sie sich nicht leicht damit, sie setzt die Figur in Handlung. Die Handlung kann einfach sich selbst bedeuten und entspricht dann der Posse; allein die Schärfe der Caricatur beschränkt sich auch darauf nicht leicht, ihr Hauptgebiet ist das des Witzes, wo denn die Handlung nicht sich selbst, sondern Anderes bedeutet. So durchläuft sie nun von dem Boden der gemeinschaftlichen Hauptform, der Ueberladung, die verschiedenen Formen des Witzes in einer Weise, wie es die Malerei als reine Kunst nicht kann, weil sie das Wort nicht zu Hülfe nimmt und ebensowenig ohne Hülfe des Worts blos vergleichend, allegorisirend verfahren will: Klang-Wortspiel, Sinn-Wortspiel, reines logisches Spiel (vergl. §. 198), bildlicher oder vergleichender Witz, Ironie: in allen diesen Formen wirft sie sich umher. Ja die Caricatur benützt nicht blos den Witz, sondern der Witz die Cari- catur, da er gern durch bloße Zeichen spricht, vergl. §. 193, 1. Die herrschende Form ist natürlich der vergleichende Witz und da zeigt sie die Stärke der bildenden Kunst, indem sie das "Wie" wegläßt und uns zwingt, das zur Vergleichung Beigezogene für die Sache selbst zu nehmen, wäh- rend wir doch gleichzeitig wissen, daß es nicht so ist, sondern der verlachte Gegenstand nur durch irgend einen Vergleichungspunct auf das sehr Ent- legene, was hier seine Stelle vertritt, bezogen werden kann. Wir ver- zichten ungerne darauf, die Hauptformen an der Hand schlagender Beispiele aus der reichen Welt dieses so äzend scharfen und doch so lustigen Ge- biets zu durchwandern, und beschränken uns auf einige Winke. Neben dem realen Stoffgebiete steht der Caricatur die ganze Welt der Kunst, Poesie, Fabel offen, um daraus das Bild zu entnehmen, woraus die Pointe hervorspringen soll. So gab Manuel, der beißende Possendichter und Caricaturenzeichner der Reformation, eine Auferstehung Christi nach herkömmlicher malerischer Behandlung des Gegenstands, worauf man statt der kriegerischen Hüter des Grabes Pfaffen sieht, die es sich mit ihren Dirnen wohl sein ließen und nun aufgeschreckt fliehen; so gab die "Cari- cature" das Abendmahl nach Leonardo da Vinci: in der Mitte sitzt die allegorische Figur Frankreichs oder der Freiheit mit der Geberde Christi, welche die bekannten Worte ausdrückt, Judas Ischarioth ist L. Philipp, auf seinem Beutel steht liste civile, statt des Salzfasses stößt er einen Teller voll Birnen um, auch die andern Figuren tragen die Züge politi- scher Persönlichkeiten; die fliegenden Blätter gaben ein Bild "der Tanz nach Noten": der russische Bär spielt als Orpheus auf, die deutschen Wappenthiere tanzen danach; hier sieht man in der Benützung classischen Sagen- und Kunststoffes zugleich das Wortspiel und in der Behandlung der Wappenthiere eine beliebte Form der Caricatur, wodurch sich dieselbe wieder deutlich von der reinen Kunst unterscheidet: ein Symbol wird be- nützt, aber zugleich wieder mit seinem Gegenstande verwechselt, indem
ſie ſich nicht leicht damit, ſie ſetzt die Figur in Handlung. Die Handlung kann einfach ſich ſelbſt bedeuten und entſpricht dann der Poſſe; allein die Schärfe der Caricatur beſchränkt ſich auch darauf nicht leicht, ihr Hauptgebiet iſt das des Witzes, wo denn die Handlung nicht ſich ſelbſt, ſondern Anderes bedeutet. So durchläuft ſie nun von dem Boden der gemeinſchaftlichen Hauptform, der Ueberladung, die verſchiedenen Formen des Witzes in einer Weiſe, wie es die Malerei als reine Kunſt nicht kann, weil ſie das Wort nicht zu Hülfe nimmt und ebenſowenig ohne Hülfe des Worts blos vergleichend, allegoriſirend verfahren will: Klang-Wortſpiel, Sinn-Wortſpiel, reines logiſches Spiel (vergl. §. 198), bildlicher oder vergleichender Witz, Ironie: in allen dieſen Formen wirft ſie ſich umher. Ja die Caricatur benützt nicht blos den Witz, ſondern der Witz die Cari- catur, da er gern durch bloße Zeichen ſpricht, vergl. §. 193, 1. Die herrſchende Form iſt natürlich der vergleichende Witz und da zeigt ſie die Stärke der bildenden Kunſt, indem ſie das „Wie“ wegläßt und uns zwingt, das zur Vergleichung Beigezogene für die Sache ſelbſt zu nehmen, wäh- rend wir doch gleichzeitig wiſſen, daß es nicht ſo iſt, ſondern der verlachte Gegenſtand nur durch irgend einen Vergleichungspunct auf das ſehr Ent- legene, was hier ſeine Stelle vertritt, bezogen werden kann. Wir ver- zichten ungerne darauf, die Hauptformen an der Hand ſchlagender Beiſpiele aus der reichen Welt dieſes ſo äzend ſcharfen und doch ſo luſtigen Ge- biets zu durchwandern, und beſchränken uns auf einige Winke. Neben dem realen Stoffgebiete ſteht der Caricatur die ganze Welt der Kunſt, Poeſie, Fabel offen, um daraus das Bild zu entnehmen, woraus die Pointe hervorſpringen ſoll. So gab Manuel, der beißende Poſſendichter und Caricaturenzeichner der Reformation, eine Auferſtehung Chriſti nach herkömmlicher maleriſcher Behandlung des Gegenſtands, worauf man ſtatt der kriegeriſchen Hüter des Grabes Pfaffen ſieht, die es ſich mit ihren Dirnen wohl ſein ließen und nun aufgeſchreckt fliehen; ſo gab die „Cari- cature“ das Abendmahl nach Leonardo da Vinci: in der Mitte ſitzt die allegoriſche Figur Frankreichs oder der Freiheit mit der Geberde Chriſti, welche die bekannten Worte ausdrückt, Judas Iſcharioth iſt L. Philipp, auf ſeinem Beutel ſteht liste civile, ſtatt des Salzfaſſes ſtößt er einen Teller voll Birnen um, auch die andern Figuren tragen die Züge politi- ſcher Perſönlichkeiten; die fliegenden Blätter gaben ein Bild „der Tanz nach Noten“: der ruſſiſche Bär ſpielt als Orpheus auf, die deutſchen Wappenthiere tanzen danach; hier ſieht man in der Benützung claſſiſchen Sagen- und Kunſtſtoffes zugleich das Wortſpiel und in der Behandlung der Wappenthiere eine beliebte Form der Caricatur, wodurch ſich dieſelbe wieder deutlich von der reinen Kunſt unterſcheidet: ein Symbol wird be- nützt, aber zugleich wieder mit ſeinem Gegenſtande verwechſelt, indem
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ſie ſich nicht leicht damit, ſie ſetzt die Figur in Handlung. Die Handlung
kann einfach ſich ſelbſt bedeuten und entſpricht dann der Poſſe; allein
die Schärfe der Caricatur beſchränkt ſich auch darauf nicht leicht, ihr
Hauptgebiet iſt das des Witzes, wo denn die Handlung nicht ſich ſelbſt,
ſondern Anderes bedeutet. So durchläuft ſie nun von dem Boden der
gemeinſchaftlichen Hauptform, der Ueberladung, die verſchiedenen Formen
des Witzes in einer Weiſe, wie es die Malerei als reine Kunſt nicht kann,
weil ſie das Wort nicht zu Hülfe nimmt und ebenſowenig ohne Hülfe des
Worts blos vergleichend, allegoriſirend verfahren will: Klang-Wortſpiel,
Sinn-Wortſpiel, reines logiſches Spiel (vergl. §. 198), bildlicher oder
vergleichender Witz, Ironie: in allen dieſen Formen wirft ſie ſich umher.
Ja die Caricatur benützt nicht blos den Witz, ſondern der Witz die Cari-
catur, da er gern durch bloße Zeichen ſpricht, vergl. §. 193, 1. Die
herrſchende Form iſt natürlich der vergleichende Witz und da zeigt ſie die
Stärke der bildenden Kunſt, indem ſie das „Wie“ wegläßt und uns zwingt,
das zur Vergleichung Beigezogene für die Sache ſelbſt zu nehmen, wäh-
rend wir doch gleichzeitig wiſſen, daß es nicht ſo iſt, ſondern der verlachte
Gegenſtand nur durch irgend einen Vergleichungspunct auf das ſehr Ent-
legene, was hier ſeine Stelle vertritt, bezogen werden kann. Wir ver-
zichten ungerne darauf, die Hauptformen an der Hand ſchlagender Beiſpiele
aus der reichen Welt dieſes ſo äzend ſcharfen und doch ſo luſtigen Ge-
biets zu durchwandern, und beſchränken uns auf einige Winke. Neben
dem realen Stoffgebiete ſteht der Caricatur die ganze Welt der Kunſt,
Poeſie, Fabel offen, um daraus das Bild zu entnehmen, woraus die
Pointe hervorſpringen ſoll. So gab Manuel, der beißende Poſſendichter
und Caricaturenzeichner der Reformation, eine Auferſtehung Chriſti nach
herkömmlicher maleriſcher Behandlung des Gegenſtands, worauf man ſtatt
der kriegeriſchen Hüter des Grabes Pfaffen ſieht, die es ſich mit ihren
Dirnen wohl ſein ließen und nun aufgeſchreckt fliehen; ſo gab die „Cari-
cature“ das Abendmahl nach Leonardo da Vinci: in der Mitte ſitzt die
allegoriſche Figur Frankreichs oder der Freiheit mit der Geberde Chriſti,
welche die bekannten Worte ausdrückt, Judas Iſcharioth iſt L. Philipp,
auf ſeinem Beutel ſteht liste civile, ſtatt des Salzfaſſes ſtößt er einen
Teller voll Birnen um, auch die andern Figuren tragen die Züge politi-
ſcher Perſönlichkeiten; die fliegenden Blätter gaben ein Bild „der Tanz
nach Noten“: der ruſſiſche Bär ſpielt als Orpheus auf, die deutſchen
Wappenthiere tanzen danach; hier ſieht man in der Benützung claſſiſchen
Sagen- und Kunſtſtoffes zugleich das Wortſpiel und in der Behandlung
der Wappenthiere eine beliebte Form der Caricatur, wodurch ſich dieſelbe
wieder deutlich von der reinen Kunſt unterſcheidet: ein Symbol wird be-
nützt, aber zugleich wieder mit ſeinem Gegenſtande verwechſelt, indem
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 760. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/268>, abgerufen am 16.07.2024.
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