Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
Wege vollzogen wird. Dabei bleibt der Unterschied von der Komik der
Wege vollzogen wird. Dabei bleibt der Unterſchied von der Komik der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0266" n="758"/> Wege vollzogen wird. Dabei bleibt der Unterſchied von der Komik der<lb/> reinen Kunſt unverändert ſtehen: zwar entlehnt eben dieſe Gattung das<lb/> Verfahren einer äſthetiſchen Grundform, behält aber den Standpunct der<lb/> Züchtigung der empiriſchen Wirklichkeit, die Tendenz iſt zum Fermente<lb/> geworden, das die Formen verzerrend auftreibt, in ein chemiſches Agens<lb/> verwandelt, eigentlich aber doch nicht verſchwunden. Dieß alſo iſt das<lb/><hi rendition="#g">Satyriſche</hi>: es wird „die wahre Idee der unwahren Geſtalt als Folie<lb/> untergelegt im Sinne der Komik“ (§. 547). Doch kehrt der Gegenſatz<lb/> des fühlbar Tendenziöſen und des in komiſche Wirkung verſenkten Ten-<lb/> denziöſen im Satyriſchen ſelbſt wieder, und zwar als Unterſchied der bitter<lb/> lachenden, ſcharf geiſelnden und derjenigen Satyre, welche zwar auch die<lb/> verkehrte Welt verfolgt und beißt, aber doch ſchon dem freieren Spiele<lb/> der reinen, zweck- und tendenzloſen Komik ſich nähert, welche ihr Auge<lb/> vom Schädlichen und Verderblichen abwendet und mit hellem Lachen nur<lb/> die Thorheit aufdeckt. An dieſer Grenze entſteht denn ein großes Ge-<lb/> dränge, eine Maſſe von Formen, Darſtellungen bricht hervor, welche man<lb/> eigentlich nicht mehr Satyre nennen kann und doch gemeinhin unter dem<lb/> Namen „Caricatur“ mit dieſer zuſammenfaßt, von deſſen geläufiger Gleich-<lb/> bedeutung mit Satyre im Gebiete der Malerei der Grund bereits angedeutet<lb/> iſt. Es ſind dem größeren Umfange nach humoriſtiſche Sittenbilder;<lb/> ſehr gerne wird bei dieſen, wie im reinen Sittenbilde, mythiſches Motiv<lb/> benützt, das aber nun komiſch mythiſch, hiemit phantaſtiſch auftritt. Dieſe<lb/> Form iſt aber, wie ſich nachher ausdrücklich zeigen wird, nichts Anderes,<lb/> als ein äußerſtes Maaß der Ueberladung des Charakteriſtiſchen, und in<lb/> dieſer liegt denn eben die Linie, die ſolche humoriſtiſche Sittenbilder nebſt der<lb/> gutmüthigeren Satyre, an die ſie ſich in unmerklichem Uebergang ſchließen,<lb/> von demjenigen Zweige der reinen Kunſt ſcheidet, der ohne Rückhalt dieſen<lb/> Namen verdient: ſie übertreiben insgeſammt wie die harte Satyre das<lb/> Charakteriſtiſche in einem Grade, den die reine Kunſt auch im Komiſchen<lb/> meidet; durch dieſe Steigerung verrathen ſie eine Schärfe, die doch auch<lb/> ihren Grund in jener Löſung und Lockerung des äſthetiſchen Bandes hat,<lb/> ſie zeigen, daß der Künſtler doch außerhalb des Stoffes ſteht, der empi-<lb/> riſchen Welt gegenübertritt, ſie als ſolche von außen faßt und rüttelt.<lb/> Wer äſthetiſch im Stoffe bleibt, übertreibt in ſolcher Weiſe auch im Komi-<lb/> ſchen nicht, ſondern hält ſich mild und mäßig; das iſt in §. 684, <hi rendition="#sub">2.</hi> ge-<lb/> ſagt. Nur die Poeſie hat die Mittel, auf der Grundlage der Uebertreibung<lb/> doch zugleich das Ganze eines Kunſtwerks in die höhere, rein äſthetiſche<lb/> Komik, in den zweckloſen Wahnſinn des vollen Humors hinaufzuführen<lb/> (Ariſtophanes); die Malerei entfeſſelt die Schärfe und Kühnheit der<lb/> Komik, den Ausbruch des lauten Gelächters nur in dieſem anhängenden<lb/> Zweig, in der Caricatur. Ueberdieß binden ſich dieſe humoriſtiſchen Sit-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [758/0266]
Wege vollzogen wird. Dabei bleibt der Unterſchied von der Komik der
reinen Kunſt unverändert ſtehen: zwar entlehnt eben dieſe Gattung das
Verfahren einer äſthetiſchen Grundform, behält aber den Standpunct der
Züchtigung der empiriſchen Wirklichkeit, die Tendenz iſt zum Fermente
geworden, das die Formen verzerrend auftreibt, in ein chemiſches Agens
verwandelt, eigentlich aber doch nicht verſchwunden. Dieß alſo iſt das
Satyriſche: es wird „die wahre Idee der unwahren Geſtalt als Folie
untergelegt im Sinne der Komik“ (§. 547). Doch kehrt der Gegenſatz
des fühlbar Tendenziöſen und des in komiſche Wirkung verſenkten Ten-
denziöſen im Satyriſchen ſelbſt wieder, und zwar als Unterſchied der bitter
lachenden, ſcharf geiſelnden und derjenigen Satyre, welche zwar auch die
verkehrte Welt verfolgt und beißt, aber doch ſchon dem freieren Spiele
der reinen, zweck- und tendenzloſen Komik ſich nähert, welche ihr Auge
vom Schädlichen und Verderblichen abwendet und mit hellem Lachen nur
die Thorheit aufdeckt. An dieſer Grenze entſteht denn ein großes Ge-
dränge, eine Maſſe von Formen, Darſtellungen bricht hervor, welche man
eigentlich nicht mehr Satyre nennen kann und doch gemeinhin unter dem
Namen „Caricatur“ mit dieſer zuſammenfaßt, von deſſen geläufiger Gleich-
bedeutung mit Satyre im Gebiete der Malerei der Grund bereits angedeutet
iſt. Es ſind dem größeren Umfange nach humoriſtiſche Sittenbilder;
ſehr gerne wird bei dieſen, wie im reinen Sittenbilde, mythiſches Motiv
benützt, das aber nun komiſch mythiſch, hiemit phantaſtiſch auftritt. Dieſe
Form iſt aber, wie ſich nachher ausdrücklich zeigen wird, nichts Anderes,
als ein äußerſtes Maaß der Ueberladung des Charakteriſtiſchen, und in
dieſer liegt denn eben die Linie, die ſolche humoriſtiſche Sittenbilder nebſt der
gutmüthigeren Satyre, an die ſie ſich in unmerklichem Uebergang ſchließen,
von demjenigen Zweige der reinen Kunſt ſcheidet, der ohne Rückhalt dieſen
Namen verdient: ſie übertreiben insgeſammt wie die harte Satyre das
Charakteriſtiſche in einem Grade, den die reine Kunſt auch im Komiſchen
meidet; durch dieſe Steigerung verrathen ſie eine Schärfe, die doch auch
ihren Grund in jener Löſung und Lockerung des äſthetiſchen Bandes hat,
ſie zeigen, daß der Künſtler doch außerhalb des Stoffes ſteht, der empi-
riſchen Welt gegenübertritt, ſie als ſolche von außen faßt und rüttelt.
Wer äſthetiſch im Stoffe bleibt, übertreibt in ſolcher Weiſe auch im Komi-
ſchen nicht, ſondern hält ſich mild und mäßig; das iſt in §. 684, 2. ge-
ſagt. Nur die Poeſie hat die Mittel, auf der Grundlage der Uebertreibung
doch zugleich das Ganze eines Kunſtwerks in die höhere, rein äſthetiſche
Komik, in den zweckloſen Wahnſinn des vollen Humors hinaufzuführen
(Ariſtophanes); die Malerei entfeſſelt die Schärfe und Kühnheit der
Komik, den Ausbruch des lauten Gelächters nur in dieſem anhängenden
Zweig, in der Caricatur. Ueberdieß binden ſich dieſe humoriſtiſchen Sit-
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