Seelenstimmung des Individuums dar, die sich ganz und voll gibt, die sich nicht blos, um sich selbst Genüge zu thun, in Tönen verkörpern, sondern gehört, vernommen werden, Anklang und Wiederhall finden will und ihn wirklich findet in dem mittönenden, bald schweigenden, bald voll einfallenden, bald scheinbar still zuhorchenden, bald wiederum mitsingenden und kräftig zustimmenden Chor der Instrumente. Zu diesem Wechselspiel eignet sich am besten ein vom normalen Orchester wesentlich verschiedenes, ihm selbständig und mit eigener individueller Kraft und Tonfülle gegenüberstehendes Instru- ment, am besten also das Clavier; das Clavierconcert ist eigentlich nur eine aus der Innerlichkeit sich nach außen wendende Claviersonate, die ihre Klang- fülle nicht mehr zu einsamem Spiel mit sich selbst zurückhält, sondern sie frei nach allen Seiten entsendet und dazu den Wiederklang der übrigen Instrumentenstimmen sich selbst zugesellt. Der Bau der Sätze ist daher der gleiche, mit Ausnahme der breitern, mannigfaltigern Anlage der Concert- sätze, die mit ihrem Zweck und mit der ihnen zu Gebote stehenden Instru- mentalpolyphonie gegeben ist; nur muß das Concert seiner Natur nach ein- facher in qualitativer Beziehung, in Gedankengehalt und künstlicher Anlage, es muß vollkommen klar und durchsichtig sein, weil nicht Vertiefung des Subjects in sich, sondern sein Herausgehen aus sich selbst zur Wechselwir- kung mit einer Welt außer ihm Gegenstand der Darstellung ist. Die Sonate gestattet, weil sie dazu da ist, daß das Ich sich, sein Fühlen und nichts weiter in sie niederlege, die mannigfachsten Verwicklungen der Stimmführung, sie erlaubt Härten der Harmonie, die in einem Concert wie unverständlich oder unschön sich ausnehmen; das Concert ist die Arie der Instrumental- musik; nicht Tiefe, sondern Klarheit und Kraft, der allerdings ein tieferer Hintergrund anzufühlen ist, lebendiger Ausdruck ist in ihm die Aufgabe. Zu- nächst verdankt das Concert seine Existenz freilich dem äußern Umstande, daß es das Bedürfniß befriedigt, die Virtuosität des Einzelinstruments mit einer reichern und glänzendern Orchesterbegleitung zu hören als beim gewöhn- lichen Solo; aber dieses Bedürfniß hat hiemit eine Kunstgattung hervor- getrieben, die ebenso aus dem innern Wesen der Instrumentalmusik folgt und zu ihrer vollständigen Verwirklichung mitgehört; die Instrumentalmusik setzt hier das einzelne Instrument in Rapport mit dem Ganzen, sie läßt die Stimmen sich selbständig entwickeln und ebenso einander unterstützen und beantworten, und damit ist es von selbst gegeben, daß charakteristische Be- lebtheit, Entfaltung der ganzen Beweglichkeit und Formenfülle der einzelnen Stimmen, namentlich ein glänzend sich emporhebendes, sozusagen provocirendes Auftreten des Hauptinstruments hier das Wesentliche ist; die Einzelstimme soll hier in ihrer ganzen Leistungsfähigkeit angeschaut werden, das Ganze soll die Wirkung der Einzelstimme ergänzen und heben, aber sie nicht in Schatten stellen, und die Einzelstimme muß daher ihre ganze Kraft und
Seelenſtimmung des Individuums dar, die ſich ganz und voll gibt, die ſich nicht blos, um ſich ſelbſt Genüge zu thun, in Tönen verkörpern, ſondern gehört, vernommen werden, Anklang und Wiederhall finden will und ihn wirklich findet in dem mittönenden, bald ſchweigenden, bald voll einfallenden, bald ſcheinbar ſtill zuhorchenden, bald wiederum mitſingenden und kräftig zuſtimmenden Chor der Inſtrumente. Zu dieſem Wechſelſpiel eignet ſich am beſten ein vom normalen Orcheſter weſentlich verſchiedenes, ihm ſelbſtändig und mit eigener individueller Kraft und Tonfülle gegenüberſtehendes Inſtru- ment, am beſten alſo das Clavier; das Clavierconcert iſt eigentlich nur eine aus der Innerlichkeit ſich nach außen wendende Clavierſonate, die ihre Klang- fülle nicht mehr zu einſamem Spiel mit ſich ſelbſt zurückhält, ſondern ſie frei nach allen Seiten entſendet und dazu den Wiederklang der übrigen Inſtrumentenſtimmen ſich ſelbſt zugeſellt. Der Bau der Sätze iſt daher der gleiche, mit Ausnahme der breitern, mannigfaltigern Anlage der Concert- ſätze, die mit ihrem Zweck und mit der ihnen zu Gebote ſtehenden Inſtru- mentalpolyphonie gegeben iſt; nur muß das Concert ſeiner Natur nach ein- facher in qualitativer Beziehung, in Gedankengehalt und künſtlicher Anlage, es muß vollkommen klar und durchſichtig ſein, weil nicht Vertiefung des Subjects in ſich, ſondern ſein Herausgehen aus ſich ſelbſt zur Wechſelwir- kung mit einer Welt außer ihm Gegenſtand der Darſtellung iſt. Die Sonate geſtattet, weil ſie dazu da iſt, daß das Ich ſich, ſein Fühlen und nichts weiter in ſie niederlege, die mannigfachſten Verwicklungen der Stimmführung, ſie erlaubt Härten der Harmonie, die in einem Concert wie unverſtändlich oder unſchön ſich ausnehmen; das Concert iſt die Arie der Inſtrumental- muſik; nicht Tiefe, ſondern Klarheit und Kraft, der allerdings ein tieferer Hintergrund anzufühlen iſt, lebendiger Ausdruck iſt in ihm die Aufgabe. Zu- nächſt verdankt das Concert ſeine Exiſtenz freilich dem äußern Umſtande, daß es das Bedürfniß befriedigt, die Virtuoſität des Einzelinſtruments mit einer reichern und glänzendern Orcheſterbegleitung zu hören als beim gewöhn- lichen Solo; aber dieſes Bedürfniß hat hiemit eine Kunſtgattung hervor- getrieben, die ebenſo aus dem innern Weſen der Inſtrumentalmuſik folgt und zu ihrer vollſtändigen Verwirklichung mitgehört; die Inſtrumentalmuſik ſetzt hier das einzelne Inſtrument in Rapport mit dem Ganzen, ſie läßt die Stimmen ſich ſelbſtändig entwickeln und ebenſo einander unterſtützen und beantworten, und damit iſt es von ſelbſt gegeben, daß charakteriſtiſche Be- lebtheit, Entfaltung der ganzen Beweglichkeit und Formenfülle der einzelnen Stimmen, namentlich ein glänzend ſich emporhebendes, ſozuſagen provocirendes Auftreten des Hauptinſtruments hier das Weſentliche iſt; die Einzelſtimme ſoll hier in ihrer ganzen Leiſtungsfähigkeit angeſchaut werden, das Ganze ſoll die Wirkung der Einzelſtimme ergänzen und heben, aber ſie nicht in Schatten ſtellen, und die Einzelſtimme muß daher ihre ganze Kraft und
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Seelenſtimmung des Individuums dar, die ſich ganz und voll gibt, die
ſich nicht blos, um ſich ſelbſt Genüge zu thun, in Tönen verkörpern, ſondern
gehört, vernommen werden, Anklang und Wiederhall finden will und ihn
wirklich findet in dem mittönenden, bald ſchweigenden, bald voll einfallenden,
bald ſcheinbar ſtill zuhorchenden, bald wiederum mitſingenden und kräftig
zuſtimmenden Chor der Inſtrumente. Zu dieſem Wechſelſpiel eignet ſich
am beſten ein vom normalen Orcheſter weſentlich verſchiedenes, ihm ſelbſtändig
und mit eigener individueller Kraft und Tonfülle gegenüberſtehendes Inſtru-
ment, am beſten alſo das Clavier; das Clavierconcert iſt eigentlich nur eine
aus der Innerlichkeit ſich nach außen wendende Clavierſonate, die ihre Klang-
fülle nicht mehr zu einſamem Spiel mit ſich ſelbſt zurückhält, ſondern ſie
frei nach allen Seiten entſendet und dazu den Wiederklang der übrigen
Inſtrumentenſtimmen ſich ſelbſt zugeſellt. Der Bau der Sätze iſt daher der
gleiche, mit Ausnahme der breitern, mannigfaltigern Anlage der Concert-
ſätze, die mit ihrem Zweck und mit der ihnen zu Gebote ſtehenden Inſtru-
mentalpolyphonie gegeben iſt; nur muß das Concert ſeiner Natur nach ein-
facher in qualitativer Beziehung, in Gedankengehalt und künſtlicher Anlage,
es muß vollkommen klar und durchſichtig ſein, weil nicht Vertiefung des
Subjects in ſich, ſondern ſein Herausgehen aus ſich ſelbſt zur Wechſelwir-
kung mit einer Welt außer ihm Gegenſtand der Darſtellung iſt. Die Sonate
geſtattet, weil ſie dazu da iſt, daß das Ich ſich, ſein Fühlen und nichts
weiter in ſie niederlege, die mannigfachſten Verwicklungen der Stimmführung,
ſie erlaubt Härten der Harmonie, die in einem Concert wie unverſtändlich
oder unſchön ſich ausnehmen; das Concert iſt die Arie der Inſtrumental-
muſik; nicht Tiefe, ſondern Klarheit und Kraft, der allerdings ein tieferer
Hintergrund anzufühlen iſt, lebendiger Ausdruck iſt in ihm die Aufgabe. Zu-
nächſt verdankt das Concert ſeine Exiſtenz freilich dem äußern Umſtande,
daß es das Bedürfniß befriedigt, die Virtuoſität des Einzelinſtruments mit
einer reichern und glänzendern Orcheſterbegleitung zu hören als beim gewöhn-
lichen Solo; aber dieſes Bedürfniß hat hiemit eine Kunſtgattung hervor-
getrieben, die ebenſo aus dem innern Weſen der Inſtrumentalmuſik folgt
und zu ihrer vollſtändigen Verwirklichung mitgehört; die Inſtrumentalmuſik
ſetzt hier das einzelne Inſtrument in Rapport mit dem Ganzen, ſie läßt die
Stimmen ſich ſelbſtändig entwickeln und ebenſo einander unterſtützen und
beantworten, und damit iſt es von ſelbſt gegeben, daß charakteriſtiſche Be-
lebtheit, Entfaltung der ganzen Beweglichkeit und Formenfülle der einzelnen
Stimmen, namentlich ein glänzend ſich emporhebendes, ſozuſagen provocirendes
Auftreten des Hauptinſtruments hier das Weſentliche iſt; die Einzelſtimme
ſoll hier in ihrer ganzen Leiſtungsfähigkeit angeſchaut werden, das Ganze
ſoll die Wirkung der Einzelſtimme ergänzen und heben, aber ſie nicht in
Schatten ſtellen, und die Einzelſtimme muß daher ihre ganze Kraft und
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1088. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/326>, abgerufen am 21.11.2024.
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