Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
begnügen und nicht das tiefere, sondern nur das gewöhnliche, triviale §. 677. In seiner Anwendung auf die landschaftliche Schönheit fordert dieses
begnügen und nicht das tiefere, ſondern nur das gewöhnliche, triviale §. 677. In ſeiner Anwendung auf die landſchaftliche Schönheit fordert dieſes <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0089" n="581"/> begnügen und nicht das tiefere, ſondern nur das gewöhnliche, triviale<lb/> Seelenleben darſtellen; das Beſtreben, die Fülle des realen Scheins der<lb/> Dinge zu geben, kann ihn in der Einzelheit geiſtlos feſthalten, er läßt<lb/> den Spiritus weg und klebt phlegmatiſch am Boden der empiriſchen Wirk-<lb/> lichkeit. Von da bieten ſich wieder beſondere Abwege: den Mangel tiefen<lb/> Gehalts, wahrhaft erhebender Wirkung kann er durch die pikanten Reize<lb/> des Graſſen (wovon ſpäter) oder des Lüſternen (§. 652 Schluß d. Anm.)<lb/> zu erſetzen ſuchen. — Aus dieſen Verirrungen erhellt alſo, daß beide<lb/> Style ſich gegenſeitig mitzutheilen, von einander zu lernen haben. Aber<lb/> nicht nur dieß. Die innere Einheit des Weſens der Malerei, im Ver-<lb/> fahren dargeſtellt als Einheit der Zeichnung und Farbe, ſetzt begriffsge-<lb/> mäß die wirkliche Aufhebung des Gegenſatzes zum Ziel. Jedoch auch<lb/> das Streben nach dieſem Ziel kann die Bewegung nie abſchließen: das<lb/> Erreichte muß ſelbſt wieder als ein nur Relatives erſcheinen, ſelbſt wieder<lb/> auf eine Seite des Gegenſatzes fallen und das Streben beginnt wieder<lb/> von vornen. Dieß Alles wird die Geſchichte unſerer Kunſt in voller<lb/> Wirklichkeit zeigen; in der That haben wir dieſelbe mit dieſer Betrachtung<lb/> vorbereitet, aber ihr nicht vorgegriffen; das Bild dieſer gegenſätzlichen,<lb/> das erreichte Ziel der Verſöhnung immer wieder in neuen Weiſen neu<lb/> aufſtellenden Bewegung iſt an ſich und abgeſehen von den empiriſchen Fac-<lb/> toren der Kunſtgeſchichte die Erſcheinung des innern Weſens unſerer, im<lb/> Grunde jeder Kunſt, und der richtige Begriff davon iſt ſchon für die<lb/> Styl-Lehre und die Lehre von den Zweigen eine unentbehrliche Voraus-<lb/> ſetzung. — Schließlich noch eine Bemerkung im Rückblick auf §. 532 und<lb/> 614. Zum erſteren §. iſt geſagt: „man drückt durch das Wort Styliſiren<lb/> eine Idealität der Formenbehandlung aus, von der es fraglich iſt, ob ſie<lb/><hi rendition="#g">dieſer</hi> Kunſt, <hi rendition="#g">dieſem</hi> Kunſtzweig <hi rendition="#g">zuſage</hi>, ob ſie nicht vielleicht in einem<lb/> gewiſſen Sinn <hi rendition="#g">zu ſchön</hi>, auf Koſten der Individualität ſchön ſei u. ſ. w.;<lb/> im andern §. iſt geſagt, daß der Styl der Plaſtik mit dem Begriffe<lb/> des Styls in ſeiner intenſiven Bedeutung beſonders innig und unmittelbar<lb/> zuſammenfalle. Dieß beſtätigt ſich und findet lehrreiche Beleuchtung in<lb/> der Malerei. Redet man hier von Styliſiren, ſo hat man eine Formen-<lb/> gebung im Auge, die an das ſtrengere Geſetz der Plaſtik gemahnt, und<lb/> es kann dieß ein Lob ſein, aber der Tadel liegt nahe, weil, wenn man<lb/> Styl im <hi rendition="#g">emphatiſchen</hi> Sinne nimmt, die Malerei eben nicht ſtyliſirt<lb/> oder doch dem Styliſiren nur eine eingeſchränkte Berechtigung einräumt.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 677.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">In ſeiner Anwendung auf die <hi rendition="#g">landſchaftliche</hi> Schönheit fordert dieſes<lb/> oberſte Stylgeſetz örtliche Phyſiognomie, öffnet das Reich der Zufälligkeiten,<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [581/0089]
begnügen und nicht das tiefere, ſondern nur das gewöhnliche, triviale
Seelenleben darſtellen; das Beſtreben, die Fülle des realen Scheins der
Dinge zu geben, kann ihn in der Einzelheit geiſtlos feſthalten, er läßt
den Spiritus weg und klebt phlegmatiſch am Boden der empiriſchen Wirk-
lichkeit. Von da bieten ſich wieder beſondere Abwege: den Mangel tiefen
Gehalts, wahrhaft erhebender Wirkung kann er durch die pikanten Reize
des Graſſen (wovon ſpäter) oder des Lüſternen (§. 652 Schluß d. Anm.)
zu erſetzen ſuchen. — Aus dieſen Verirrungen erhellt alſo, daß beide
Style ſich gegenſeitig mitzutheilen, von einander zu lernen haben. Aber
nicht nur dieß. Die innere Einheit des Weſens der Malerei, im Ver-
fahren dargeſtellt als Einheit der Zeichnung und Farbe, ſetzt begriffsge-
mäß die wirkliche Aufhebung des Gegenſatzes zum Ziel. Jedoch auch
das Streben nach dieſem Ziel kann die Bewegung nie abſchließen: das
Erreichte muß ſelbſt wieder als ein nur Relatives erſcheinen, ſelbſt wieder
auf eine Seite des Gegenſatzes fallen und das Streben beginnt wieder
von vornen. Dieß Alles wird die Geſchichte unſerer Kunſt in voller
Wirklichkeit zeigen; in der That haben wir dieſelbe mit dieſer Betrachtung
vorbereitet, aber ihr nicht vorgegriffen; das Bild dieſer gegenſätzlichen,
das erreichte Ziel der Verſöhnung immer wieder in neuen Weiſen neu
aufſtellenden Bewegung iſt an ſich und abgeſehen von den empiriſchen Fac-
toren der Kunſtgeſchichte die Erſcheinung des innern Weſens unſerer, im
Grunde jeder Kunſt, und der richtige Begriff davon iſt ſchon für die
Styl-Lehre und die Lehre von den Zweigen eine unentbehrliche Voraus-
ſetzung. — Schließlich noch eine Bemerkung im Rückblick auf §. 532 und
614. Zum erſteren §. iſt geſagt: „man drückt durch das Wort Styliſiren
eine Idealität der Formenbehandlung aus, von der es fraglich iſt, ob ſie
dieſer Kunſt, dieſem Kunſtzweig zuſage, ob ſie nicht vielleicht in einem
gewiſſen Sinn zu ſchön, auf Koſten der Individualität ſchön ſei u. ſ. w.;
im andern §. iſt geſagt, daß der Styl der Plaſtik mit dem Begriffe
des Styls in ſeiner intenſiven Bedeutung beſonders innig und unmittelbar
zuſammenfalle. Dieß beſtätigt ſich und findet lehrreiche Beleuchtung in
der Malerei. Redet man hier von Styliſiren, ſo hat man eine Formen-
gebung im Auge, die an das ſtrengere Geſetz der Plaſtik gemahnt, und
es kann dieß ein Lob ſein, aber der Tadel liegt nahe, weil, wenn man
Styl im emphatiſchen Sinne nimmt, die Malerei eben nicht ſtyliſirt
oder doch dem Styliſiren nur eine eingeſchränkte Berechtigung einräumt.
§. 677.
In ſeiner Anwendung auf die landſchaftliche Schönheit fordert dieſes
oberſte Stylgeſetz örtliche Phyſiognomie, öffnet das Reich der Zufälligkeiten,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |