zum Realen. Die Compoſition geht häufig in’s Figurenreiche,
doch in architektoniſch ſymmetriſcher Art; in einem Aufflackern lebendigerer
Bewegung zeigt ſich hier und da ſtärkeres Nachwirken antiken Gefühls.
Mechaniſch in unendlichen Copien vervielfältigten ſich die einmal gefundenen,
dann typiſch feſtgeſetzten Compoſitionen. Es iſt die despotiſche Ruhe und
Stabilität des Orients, die über dieſer eingeſchlummerten Geſtaltenwelt
brütet.
Dieſe altchriſtliche und byzantiniſche Kunſtweiſe bildet denn die große
Theſis, den Vorderſatz für alle weitere Entwicklung, oder richtiger, die ächt
antike Kunſt gewinnt durch ſie jene Bedeutung einer Vorlage für die
chriſtliche, die ſchon in §. 717 ausgeſprochen iſt, freilich nur einer erſten
Vorlage, welcher in ſpäter Zukunft eine ganz andere Art muſtergebender
Einwirkung folgen ſoll, weil es eben jene verhärtete Geſtalt iſt, in der ſie
ſich in den Anfang der letzteren hereinſchiebt. In Rückſicht auf dieſe Ver-
härtung, zugleich aber insbeſondere auf die Feierlichkeit der großen Haupt-
bilder, die auch in der byzantiſchen Malerei beibehalten werden, können
wir dieſe Epoche als die des ſtrengen und harten, im engeren Sinn
objectiven Styls bezeichnen. — Dem Entwicklungsgange der Erwär-
mung und Beſeelung dieſer abgeſtorbenen Formenwelt ſchicken wir nun
die Bemerkung voran, die ſchon W. Schlegel (Ueber d. Verh. d. ſchönen
Kunſt z. Natur. Werke B. 9 S. 306) gemacht hat: die antike Kunſt
belebt zuerſt den Körper, gibt ihm Schönheit und Wahrheit der Form
auf Grund einer freien Naturbeobachtung, das Angeſicht bleibt noch lange
typiſch leblos; die neue Kunſt geht von der Beobachtung der Seele aus und
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/211>, abgerufen am 16.07.2024.
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