so, freudig oder schmerzlich in unendlichen Mischungen dieser Gegensätze, zu Muth ist. Der Gegenstoß gegen den Stoß des Objects in der Unlust ist noch kein Bewußtsein, sondern selbst noch Gefühl, dunkle Antithese; wenn er sich steigert, so steigert er sich zunächst nicht zum Bewußtsein, sondern zum Affecte. Das Wesen desselben ist zunächst nur dadurch zu bestim- men, daß auf den unterscheidenden Geist hinübergeblickt wird, und man versteht unter Affect einen Erregungsgrad des Gefühls, welcher so eben zu Aeußerungen, Handlungen fortzugehen im Begriff ist, welche nicht erfolgen sollten, ohne daß die Kraft jener wachen Thätigkeit, des Bewußt- seins und höher des Denkens, dazwischentritt. Das Positive dieser nega- tiven Bestimmung ist nur ein Grad. Alles, was wir zunächst nur als Stimmung bezeichnen, also eben Lust und Unlust in ihren unendlichen Mischungen, heißt Affect, wenn es zu der Stärke gelangt ist, daß so eben das Gefäß durch die Heftigkeit seines Wogens überfließen zu wollen scheint. Betrachten wir nun das Gefühl rein für sich, so sistiren wir es eben in diesem Momente, und was in jener negativen Bestimmung ethisch Tadeln- des liegt, fällt nun weg, es bleibt vielmehr in Kraft, daß das Gefühl implicite der ganze Geist ist, also auch so stark wogen mag, wie es will. Wir fragen nicht, ob der Sturm verderblich ist, er zeigt uns nur die Herrlichkeit des Meers. Im Zusammenhange des Ganzen der Psychologie aber wird diese Anschwellung nach dem Willen hin über ihre Grenzen verfolgt, und so leuchtet ein, daß das Gefühl, wie es nach unserer Dar- stellung in §. 749 überhaupt an der Schwelle der scheidenden Geistes- thätigkeiten seiner allgemeinen Bedeutung nach liegt, so in seiner realen Bewegung sich wesentlich nach der Pforte des praktischen Geistes öffnet (vergl. Planck a. a. O. S. 205). Eigentlich gehört, wie aus dem Gesagten sich ergibt, dieser höhere Spannungsgrad zu den Kraft-Verhältnissen des Gefühls, zu denen wir nachher übergehen, doch war diese Seite der Auf- hellung der Grundbegriffe wegen schon hier vorzunehmen. Uebrigens ist, wenn wir den Affect hier wesentlich mit dem Gefühle der Unlust in Zu- sammenhang setzen, keineswegs blos an abwehrende Affecte zu denken: auch der positive Affect, die Liebe, beruht auf einer Spannung, dem Gefühle des Mangels, ist also durch Unlust vermittelt.
2. Das Selbst ist auf die objective Welt in unendlicher Weise bezo- gen, denn die Welt wirkt auf es mit unendlichen Hebeln und es selbst ist eine Welt, ja ist die Welt: die in die einfache Idealität des Beisichseins zusammengefaßte Welt, eine Zusammenfassung, die aber von vornen begin- nen, realisiren muß, was sie nur an sich ist, so daß in unendlichem Rapport eine lebendige Einheit der beiden, die ursprünglich dasselbe Eine in doppelter Gestalt sind, sich erarbeiten muß. In diesem Rapporte sind die Fäden, durch die der elektrische Strom fließt, nicht zu zählen. Es gibt keine ein-
ſo, freudig oder ſchmerzlich in unendlichen Miſchungen dieſer Gegenſätze, zu Muth iſt. Der Gegenſtoß gegen den Stoß des Objects in der Unluſt iſt noch kein Bewußtſein, ſondern ſelbſt noch Gefühl, dunkle Antitheſe; wenn er ſich ſteigert, ſo ſteigert er ſich zunächſt nicht zum Bewußtſein, ſondern zum Affecte. Das Weſen deſſelben iſt zunächſt nur dadurch zu beſtim- men, daß auf den unterſcheidenden Geiſt hinübergeblickt wird, und man verſteht unter Affect einen Erregungsgrad des Gefühls, welcher ſo eben zu Aeußerungen, Handlungen fortzugehen im Begriff iſt, welche nicht erfolgen ſollten, ohne daß die Kraft jener wachen Thätigkeit, des Bewußt- ſeins und höher des Denkens, dazwiſchentritt. Das Poſitive dieſer nega- tiven Beſtimmung iſt nur ein Grad. Alles, was wir zunächſt nur als Stimmung bezeichnen, alſo eben Luſt und Unluſt in ihren unendlichen Miſchungen, heißt Affect, wenn es zu der Stärke gelangt iſt, daß ſo eben das Gefäß durch die Heftigkeit ſeines Wogens überfließen zu wollen ſcheint. Betrachten wir nun das Gefühl rein für ſich, ſo ſiſtiren wir es eben in dieſem Momente, und was in jener negativen Beſtimmung ethiſch Tadeln- des liegt, fällt nun weg, es bleibt vielmehr in Kraft, daß das Gefühl implicite der ganze Geiſt iſt, alſo auch ſo ſtark wogen mag, wie es will. Wir fragen nicht, ob der Sturm verderblich iſt, er zeigt uns nur die Herrlichkeit des Meers. Im Zuſammenhange des Ganzen der Pſychologie aber wird dieſe Anſchwellung nach dem Willen hin über ihre Grenzen verfolgt, und ſo leuchtet ein, daß das Gefühl, wie es nach unſerer Dar- ſtellung in §. 749 überhaupt an der Schwelle der ſcheidenden Geiſtes- thätigkeiten ſeiner allgemeinen Bedeutung nach liegt, ſo in ſeiner realen Bewegung ſich weſentlich nach der Pforte des praktiſchen Geiſtes öffnet (vergl. Planck a. a. O. S. 205). Eigentlich gehört, wie aus dem Geſagten ſich ergibt, dieſer höhere Spannungsgrad zu den Kraft-Verhältniſſen des Gefühls, zu denen wir nachher übergehen, doch war dieſe Seite der Auf- hellung der Grundbegriffe wegen ſchon hier vorzunehmen. Uebrigens iſt, wenn wir den Affect hier weſentlich mit dem Gefühle der Unluſt in Zu- ſammenhang ſetzen, keineswegs blos an abwehrende Affecte zu denken: auch der poſitive Affect, die Liebe, beruht auf einer Spannung, dem Gefühle des Mangels, iſt alſo durch Unluſt vermittelt.
2. Das Selbſt iſt auf die objective Welt in unendlicher Weiſe bezo- gen, denn die Welt wirkt auf es mit unendlichen Hebeln und es ſelbſt iſt eine Welt, ja iſt die Welt: die in die einfache Idealität des Beiſichſeins zuſammengefaßte Welt, eine Zuſammenfaſſung, die aber von vornen begin- nen, realiſiren muß, was ſie nur an ſich iſt, ſo daß in unendlichem Rapport eine lebendige Einheit der beiden, die urſprünglich daſſelbe Eine in doppelter Geſtalt ſind, ſich erarbeiten muß. In dieſem Rapporte ſind die Fäden, durch die der elektriſche Strom fließt, nicht zu zählen. Es gibt keine ein-
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[797/0035]
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er ſich ſteigert, ſo ſteigert er ſich zunächſt nicht zum Bewußtſein, ſondern
zum Affecte. Das Weſen deſſelben iſt zunächſt nur dadurch zu beſtim-
men, daß auf den unterſcheidenden Geiſt hinübergeblickt wird, und man
verſteht unter Affect einen Erregungsgrad des Gefühls, welcher ſo eben
zu Aeußerungen, Handlungen fortzugehen im Begriff iſt, welche nicht
erfolgen ſollten, ohne daß die Kraft jener wachen Thätigkeit, des Bewußt-
ſeins und höher des Denkens, dazwiſchentritt. Das Poſitive dieſer nega-
tiven Beſtimmung iſt nur ein Grad. Alles, was wir zunächſt nur als
Stimmung bezeichnen, alſo eben Luſt und Unluſt in ihren unendlichen
Miſchungen, heißt Affect, wenn es zu der Stärke gelangt iſt, daß ſo eben
das Gefäß durch die Heftigkeit ſeines Wogens überfließen zu wollen ſcheint.
Betrachten wir nun das Gefühl rein für ſich, ſo ſiſtiren wir es eben in
dieſem Momente, und was in jener negativen Beſtimmung ethiſch Tadeln-
des liegt, fällt nun weg, es bleibt vielmehr in Kraft, daß das Gefühl
implicite der ganze Geiſt iſt, alſo auch ſo ſtark wogen mag, wie es will.
Wir fragen nicht, ob der Sturm verderblich iſt, er zeigt uns nur die
Herrlichkeit des Meers. Im Zuſammenhange des Ganzen der Pſychologie
aber wird dieſe Anſchwellung nach dem Willen hin über ihre Grenzen
verfolgt, und ſo leuchtet ein, daß das Gefühl, wie es nach unſerer Dar-
ſtellung in §. 749 überhaupt an der Schwelle der ſcheidenden Geiſtes-
thätigkeiten ſeiner allgemeinen Bedeutung nach liegt, ſo in ſeiner realen
Bewegung ſich weſentlich nach der Pforte des praktiſchen Geiſtes öffnet
(vergl. Planck a. a. O. S. 205). Eigentlich gehört, wie aus dem Geſagten
ſich ergibt, dieſer höhere Spannungsgrad zu den Kraft-Verhältniſſen des
Gefühls, zu denen wir nachher übergehen, doch war dieſe Seite der Auf-
hellung der Grundbegriffe wegen ſchon hier vorzunehmen. Uebrigens iſt,
wenn wir den Affect hier weſentlich mit dem Gefühle der Unluſt in Zu-
ſammenhang ſetzen, keineswegs blos an abwehrende Affecte zu denken:
auch der poſitive Affect, die Liebe, beruht auf einer Spannung, dem Gefühle
des Mangels, iſt alſo durch Unluſt vermittelt.
2. Das Selbſt iſt auf die objective Welt in unendlicher Weiſe bezo-
gen, denn die Welt wirkt auf es mit unendlichen Hebeln und es ſelbſt iſt
eine Welt, ja iſt die Welt: die in die einfache Idealität des Beiſichſeins
zuſammengefaßte Welt, eine Zuſammenfaſſung, die aber von vornen begin-
nen, realiſiren muß, was ſie nur an ſich iſt, ſo daß in unendlichem Rapport
eine lebendige Einheit der beiden, die urſprünglich daſſelbe Eine in doppelter
Geſtalt ſind, ſich erarbeiten muß. In dieſem Rapporte ſind die Fäden,
durch die der elektriſche Strom fließt, nicht zu zählen. Es gibt keine ein-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 797. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/35>, abgerufen am 03.12.2024.
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