Wir haben nun zuerst die Stellung, welche in diesem Gebiete Inhalt und Form zu einander annehmen, und dann die Unterschiede zu bestimmen, die innerhalb derselben hervortreten. Das Verhältniß ungetrennter Einheit, worin jene Elemente in aller reinen Kunst verschmolzen sind, ist gelöst; die Idee ist aus dem Naturstoffe, der dem Künstler als Vorbild im Ganzen und Großen vorliegt, herausgezogen, der Künstler denkt und weiß die Wirklichkeit als die ihrer Idee unangemessene und hat die Absicht, den Zweck, sie dieß durch sein Werk in der Form der Anschauung fühlen zu lassen. Man verwechsle dieß nicht mit dem Bewußtsein der Unange- messenheit, das dem rein Komischen (wie dem Erhabenen) zu Grunde liegt. Dieses Bewußtsein ist als künstlerisches Verhalten doch ganz naiv und ungetheilt in seinem Stoffe; jenes dagegen hat es nicht nur mit einer widerstreitenden Grundform des Schönen überhaupt zu thun, sondern widerstreitet im Acte des künstlerischen Schaffens selbst der Welt, wie sie ist, wie sie empirisch vorliegt; die reine Kunst scheidet in unbefangener Stimmung, ohne Haß die Mängel derselben aus und vergißt sie harmlos über ihrem idea- len, sei es auch komisch idealen Abbilde, diese anhängende Kunst hat und be- hält sie im Auge, bekriegt, verfolgt sie, packt und schüttelt sie. Die erste Form in diesem Verhalten ist die didaktische: der Gedanke wird in aus- gesprochener Absicht direct vorgetragen, die Einkleidung kann daher nur allegorisch oder bloßes Beispiel sein. Diese Form ist die kahlste, ärmste, der §. erwähnt sie daher gar nicht; sie wird uns erst in der Poesie wich- tiger. Freilich hat selbst ein Karstens Raum und Zeit nach Kant gemalt. Im Tendenz bilde versteckt sich die Lehre in eine Handlung, es trägt eine Idee vor, indem es die Uebel und Leiden aufzeigt, die da ausbrechen, wo die Wirklichkeit ihr unangemessen ist; die Handlung ist eigentlich auch nur Beispiel, aber sie faßt und erschüttert so stark, daß die Absicht in der schneidend ernsten und erschütternden Wirkung unvermerkt mitaufgeht. Bilder wie Hübners Weber und Wilderer sind doch etwas ganz Anderes, als z. B. Hogarths Weg des Liederlichen und Rechtschaffenen. Reine Kunst ist aber auch dieß nicht, denn solche Darstellung ruht ja ganz auf jenem gelösten, negativen Verhältnisse der ästhetischen Elemente; daher beunruhigt, ja peinigt sie und ihre Bedeutung liegt nur in dem Beitrage, welchen der von ihr geweckte Grimm zur Macht des öffentlichen Unwillens gegen Mißbräuche, Vorrechte u. s. w. gibt. Der §. nennt auch diese Form nur im Uebergange zu einer andern, weil sie wirklich doch ebenfalls zweifelhaft, wenig angebaut ist. Auch im gelösten ästhetischen Verhältniß wird doch ein innigeres Band der Elemente gefordert, und dieß tritt ein, wo das, was im Didaktischen nackt allegorisch oder mehr indirect, aber sehr merklich durch Beispiele, im Tendenziösen in unmerklicherem, aber peinlichem Ernst der indirecten Absichtlichkeit geschieht, auf komischem
Wir haben nun zuerſt die Stellung, welche in dieſem Gebiete Inhalt und Form zu einander annehmen, und dann die Unterſchiede zu beſtimmen, die innerhalb derſelben hervortreten. Das Verhältniß ungetrennter Einheit, worin jene Elemente in aller reinen Kunſt verſchmolzen ſind, iſt gelöst; die Idee iſt aus dem Naturſtoffe, der dem Künſtler als Vorbild im Ganzen und Großen vorliegt, herausgezogen, der Künſtler denkt und weiß die Wirklichkeit als die ihrer Idee unangemeſſene und hat die Abſicht, den Zweck, ſie dieß durch ſein Werk in der Form der Anſchauung fühlen zu laſſen. Man verwechsle dieß nicht mit dem Bewußtſein der Unange- meſſenheit, das dem rein Komiſchen (wie dem Erhabenen) zu Grunde liegt. Dieſes Bewußtſein iſt als künſtleriſches Verhalten doch ganz naiv und ungetheilt in ſeinem Stoffe; jenes dagegen hat es nicht nur mit einer widerſtreitenden Grundform des Schönen überhaupt zu thun, ſondern widerſtreitet im Acte des künſtleriſchen Schaffens ſelbſt der Welt, wie ſie iſt, wie ſie empiriſch vorliegt; die reine Kunſt ſcheidet in unbefangener Stimmung, ohne Haß die Mängel derſelben aus und vergißt ſie harmlos über ihrem idea- len, ſei es auch komiſch idealen Abbilde, dieſe anhängende Kunſt hat und be- hält ſie im Auge, bekriegt, verfolgt ſie, packt und ſchüttelt ſie. Die erſte Form in dieſem Verhalten iſt die didaktiſche: der Gedanke wird in aus- geſprochener Abſicht direct vorgetragen, die Einkleidung kann daher nur allegoriſch oder bloßes Beiſpiel ſein. Dieſe Form iſt die kahlſte, ärmſte, der §. erwähnt ſie daher gar nicht; ſie wird uns erſt in der Poeſie wich- tiger. Freilich hat ſelbſt ein Karſtens Raum und Zeit nach Kant gemalt. Im Tendenz bilde verſteckt ſich die Lehre in eine Handlung, es trägt eine Idee vor, indem es die Uebel und Leiden aufzeigt, die da ausbrechen, wo die Wirklichkeit ihr unangemeſſen iſt; die Handlung iſt eigentlich auch nur Beiſpiel, aber ſie faßt und erſchüttert ſo ſtark, daß die Abſicht in der ſchneidend ernſten und erſchütternden Wirkung unvermerkt mitaufgeht. Bilder wie Hübners Weber und Wilderer ſind doch etwas ganz Anderes, als z. B. Hogarths Weg des Liederlichen und Rechtſchaffenen. Reine Kunſt iſt aber auch dieß nicht, denn ſolche Darſtellung ruht ja ganz auf jenem gelösten, negativen Verhältniſſe der äſthetiſchen Elemente; daher beunruhigt, ja peinigt ſie und ihre Bedeutung liegt nur in dem Beitrage, welchen der von ihr geweckte Grimm zur Macht des öffentlichen Unwillens gegen Mißbräuche, Vorrechte u. ſ. w. gibt. Der §. nennt auch dieſe Form nur im Uebergange zu einer andern, weil ſie wirklich doch ebenfalls zweifelhaft, wenig angebaut iſt. Auch im gelösten äſthetiſchen Verhältniß wird doch ein innigeres Band der Elemente gefordert, und dieß tritt ein, wo das, was im Didaktiſchen nackt allegoriſch oder mehr indirect, aber ſehr merklich durch Beiſpiele, im Tendenziöſen in unmerklicherem, aber peinlichem Ernſt der indirecten Abſichtlichkeit geſchieht, auf komiſchem
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Wir haben nun zuerſt die Stellung, welche in dieſem Gebiete Inhalt und
Form zu einander annehmen, und dann die Unterſchiede zu beſtimmen, die
innerhalb derſelben hervortreten. Das Verhältniß ungetrennter Einheit,
worin jene Elemente in aller reinen Kunſt verſchmolzen ſind, iſt gelöst;
die Idee iſt aus dem Naturſtoffe, der dem Künſtler als Vorbild im
Ganzen und Großen vorliegt, herausgezogen, der Künſtler denkt und weiß
die Wirklichkeit als die ihrer Idee unangemeſſene und hat die Abſicht, den
Zweck, ſie dieß durch ſein Werk in der Form der Anſchauung fühlen
zu laſſen. Man verwechsle dieß nicht mit dem Bewußtſein der Unange-
meſſenheit, das dem rein Komiſchen (wie dem Erhabenen) zu Grunde
liegt. Dieſes Bewußtſein iſt als künſtleriſches Verhalten doch ganz
naiv und ungetheilt in ſeinem Stoffe; jenes dagegen hat es nicht nur mit
einer widerſtreitenden Grundform des Schönen überhaupt zu thun, ſondern
widerſtreitet im Acte des künſtleriſchen Schaffens ſelbſt der Welt, wie ſie iſt,
wie ſie empiriſch vorliegt; die reine Kunſt ſcheidet in unbefangener Stimmung,
ohne Haß die Mängel derſelben aus und vergißt ſie harmlos über ihrem idea-
len, ſei es auch komiſch idealen Abbilde, dieſe anhängende Kunſt hat und be-
hält ſie im Auge, bekriegt, verfolgt ſie, packt und ſchüttelt ſie. Die erſte
Form in dieſem Verhalten iſt die didaktiſche: der Gedanke wird in aus-
geſprochener Abſicht direct vorgetragen, die Einkleidung kann daher nur
allegoriſch oder bloßes Beiſpiel ſein. Dieſe Form iſt die kahlſte, ärmſte,
der §. erwähnt ſie daher gar nicht; ſie wird uns erſt in der Poeſie wich-
tiger. Freilich hat ſelbſt ein Karſtens Raum und Zeit nach Kant gemalt.
Im Tendenz bilde verſteckt ſich die Lehre in eine Handlung, es trägt eine
Idee vor, indem es die Uebel und Leiden aufzeigt, die da ausbrechen, wo
die Wirklichkeit ihr unangemeſſen iſt; die Handlung iſt eigentlich auch nur
Beiſpiel, aber ſie faßt und erſchüttert ſo ſtark, daß die Abſicht in der
ſchneidend ernſten und erſchütternden Wirkung unvermerkt mitaufgeht.
Bilder wie Hübners Weber und Wilderer ſind doch etwas ganz Anderes,
als z. B. Hogarths Weg des Liederlichen und Rechtſchaffenen. Reine
Kunſt iſt aber auch dieß nicht, denn ſolche Darſtellung ruht ja ganz
auf jenem gelösten, negativen Verhältniſſe der äſthetiſchen Elemente; daher
beunruhigt, ja peinigt ſie und ihre Bedeutung liegt nur in dem Beitrage,
welchen der von ihr geweckte Grimm zur Macht des öffentlichen Unwillens
gegen Mißbräuche, Vorrechte u. ſ. w. gibt. Der §. nennt auch dieſe
Form nur im Uebergange zu einer andern, weil ſie wirklich doch ebenfalls
zweifelhaft, wenig angebaut iſt. Auch im gelösten äſthetiſchen Verhältniß
wird doch ein innigeres Band der Elemente gefordert, und dieß tritt ein,
wo das, was im Didaktiſchen nackt allegoriſch oder mehr indirect, aber
ſehr merklich durch Beiſpiele, im Tendenziöſen in unmerklicherem, aber
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 757. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/265>, abgerufen am 16.07.2024.
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