Bedeutung (§. 652), den Charakter des Fortleitenden; ein vertrocknetes Flüssiges, bestimmt sie das Auge, von den Härten der Form fortzufließen. Der zugegebene Raum, das allgemeine Medium der Luft mildert alle Umrisse, die einzelne geschlossene Bildung schwimmt im allgemeinen Flusse. Die Mängel und Verkehrungen der Gestalt und Bewegung finden ferner, so oft die Malerei ihre Freiheit in Vereinigung vieler Gestalten und viel- fältiger Bewegungen benützt, ihre Auflösung in deren Wechsel-Ergänzung; die Figuren helfen sozusagen einander aus. Da Vielheit und Bewegtheit um Darstellung einer Handlung willen entfaltet werden, so ist es nament- lich die Aufmerksamkeit auf diese, was das Auge vom Formlosen oder Formwidrigen der einzelnen Bildung ablenkt. Dieser letzte bedeutendste Grund führt aber auch bereits aus der äußerlichen, nur negativen Be- trachtung heraus. Alle diese Mittel und Erweiterungen schafft sich ja die Malerei, um ihre Art der Auffassung im Kunstwerk niederzulegen, das technisch Bedingte fließt auch hier aus dem geistigen Prinzip. Ihr Prinzip ist die Auffassung im Lichte der Innerlichkeit, welche durch ein Mißverhältniß des Aeußern zum Innern, das von unbedeutenderen Män- geln bis zur Verkehrung fortgeht, gerade die Kraft des Accents doppelt stark auf das letztere wirft. Wo nun das Mißverhältniß zum vollen Aus- druck kommt, muß der Sieg des Innern in der Form des Erhabenen oder Komischen auftreten, und somit erhellt, daß die Malerei diese Formen (und mit ihnen natürlich ihre Voraussetzung, das Häßliche) nicht blos zuläßt, sondern will. Es ist namentlich das Komische, worin die Malerei sich ungleich weiter und freier bewegt, als die Bildnerkunst (vergl. §. 634), denn dieses ist ja die subjectivere unter den widerstreitenden Gestaltungen des Schönen; durch das Vorwiegen des Ausdrucks im Kunstwerke sind dem Zuschauer die Mittel zu jener Leihung, welche der komische Prozeß voraussetzt, in vollem Maaße an die Hand gegeben; dadurch wird der nöthige Anhalt an Subjectivität selbst dem Thiere zugelegt und die häß- lich komische Thierwelt, den Affen an der Spitze, springt in den Rahmen der Kunst herein. Erhaben ist die Bildnerkunst durch ihre Substantialität und Charakterwucht recht ausdrücklich, wir sahen, wie sie das Furcht- bare, das Tragische ergreift; aber das Erhabene selbst wird hier vom Standpuncte des einfach Schönen behandelt, wogegen die über den scharf ausgesprochenen Bruch herüberstrahlende geistige Erhabenheit oder Furcht- barkeit im Malerischen die Negativität im Wesen des Erhabenen zur vollen Entscheidung führt und daher die freieren, geistigeren Formen des Erhabenen des Subjects, die tieferen Kämpfe des Tragischen in erweiter- tem Umfang anbaut. Der harmlosen Grazie des einfach Schönen ist der Maler darum, weil sie nicht das Bestimmende seines Standpuncts bildet, natürlich nicht abhold, aber man kann sagen, er stellte sie in einem gewissen
Bedeutung (§. 652), den Charakter des Fortleitenden; ein vertrocknetes Flüſſiges, beſtimmt ſie das Auge, von den Härten der Form fortzufließen. Der zugegebene Raum, das allgemeine Medium der Luft mildert alle Umriſſe, die einzelne geſchloſſene Bildung ſchwimmt im allgemeinen Fluſſe. Die Mängel und Verkehrungen der Geſtalt und Bewegung finden ferner, ſo oft die Malerei ihre Freiheit in Vereinigung vieler Geſtalten und viel- fältiger Bewegungen benützt, ihre Auflöſung in deren Wechſel-Ergänzung; die Figuren helfen ſozuſagen einander aus. Da Vielheit und Bewegtheit um Darſtellung einer Handlung willen entfaltet werden, ſo iſt es nament- lich die Aufmerkſamkeit auf dieſe, was das Auge vom Formloſen oder Formwidrigen der einzelnen Bildung ablenkt. Dieſer letzte bedeutendſte Grund führt aber auch bereits aus der äußerlichen, nur negativen Be- trachtung heraus. Alle dieſe Mittel und Erweiterungen ſchafft ſich ja die Malerei, um ihre Art der Auffaſſung im Kunſtwerk niederzulegen, das techniſch Bedingte fließt auch hier aus dem geiſtigen Prinzip. Ihr Prinzip iſt die Auffaſſung im Lichte der Innerlichkeit, welche durch ein Mißverhältniß des Aeußern zum Innern, das von unbedeutenderen Män- geln bis zur Verkehrung fortgeht, gerade die Kraft des Accents doppelt ſtark auf das letztere wirft. Wo nun das Mißverhältniß zum vollen Aus- druck kommt, muß der Sieg des Innern in der Form des Erhabenen oder Komiſchen auftreten, und ſomit erhellt, daß die Malerei dieſe Formen (und mit ihnen natürlich ihre Vorausſetzung, das Häßliche) nicht blos zuläßt, ſondern will. Es iſt namentlich das Komiſche, worin die Malerei ſich ungleich weiter und freier bewegt, als die Bildnerkunſt (vergl. §. 634), denn dieſes iſt ja die ſubjectivere unter den widerſtreitenden Geſtaltungen des Schönen; durch das Vorwiegen des Ausdrucks im Kunſtwerke ſind dem Zuſchauer die Mittel zu jener Leihung, welche der komiſche Prozeß vorausſetzt, in vollem Maaße an die Hand gegeben; dadurch wird der nöthige Anhalt an Subjectivität ſelbſt dem Thiere zugelegt und die häß- lich komiſche Thierwelt, den Affen an der Spitze, ſpringt in den Rahmen der Kunſt herein. Erhaben iſt die Bildnerkunſt durch ihre Subſtantialität und Charakterwucht recht ausdrücklich, wir ſahen, wie ſie das Furcht- bare, das Tragiſche ergreift; aber das Erhabene ſelbſt wird hier vom Standpuncte des einfach Schönen behandelt, wogegen die über den ſcharf ausgeſprochenen Bruch herüberſtrahlende geiſtige Erhabenheit oder Furcht- barkeit im Maleriſchen die Negativität im Weſen des Erhabenen zur vollen Entſcheidung führt und daher die freieren, geiſtigeren Formen des Erhabenen des Subjects, die tieferen Kämpfe des Tragiſchen in erweiter- tem Umfang anbaut. Der harmloſen Grazie des einfach Schönen iſt der Maler darum, weil ſie nicht das Beſtimmende ſeines Standpuncts bildet, natürlich nicht abhold, aber man kann ſagen, er ſtellte ſie in einem gewiſſen
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Bedeutung (§. 652), den Charakter des Fortleitenden; ein vertrocknetes
Flüſſiges, beſtimmt ſie das Auge, von den Härten der Form fortzufließen.
Der zugegebene Raum, das allgemeine Medium der Luft mildert alle
Umriſſe, die einzelne geſchloſſene Bildung ſchwimmt im allgemeinen Fluſſe.
Die Mängel und Verkehrungen der Geſtalt und Bewegung finden ferner,
ſo oft die Malerei ihre Freiheit in Vereinigung vieler Geſtalten und viel-
fältiger Bewegungen benützt, ihre Auflöſung in deren Wechſel-Ergänzung;
die Figuren helfen ſozuſagen einander aus. Da Vielheit und Bewegtheit
um Darſtellung einer Handlung willen entfaltet werden, ſo iſt es nament-
lich die Aufmerkſamkeit auf dieſe, was das Auge vom Formloſen oder
Formwidrigen der einzelnen Bildung ablenkt. Dieſer letzte bedeutendſte
Grund führt aber auch bereits aus der äußerlichen, nur negativen Be-
trachtung heraus. Alle dieſe Mittel und Erweiterungen ſchafft ſich ja die
Malerei, um ihre Art der Auffaſſung im Kunſtwerk niederzulegen, das
techniſch Bedingte fließt auch hier aus dem geiſtigen Prinzip. Ihr
Prinzip iſt die Auffaſſung im Lichte der Innerlichkeit, welche durch ein
Mißverhältniß des Aeußern zum Innern, das von unbedeutenderen Män-
geln bis zur Verkehrung fortgeht, gerade die Kraft des Accents doppelt
ſtark auf das letztere wirft. Wo nun das Mißverhältniß zum vollen Aus-
druck kommt, muß der Sieg des Innern in der Form des Erhabenen oder
Komiſchen auftreten, und ſomit erhellt, daß die Malerei dieſe Formen
(und mit ihnen natürlich ihre Vorausſetzung, das Häßliche) nicht blos
zuläßt, ſondern will. Es iſt namentlich das Komiſche, worin die Malerei
ſich ungleich weiter und freier bewegt, als die Bildnerkunſt (vergl. §. 634),
denn dieſes iſt ja die ſubjectivere unter den widerſtreitenden Geſtaltungen
des Schönen; durch das Vorwiegen des Ausdrucks im Kunſtwerke ſind
dem Zuſchauer die Mittel zu jener Leihung, welche der komiſche Prozeß
vorausſetzt, in vollem Maaße an die Hand gegeben; dadurch wird der
nöthige Anhalt an Subjectivität ſelbſt dem Thiere zugelegt und die häß-
lich komiſche Thierwelt, den Affen an der Spitze, ſpringt in den Rahmen
der Kunſt herein. Erhaben iſt die Bildnerkunſt durch ihre Subſtantialität
und Charakterwucht recht ausdrücklich, wir ſahen, wie ſie das Furcht-
bare, das Tragiſche ergreift; aber das Erhabene ſelbſt wird hier vom
Standpuncte des einfach Schönen behandelt, wogegen die über den ſcharf
ausgeſprochenen Bruch herüberſtrahlende geiſtige Erhabenheit oder Furcht-
barkeit im Maleriſchen die Negativität im Weſen des Erhabenen zur
vollen Entſcheidung führt und daher die freieren, geiſtigeren Formen des
Erhabenen des Subjects, die tieferen Kämpfe des Tragiſchen in erweiter-
tem Umfang anbaut. Der harmloſen Grazie des einfach Schönen iſt der
Maler darum, weil ſie nicht das Beſtimmende ſeines Standpuncts bildet,
natürlich nicht abhold, aber man kann ſagen, er ſtellte ſie in einem gewiſſen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/40>, abgerufen am 16.07.2024.
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