vom Schluß selbst noch fern abliegenden allmäligen Entwicklung des Ganges der Handlung; die Ouvertüre soll eben zu dieser Entwicklung hinüberführen, und daher ist es das Richtigere, diese selbst ihr zum Hauptinhalt zu geben und die Ouvertüre lieber, wie Gluck und Mozart hie und da, introductions- artig in die Oper selbst direct übergehen zu lassen, als sie zu selbständig hinzustellen; die Ouvertüre ist zugleich Ouvertüre zum ersten Act, der unmittelbar auf sie folgt, und ist mithin so zu gestalten, daß dieser sich ungezwungen an sie anreiht.
2. Die Ouvertüre zum musikalischen "Epos" (Oratorium) ist mehr lyrischer Natur, da dieses Epos eine weniger bewegte und mannigfaltige, ja oft, wie namentlich das religiöse, blos eine ideale Handlung, eine heilige Geschichte oder selbst eine nur in Form der Geschichte auftretende Vergegen- ständlichung von Hauptmomenten einer idealreligiösen Anschauung zu seinem Inhalte hat. Einzelne Fälle, in welchen das Oratorium die Bewegtheit des Drama's, seinen Reichthum an gegeneinanderstrebenden Kräften und an Conflicten nahezu erreicht, bilden natürlich eine Ausnahme (wie z. B. Händel's Samson). Doch sind hier die Formen überhaupt weniger streng; das Oratorium kann sich noch mehr als die Oper auch mit bloßer "Ein- leitungsmusik" begnügen, die im Allgemeinen auf den in ihm waltenden Stimmungsgehalt hinweist. Ueber die speziellen Formen dieser Art von Musik, z. B. das Präludium, ist blos zu bemerken, daß sie zu den freiern Musikgattungen gehören und daher je nach Umständen einfacher oder mit mehr Aufwand von Kunst, namentlich freier Polyphonie, die spannend, auf etwas Gewichtiges aufmerksam machend und damit spezifisch "einleitend" wirkt, behandelt werden können.
§. 815.
Ihren Höhepunct erreicht die Instrumentalmusik in den umfangreichern Formen zunächst der größern Stücke für ein- oder mehrstimmigen Solosatz, der Sonate und des Concerts.
Der §. erwähnt Variation, Rondo, Instrumentalfuge nicht. Die erstere ist schon in §. 789 behandelt; auch über das Rondo ist nach dem in §. 788 Gesagten nichts hinzuzufügen; die Instrumentalfuge fällt, so weit sie überhaupt zuläßig ist (§. 803), theils der "gebundenen Phantasie" (S. 1043), theils der freiern Polyphonie (§. 785), innerhalb der Instru- mentalformen aber hauptsächlich der Ouvertüre (obwohl mit Einschränkungen S. 1079) anheim. Zudem treten diese Formen, selbst die Variation nicht immer ausgenommen, in der Regel als Theile des größern Tonstücks (§. 791) auf, zu welchem die Instrumentalmusik mit innerer Nothwendigkeit
vom Schluß ſelbſt noch fern abliegenden allmäligen Entwicklung des Ganges der Handlung; die Ouvertüre ſoll eben zu dieſer Entwicklung hinüberführen, und daher iſt es das Richtigere, dieſe ſelbſt ihr zum Hauptinhalt zu geben und die Ouvertüre lieber, wie Gluck und Mozart hie und da, introductions- artig in die Oper ſelbſt direct übergehen zu laſſen, als ſie zu ſelbſtändig hinzuſtellen; die Ouvertüre iſt zugleich Ouvertüre zum erſten Act, der unmittelbar auf ſie folgt, und iſt mithin ſo zu geſtalten, daß dieſer ſich ungezwungen an ſie anreiht.
2. Die Ouvertüre zum muſikaliſchen „Epos“ (Oratorium) iſt mehr lyriſcher Natur, da dieſes Epos eine weniger bewegte und mannigfaltige, ja oft, wie namentlich das religiöſe, blos eine ideale Handlung, eine heilige Geſchichte oder ſelbſt eine nur in Form der Geſchichte auftretende Vergegen- ſtändlichung von Hauptmomenten einer idealreligiöſen Anſchauung zu ſeinem Inhalte hat. Einzelne Fälle, in welchen das Oratorium die Bewegtheit des Drama’s, ſeinen Reichthum an gegeneinanderſtrebenden Kräften und an Conflicten nahezu erreicht, bilden natürlich eine Ausnahme (wie z. B. Händel’s Samſon). Doch ſind hier die Formen überhaupt weniger ſtreng; das Oratorium kann ſich noch mehr als die Oper auch mit bloßer „Ein- leitungsmuſik“ begnügen, die im Allgemeinen auf den in ihm waltenden Stimmungsgehalt hinweist. Ueber die ſpeziellen Formen dieſer Art von Muſik, z. B. das Präludium, iſt blos zu bemerken, daß ſie zu den freiern Muſikgattungen gehören und daher je nach Umſtänden einfacher oder mit mehr Aufwand von Kunſt, namentlich freier Polyphonie, die ſpannend, auf etwas Gewichtiges aufmerkſam machend und damit ſpezifiſch „einleitend“ wirkt, behandelt werden können.
§. 815.
Ihren Höhepunct erreicht die Inſtrumentalmuſik in den umfangreichern Formen zunächſt der größern Stücke für ein- oder mehrſtimmigen Soloſatz, der Sonate und des Concerts.
Der §. erwähnt Variation, Rondo, Inſtrumentalfuge nicht. Die erſtere iſt ſchon in §. 789 behandelt; auch über das Rondo iſt nach dem in §. 788 Geſagten nichts hinzuzufügen; die Inſtrumentalfuge fällt, ſo weit ſie überhaupt zuläßig iſt (§. 803), theils der „gebundenen Phantaſie“ (S. 1043), theils der freiern Polyphonie (§. 785), innerhalb der Inſtru- mentalformen aber hauptſächlich der Ouvertüre (obwohl mit Einſchränkungen S. 1079) anheim. Zudem treten dieſe Formen, ſelbſt die Variation nicht immer ausgenommen, in der Regel als Theile des größern Tonſtücks (§. 791) auf, zu welchem die Inſtrumentalmuſik mit innerer Nothwendigkeit
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vom Schluß ſelbſt noch fern abliegenden allmäligen Entwicklung des Ganges
der Handlung; die Ouvertüre ſoll eben zu dieſer Entwicklung hinüberführen,
und daher iſt es das Richtigere, dieſe ſelbſt ihr zum Hauptinhalt zu geben
und die Ouvertüre lieber, wie Gluck und Mozart hie und da, introductions-
artig in die Oper ſelbſt direct übergehen zu laſſen, als ſie zu ſelbſtändig
hinzuſtellen; die Ouvertüre iſt zugleich Ouvertüre zum erſten Act, der
unmittelbar auf ſie folgt, und iſt mithin ſo zu geſtalten, daß dieſer ſich
ungezwungen an ſie anreiht.
2. Die Ouvertüre zum muſikaliſchen „Epos“ (Oratorium) iſt mehr
lyriſcher Natur, da dieſes Epos eine weniger bewegte und mannigfaltige,
ja oft, wie namentlich das religiöſe, blos eine ideale Handlung, eine heilige
Geſchichte oder ſelbſt eine nur in Form der Geſchichte auftretende Vergegen-
ſtändlichung von Hauptmomenten einer idealreligiöſen Anſchauung zu ſeinem
Inhalte hat. Einzelne Fälle, in welchen das Oratorium die Bewegtheit
des Drama’s, ſeinen Reichthum an gegeneinanderſtrebenden Kräften und an
Conflicten nahezu erreicht, bilden natürlich eine Ausnahme (wie z. B.
Händel’s Samſon). Doch ſind hier die Formen überhaupt weniger ſtreng;
das Oratorium kann ſich noch mehr als die Oper auch mit bloßer „Ein-
leitungsmuſik“ begnügen, die im Allgemeinen auf den in ihm waltenden
Stimmungsgehalt hinweist. Ueber die ſpeziellen Formen dieſer Art von
Muſik, z. B. das Präludium, iſt blos zu bemerken, daß ſie zu den freiern
Muſikgattungen gehören und daher je nach Umſtänden einfacher oder mit
mehr Aufwand von Kunſt, namentlich freier Polyphonie, die ſpannend, auf
etwas Gewichtiges aufmerkſam machend und damit ſpezifiſch „einleitend“
wirkt, behandelt werden können.
§. 815.
Ihren Höhepunct erreicht die Inſtrumentalmuſik in den umfangreichern
Formen zunächſt der größern Stücke für ein- oder mehrſtimmigen Soloſatz,
der Sonate und des Concerts.
Der §. erwähnt Variation, Rondo, Inſtrumentalfuge nicht. Die
erſtere iſt ſchon in §. 789 behandelt; auch über das Rondo iſt nach dem
in §. 788 Geſagten nichts hinzuzufügen; die Inſtrumentalfuge fällt, ſo
weit ſie überhaupt zuläßig iſt (§. 803), theils der „gebundenen Phantaſie“
(S. 1043), theils der freiern Polyphonie (§. 785), innerhalb der Inſtru-
mentalformen aber hauptſächlich der Ouvertüre (obwohl mit Einſchränkungen
S. 1079) anheim. Zudem treten dieſe Formen, ſelbſt die Variation nicht
immer ausgenommen, in der Regel als Theile des größern Tonſtücks
(§. 791) auf, zu welchem die Inſtrumentalmuſik mit innerer Nothwendigkeit
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1080. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/318>, abgerufen am 22.11.2024.
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