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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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binationen der Instrumente; jene concreten Gattungen können sich dieser
Combinationen jede in ihrer Weise bis zu einem gewissen Umfang bedienen,
es kann z. B. ebensogut Clavier- als Trompeten-, Harmonie (Bläserchor)-,
Orchestermärsche geben, und sie setzen daher die Lehre von den verschiedenen
Combinationen bereits voraus (wie das Lied, der Chor die Lehre von
Melodie, Harmonie, Polyphonie voraussetzte). Zunächst ist also hierauf
einzugehen, welche Bedeutung dem Solo-, dem mehrstimmigen und dem
Orchesterinstrumentalsatz im Allgemeinen zukommt, und sodann hieran erst
die Betrachtung der concreten Gattungen anzureihen. -- Das "mehrstimmig"
ist hier, indem uns in diesem Zusammenhang Stimme eine für sich wirksame
Instrumentalstimme bedeutet, in einem andern Sinn als früher (§. 781)
genommen, nämlich so daß es keine Anwendung auf den mit blos beglei-
tenden Instrumentalstimmen auftretenden Solosatz findet, sondern nur auf
Sätze, die für eine Mehrheit zusammenwirkender Instrumente, jedoch nicht
für das ganze Orchester, bestimmt sind, sei es nun daß in dieser Mehrheit
die Einzelstimme blos einfach, durch Ein Instrument (wie im Streichquartett),
oder vielfach (wie in der Harmoniemusik) besetzt ist. Auch den Ausdruck
Polyphonie mußten wir im vorhergehenden §. noch in einem andern als
dem gewöhnlichen Sinne gebrauchen, indem sich uns dort der Begriff
"orchestrisch polyphon" als passendste Bezeichnung der Mannigfaltigkeit
zugleich ertönender instrumentaler Klangfarben ergab; es verhält sich mit
Beidem ähnlich wie mit dem Begriff des "Satzes", der in der Theorie der
Musik nicht weniger als viererlei, 1) die Hälfte einer Periode (S. 927),
2) den einen Haupt- oder Nebengedanken enthaltenden Theil eines Ton-
stücks (S. 956), 3) das Tonstück, das Theil eines größern ist (z. B. Satz
einer Symphonie) und 4) außerdem noch wie hier die Composition ihrer
technischen Seite nach (so auch homophoner, polyphoner Satz u. dergl.)
bezeichnen muß.

§. 808.

Der Instrumentalsolosatz ist eine Monodie des Einzelinstruments,
welche entweder mehr eine dem Charakter desselben entsprechende Einzelstimmung
wiederzugeben, oder mehr diesen Charakter selbst und die mit ihm gegebene
eigenthümliche Kunstform zu veranschaulichen, oder auch die Leistungsfähigkeit
des Instruments in's Licht zu setzen hat. Wird an die Stelle dieser Zwecke
die Darlegung der Leistungsfähigkeit des Spielers gesetzt, so ist damit an die
Stelle eines künstlerischen Actes entweder die unkünstlerische Production bloßer
Fertigkeit oder die wenigstens noch nicht künstlerische Manifestation subjectiver
Genialität oder Geistreichheit getreten. Die erstere Art des Virtuosenthums
hat jedoch eine äußere Berechtigung, sofern sie indirect zur Vervollkommnung
der Technik mitwirkt; die zweite hat einen Anspruch auf Anerkennung theils

binationen der Inſtrumente; jene concreten Gattungen können ſich dieſer
Combinationen jede in ihrer Weiſe bis zu einem gewiſſen Umfang bedienen,
es kann z. B. ebenſogut Clavier- als Trompeten-, Harmonie (Bläſerchor)-,
Orcheſtermärſche geben, und ſie ſetzen daher die Lehre von den verſchiedenen
Combinationen bereits voraus (wie das Lied, der Chor die Lehre von
Melodie, Harmonie, Polyphonie vorausſetzte). Zunächſt iſt alſo hierauf
einzugehen, welche Bedeutung dem Solo-, dem mehrſtimmigen und dem
Orcheſterinſtrumentalſatz im Allgemeinen zukommt, und ſodann hieran erſt
die Betrachtung der concreten Gattungen anzureihen. — Das „mehrſtimmig“
iſt hier, indem uns in dieſem Zuſammenhang Stimme eine für ſich wirkſame
Inſtrumentalſtimme bedeutet, in einem andern Sinn als früher (§. 781)
genommen, nämlich ſo daß es keine Anwendung auf den mit blos beglei-
tenden Inſtrumentalſtimmen auftretenden Soloſatz findet, ſondern nur auf
Sätze, die für eine Mehrheit zuſammenwirkender Inſtrumente, jedoch nicht
für das ganze Orcheſter, beſtimmt ſind, ſei es nun daß in dieſer Mehrheit
die Einzelſtimme blos einfach, durch Ein Inſtrument (wie im Streichquartett),
oder vielfach (wie in der Harmoniemuſik) beſetzt iſt. Auch den Ausdruck
Polyphonie mußten wir im vorhergehenden §. noch in einem andern als
dem gewöhnlichen Sinne gebrauchen, indem ſich uns dort der Begriff
„orcheſtriſch polyphon“ als paſſendſte Bezeichnung der Mannigfaltigkeit
zugleich ertönender inſtrumentaler Klangfarben ergab; es verhält ſich mit
Beidem ähnlich wie mit dem Begriff des „Satzes“, der in der Theorie der
Muſik nicht weniger als viererlei, 1) die Hälfte einer Periode (S. 927),
2) den einen Haupt- oder Nebengedanken enthaltenden Theil eines Ton-
ſtücks (S. 956), 3) das Tonſtück, das Theil eines größern iſt (z. B. Satz
einer Symphonie) und 4) außerdem noch wie hier die Compoſition ihrer
techniſchen Seite nach (ſo auch homophoner, polyphoner Satz u. dergl.)
bezeichnen muß.

§. 808.

Der Inſtrumentalſoloſatz iſt eine Monodie des Einzelinſtruments,
welche entweder mehr eine dem Charakter deſſelben entſprechende Einzelſtimmung
wiederzugeben, oder mehr dieſen Charakter ſelbſt und die mit ihm gegebene
eigenthümliche Kunſtform zu veranſchaulichen, oder auch die Leiſtungsfähigkeit
des Inſtruments in’s Licht zu ſetzen hat. Wird an die Stelle dieſer Zwecke
die Darlegung der Leiſtungsfähigkeit des Spielers geſetzt, ſo iſt damit an die
Stelle eines künſtleriſchen Actes entweder die unkünſtleriſche Production bloßer
Fertigkeit oder die wenigſtens noch nicht künſtleriſche Manifeſtation ſubjectiver
Genialität oder Geiſtreichheit getreten. Die erſtere Art des Virtuoſenthums
hat jedoch eine äußere Berechtigung, ſofern ſie indirect zur Vervollkommnung
der Technik mitwirkt; die zweite hat einen Anſpruch auf Anerkennung theils

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[1050/0288] binationen der Inſtrumente; jene concreten Gattungen können ſich dieſer Combinationen jede in ihrer Weiſe bis zu einem gewiſſen Umfang bedienen, es kann z. B. ebenſogut Clavier- als Trompeten-, Harmonie (Bläſerchor)-, Orcheſtermärſche geben, und ſie ſetzen daher die Lehre von den verſchiedenen Combinationen bereits voraus (wie das Lied, der Chor die Lehre von Melodie, Harmonie, Polyphonie vorausſetzte). Zunächſt iſt alſo hierauf einzugehen, welche Bedeutung dem Solo-, dem mehrſtimmigen und dem Orcheſterinſtrumentalſatz im Allgemeinen zukommt, und ſodann hieran erſt die Betrachtung der concreten Gattungen anzureihen. — Das „mehrſtimmig“ iſt hier, indem uns in dieſem Zuſammenhang Stimme eine für ſich wirkſame Inſtrumentalſtimme bedeutet, in einem andern Sinn als früher (§. 781) genommen, nämlich ſo daß es keine Anwendung auf den mit blos beglei- tenden Inſtrumentalſtimmen auftretenden Soloſatz findet, ſondern nur auf Sätze, die für eine Mehrheit zuſammenwirkender Inſtrumente, jedoch nicht für das ganze Orcheſter, beſtimmt ſind, ſei es nun daß in dieſer Mehrheit die Einzelſtimme blos einfach, durch Ein Inſtrument (wie im Streichquartett), oder vielfach (wie in der Harmoniemuſik) beſetzt iſt. Auch den Ausdruck Polyphonie mußten wir im vorhergehenden §. noch in einem andern als dem gewöhnlichen Sinne gebrauchen, indem ſich uns dort der Begriff „orcheſtriſch polyphon“ als paſſendſte Bezeichnung der Mannigfaltigkeit zugleich ertönender inſtrumentaler Klangfarben ergab; es verhält ſich mit Beidem ähnlich wie mit dem Begriff des „Satzes“, der in der Theorie der Muſik nicht weniger als viererlei, 1) die Hälfte einer Periode (S. 927), 2) den einen Haupt- oder Nebengedanken enthaltenden Theil eines Ton- ſtücks (S. 956), 3) das Tonſtück, das Theil eines größern iſt (z. B. Satz einer Symphonie) und 4) außerdem noch wie hier die Compoſition ihrer techniſchen Seite nach (ſo auch homophoner, polyphoner Satz u. dergl.) bezeichnen muß. §. 808. Der Inſtrumentalſoloſatz iſt eine Monodie des Einzelinſtruments, welche entweder mehr eine dem Charakter deſſelben entſprechende Einzelſtimmung wiederzugeben, oder mehr dieſen Charakter ſelbſt und die mit ihm gegebene eigenthümliche Kunſtform zu veranſchaulichen, oder auch die Leiſtungsfähigkeit des Inſtruments in’s Licht zu ſetzen hat. Wird an die Stelle dieſer Zwecke die Darlegung der Leiſtungsfähigkeit des Spielers geſetzt, ſo iſt damit an die Stelle eines künſtleriſchen Actes entweder die unkünſtleriſche Production bloßer Fertigkeit oder die wenigſtens noch nicht künſtleriſche Manifeſtation ſubjectiver Genialität oder Geiſtreichheit getreten. Die erſtere Art des Virtuoſenthums hat jedoch eine äußere Berechtigung, ſofern ſie indirect zur Vervollkommnung der Technik mitwirkt; die zweite hat einen Anſpruch auf Anerkennung theils

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1050. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/288>, abgerufen am 21.11.2024.