fache Stimmung der Lust oder der Unlust; denn das Gemüth und der Gegenstand sind beide schlechthin vielseitig. Was diese Region der unend- lichen Resonnanz des Innern von Lust erzittern macht, klingt in einer andern als Schmerz an und umgekehrt, die Lust im Schmerz spaltet sich abermals in Lust und Schmerz und ebenso der Schmerz in der Lust, ja es sind genauer betrachtet nicht nur verschiedene Anklänge so zu sagen an verschie- denen Stellen, nicht nur solche Spaltungen, sondern es ist ein wirklicher unendlicher Stellenwechsel, denn aus der Unendlichkeit der Beziehungen folgt, daß, was in der einen Lust ist, in der andern Schmerz sein kann, und umgekehrt. Wir sind schon hier auf eine allgemeine Relativität geführt, worin es nichts Festes gibt, sondern aller Begriff von Inhalt in den Begriff unendlicher Verhältnißstellungen übergeht. Unbeschadet dieser unabsehlichen Mischung, Verwicklung, Wendung wird, wo nicht im Ganzen einer Stimmung, die ihren geschlossenen Ablauf hat, doch in einem Stadium jeder Stimmung entweder Lust oder Unlust herrschen. Hier aber fordert das Gesetz des Schönen selbst, daß diese Herrschaft keine absolute sei. Es gibt eine gemeine Lust und einen gemeinen, grassen Schmerz; beide werden mannigfaltige Mischungen mit ihrem Gegentheil darstellen, aber doch so, daß sich dort die Mischung in das Gefühl platter einfacher Lustigkeit, hier in den Schrei der Verzweiflung zusammenfaßt. Die Läuterung des Gefühls, wie wir sie in §. 750, 2. als allgemeine Voraussetzung hin- gestellt haben, duldet weder das Eine, noch das Andere. Das Herz, das nicht in stoffartiger Unfreiheit vom Sturze der Empfindung fortgerissen wird und das sich die Gewißheit der Harmonie der Dinge durch keine Erfahrung rauben läßt, schwebt selbst über dem äußersten Schmerz, ja es fühlt, daß er schön ist, und versenkt sich frei in diese Schönheit. Ebenso- wenig kennt die ächte Empfindung jenes reine Zufriedensein mit einem endlichen Zustande, das in der bloßen Lustigkeit oder klebenden Behaglichkeit sich kund gibt. Jedes Wohlsein erscheint im Lichte des Ideals als ein vergängliches und die höchste Lust in der Versöhnung mit dem Ewigen ist vom Gefühle des Opfers und der Unzulänglichkeit durchzittert. Es ist nur ein anderes Wort für die im allgemeinen Sinne des Worts religiöse Natur des ächten Gefühls, daß ihm ein Hauch der Wehmuth durchaus wesentlich ist, etwas von dem Gefühlstone, womit wir auf vergangene Zeiten schönen Völkerlebens, auf die Kinderjahre zurückblicken. Das Gemüth schwebt in jener Höhe, wovon alles Endliche in seiner Fülle, aber auch wie ein so eben sich Auflösendes, ein hinschwindender Flor empfunden wird. Diese Lust ist freilich die Schlußempfindung auch des tiefsten Schmerzes im reinen Gefühlsleben.
fache Stimmung der Luſt oder der Unluſt; denn das Gemüth und der Gegenſtand ſind beide ſchlechthin vielſeitig. Was dieſe Region der unend- lichen Reſonnanz des Innern von Luſt erzittern macht, klingt in einer andern als Schmerz an und umgekehrt, die Luſt im Schmerz ſpaltet ſich abermals in Luſt und Schmerz und ebenſo der Schmerz in der Luſt, ja es ſind genauer betrachtet nicht nur verſchiedene Anklänge ſo zu ſagen an verſchie- denen Stellen, nicht nur ſolche Spaltungen, ſondern es iſt ein wirklicher unendlicher Stellenwechſel, denn aus der Unendlichkeit der Beziehungen folgt, daß, was in der einen Luſt iſt, in der andern Schmerz ſein kann, und umgekehrt. Wir ſind ſchon hier auf eine allgemeine Relativität geführt, worin es nichts Feſtes gibt, ſondern aller Begriff von Inhalt in den Begriff unendlicher Verhältnißſtellungen übergeht. Unbeſchadet dieſer unabſehlichen Miſchung, Verwicklung, Wendung wird, wo nicht im Ganzen einer Stimmung, die ihren geſchloſſenen Ablauf hat, doch in einem Stadium jeder Stimmung entweder Luſt oder Unluſt herrſchen. Hier aber fordert das Geſetz des Schönen ſelbſt, daß dieſe Herrſchaft keine abſolute ſei. Es gibt eine gemeine Luſt und einen gemeinen, graſſen Schmerz; beide werden mannigfaltige Miſchungen mit ihrem Gegentheil darſtellen, aber doch ſo, daß ſich dort die Miſchung in das Gefühl platter einfacher Luſtigkeit, hier in den Schrei der Verzweiflung zuſammenfaßt. Die Läuterung des Gefühls, wie wir ſie in §. 750, 2. als allgemeine Vorausſetzung hin- geſtellt haben, duldet weder das Eine, noch das Andere. Das Herz, das nicht in ſtoffartiger Unfreiheit vom Sturze der Empfindung fortgeriſſen wird und das ſich die Gewißheit der Harmonie der Dinge durch keine Erfahrung rauben läßt, ſchwebt ſelbſt über dem äußerſten Schmerz, ja es fühlt, daß er ſchön iſt, und verſenkt ſich frei in dieſe Schönheit. Ebenſo- wenig kennt die ächte Empfindung jenes reine Zufriedenſein mit einem endlichen Zuſtande, das in der bloßen Luſtigkeit oder klebenden Behaglichkeit ſich kund gibt. Jedes Wohlſein erſcheint im Lichte des Ideals als ein vergängliches und die höchſte Luſt in der Verſöhnung mit dem Ewigen iſt vom Gefühle des Opfers und der Unzulänglichkeit durchzittert. Es iſt nur ein anderes Wort für die im allgemeinen Sinne des Worts religiöſe Natur des ächten Gefühls, daß ihm ein Hauch der Wehmuth durchaus weſentlich iſt, etwas von dem Gefühlstone, womit wir auf vergangene Zeiten ſchönen Völkerlebens, auf die Kinderjahre zurückblicken. Das Gemüth ſchwebt in jener Höhe, wovon alles Endliche in ſeiner Fülle, aber auch wie ein ſo eben ſich Auflöſendes, ein hinſchwindender Flor empfunden wird. Dieſe Luſt iſt freilich die Schlußempfindung auch des tiefſten Schmerzes im reinen Gefühlsleben.
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Gegenſtand ſind beide ſchlechthin vielſeitig. Was dieſe Region der unend-
lichen Reſonnanz des Innern von Luſt erzittern macht, klingt in einer andern
als Schmerz an und umgekehrt, die Luſt im Schmerz ſpaltet ſich abermals
in Luſt und Schmerz und ebenſo der Schmerz in der Luſt, ja es ſind
genauer betrachtet nicht nur verſchiedene Anklänge ſo zu ſagen an verſchie-
denen Stellen, nicht nur ſolche Spaltungen, ſondern es iſt ein wirklicher
unendlicher Stellenwechſel, denn aus der Unendlichkeit der Beziehungen
folgt, daß, was in der einen Luſt iſt, in der andern Schmerz ſein kann,
und umgekehrt. Wir ſind ſchon hier auf eine allgemeine Relativität geführt,
worin es nichts Feſtes gibt, ſondern aller Begriff von Inhalt in den
Begriff unendlicher Verhältnißſtellungen übergeht. Unbeſchadet
dieſer unabſehlichen Miſchung, Verwicklung, Wendung wird, wo nicht im
Ganzen einer Stimmung, die ihren geſchloſſenen Ablauf hat, doch in einem
Stadium jeder Stimmung entweder Luſt oder Unluſt herrſchen. Hier aber
fordert das Geſetz des Schönen ſelbſt, daß dieſe Herrſchaft keine abſolute
ſei. Es gibt eine gemeine Luſt und einen gemeinen, graſſen Schmerz;
beide werden mannigfaltige Miſchungen mit ihrem Gegentheil darſtellen,
aber doch ſo, daß ſich dort die Miſchung in das Gefühl platter einfacher
Luſtigkeit, hier in den Schrei der Verzweiflung zuſammenfaßt. Die Läuterung
des Gefühls, wie wir ſie in §. 750, 2. als allgemeine Vorausſetzung hin-
geſtellt haben, duldet weder das Eine, noch das Andere. Das Herz, das
nicht in ſtoffartiger Unfreiheit vom Sturze der Empfindung fortgeriſſen
wird und das ſich die Gewißheit der Harmonie der Dinge durch keine
Erfahrung rauben läßt, ſchwebt ſelbſt über dem äußerſten Schmerz, ja es
fühlt, daß er ſchön iſt, und verſenkt ſich frei in dieſe Schönheit. Ebenſo-
wenig kennt die ächte Empfindung jenes reine Zufriedenſein mit einem
endlichen Zuſtande, das in der bloßen Luſtigkeit oder klebenden Behaglichkeit
ſich kund gibt. Jedes Wohlſein erſcheint im Lichte des Ideals als ein
vergängliches und die höchſte Luſt in der Verſöhnung mit dem Ewigen iſt
vom Gefühle des Opfers und der Unzulänglichkeit durchzittert. Es iſt
nur ein anderes Wort für die im allgemeinen Sinne des Worts religiöſe
Natur des ächten Gefühls, daß ihm ein Hauch der Wehmuth durchaus
weſentlich iſt, etwas von dem Gefühlstone, womit wir auf vergangene
Zeiten ſchönen Völkerlebens, auf die Kinderjahre zurückblicken. Das Gemüth
ſchwebt in jener Höhe, wovon alles Endliche in ſeiner Fülle, aber auch
wie ein ſo eben ſich Auflöſendes, ein hinſchwindender Flor empfunden wird.
Dieſe Luſt iſt freilich die Schlußempfindung auch des tiefſten Schmerzes
im reinen Gefühlsleben.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 798. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/36>, abgerufen am 21.11.2024.
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