glichenen um so mehr zu betonen. Dazu kommt die Stimmung im gegebenen Momente: Hamlet ist freudig gehoben durch die Entdeckung eines längst geahnten Verbrechens und er liebt es, eine große Genugthuung im Tone gemeiner Lustigkeit auszudrücken, nicht um jene, sondern um diese zu ironi- siren; man vergleiche sein Benehmen nach der Wirkung des aufgeführten Schauspiels auf den König. Solche Sprünge sind denn im classischen und classisch auffassenden modernen Style gar nicht denkbar. Zwar darf man den Unterschied zwischen diesen beiden letzteren auch nicht übersehen: Homer und die griechischen Tragiker hatten noch nicht das Lachen des modernen Stumpfsinns zu fürchten, der, wie zu §. 850 erwähnt ist, bei übriger Un- gleichheit so schwer den Vergleichungspunct festzuhalten vermag, sie wimmeln von Bildern, welche die niedrige Sphäre nicht scheuen, wenn sie nur schlagende Wahrheit darbietet; Homer vergleicht seine Helden nicht nur mit Eseln, Stieren, Widdern, -- diese Thiere waren überhaupt noch nicht für die Komik abgenützt, -- er verschmäht es auch nicht, den Eigensinn der Fliege, den am Lande zappelnden Fisch herbeizuziehen, um dem hartnäckigen Muthe, der stets auf dieselbe Stelle im Getümmel sich wirft, dem schnappenden Röcheln des tödtlich Verwundeten ein haarscharfes Licht der Vergleichung zuzuführen. Solche Bilder kommen uns naiv vor, sind aber nur rein poetisch und beiden entgegengesetzten Stylen gemeinsam; es ist daher nicht durch die übrigens allerdings zarteren Grenzen des classisch gebildeten Gefühls gerechtfertigt, sondern nur sehr bezeichnend für seine rhetorische Art, wenn Schiller sich scheut, in dem treffenden Bilde von dem Geier und den Küchlein zu bleiben, wo Makduff ausruft: "All' die lieben Kleinen? Ihr sagtet: alle? -- Höllengeier! -- Alle? -- Wie, meine süßen Küchlein mit der Mutter auf einen gier'gen Stoß?" und übersetzt: "Alle! Was? Meine zarten kleinen Engel alle? O höllischer Geier! Alle! Mutter, Kinder mit einem einz'gen Tigergriff!" Wahrhaft platt sind diese vermeintlich erhabeneren "Engel" und der "Tiger", zugleich hat die Scheue vor dem einfach Wahren hier zu einer wirklich ganz unstatthaften Katachrese geführt (vgl. über dieses belehrende Beispiel: Timm, das Nibelungenlied u. s. w. S. 25). Wenn aber im Uebrigen der charakteristische Styl auch in diesem Gebiete sich scharf genug von dem plastisch idealen unterscheidet, wenn er gerade darum ungleich mehr wagt, weil die Tiefen des Geistes, die er aufdeckt, die freie Entlassung der Par- ticularität nicht nur ertragen, sondern sogar fordern, damit die Macht des Bandes sich zeige, welches die Extreme zusammenhält, so bricht jene ver- tiefte Haltung und Stimmung auf der andern Seite in Bildern aus, welche überpathetisch, visionär, verzückt erscheinen, welche, auf den ersten Btick seltsam und wildfremd, demjenigen, der sich in den Zustand zu versetzen vermag, bei näherem und längerem Anschauen klar werden, wie Rembrandt's traum- haft in's Dunkel leuchtendes Helldunkel oder das wilde Licht des Blitzes
glichenen um ſo mehr zu betonen. Dazu kommt die Stimmung im gegebenen Momente: Hamlet iſt freudig gehoben durch die Entdeckung eines längſt geahnten Verbrechens und er liebt es, eine große Genugthuung im Tone gemeiner Luſtigkeit auszudrücken, nicht um jene, ſondern um dieſe zu ironi- ſiren; man vergleiche ſein Benehmen nach der Wirkung des aufgeführten Schauſpiels auf den König. Solche Sprünge ſind denn im claſſiſchen und claſſiſch auffaſſenden modernen Style gar nicht denkbar. Zwar darf man den Unterſchied zwiſchen dieſen beiden letzteren auch nicht überſehen: Homer und die griechiſchen Tragiker hatten noch nicht das Lachen des modernen Stumpfſinns zu fürchten, der, wie zu §. 850 erwähnt iſt, bei übriger Un- gleichheit ſo ſchwer den Vergleichungspunct feſtzuhalten vermag, ſie wimmeln von Bildern, welche die niedrige Sphäre nicht ſcheuen, wenn ſie nur ſchlagende Wahrheit darbietet; Homer vergleicht ſeine Helden nicht nur mit Eſeln, Stieren, Widdern, — dieſe Thiere waren überhaupt noch nicht für die Komik abgenützt, — er verſchmäht es auch nicht, den Eigenſinn der Fliege, den am Lande zappelnden Fiſch herbeizuziehen, um dem hartnäckigen Muthe, der ſtets auf dieſelbe Stelle im Getümmel ſich wirft, dem ſchnappenden Röcheln des tödtlich Verwundeten ein haarſcharfes Licht der Vergleichung zuzuführen. Solche Bilder kommen uns naiv vor, ſind aber nur rein poetiſch und beiden entgegengeſetzten Stylen gemeinſam; es iſt daher nicht durch die übrigens allerdings zarteren Grenzen des claſſiſch gebildeten Gefühls gerechtfertigt, ſondern nur ſehr bezeichnend für ſeine rhetoriſche Art, wenn Schiller ſich ſcheut, in dem treffenden Bilde von dem Geier und den Küchlein zu bleiben, wo Makduff ausruft: „All’ die lieben Kleinen? Ihr ſagtet: alle? — Höllengeier! — Alle? — Wie, meine ſüßen Küchlein mit der Mutter auf einen gier’gen Stoß?“ und überſetzt: „Alle! Was? Meine zarten kleinen Engel alle? O hölliſcher Geier! Alle! Mutter, Kinder mit einem einz’gen Tigergriff!“ Wahrhaft platt ſind dieſe vermeintlich erhabeneren „Engel“ und der „Tiger“, zugleich hat die Scheue vor dem einfach Wahren hier zu einer wirklich ganz unſtatthaften Katachreſe geführt (vgl. über dieſes belehrende Beiſpiel: Timm, das Nibelungenlied u. ſ. w. S. 25). Wenn aber im Uebrigen der charakteriſtiſche Styl auch in dieſem Gebiete ſich ſcharf genug von dem plaſtiſch idealen unterſcheidet, wenn er gerade darum ungleich mehr wagt, weil die Tiefen des Geiſtes, die er aufdeckt, die freie Entlaſſung der Par- ticularität nicht nur ertragen, ſondern ſogar fordern, damit die Macht des Bandes ſich zeige, welches die Extreme zuſammenhält, ſo bricht jene ver- tiefte Haltung und Stimmung auf der andern Seite in Bildern aus, welche überpathetiſch, viſionär, verzückt erſcheinen, welche, auf den erſten Btick ſeltſam und wildfremd, demjenigen, der ſich in den Zuſtand zu verſetzen vermag, bei näherem und längerem Anſchauen klar werden, wie Rembrandt’s traum- haft in’s Dunkel leuchtendes Helldunkel oder das wilde Licht des Blitzes
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geahnten Verbrechens und er liebt es, eine große Genugthuung im Tone
gemeiner Luſtigkeit auszudrücken, nicht um jene, ſondern um dieſe zu ironi-
ſiren; man vergleiche ſein Benehmen nach der Wirkung des aufgeführten
Schauſpiels auf den König. Solche Sprünge ſind denn im claſſiſchen und
claſſiſch auffaſſenden modernen Style gar nicht denkbar. Zwar darf man
den Unterſchied zwiſchen dieſen beiden letzteren auch nicht überſehen: Homer
und die griechiſchen Tragiker hatten noch nicht das Lachen des modernen
Stumpfſinns zu fürchten, der, wie zu §. 850 erwähnt iſt, bei übriger Un-
gleichheit ſo ſchwer den Vergleichungspunct feſtzuhalten vermag, ſie wimmeln
von Bildern, welche die niedrige Sphäre nicht ſcheuen, wenn ſie nur ſchlagende
Wahrheit darbietet; Homer vergleicht ſeine Helden nicht nur mit Eſeln,
Stieren, Widdern, — dieſe Thiere waren überhaupt noch nicht für die Komik
abgenützt, — er verſchmäht es auch nicht, den Eigenſinn der Fliege, den
am Lande zappelnden Fiſch herbeizuziehen, um dem hartnäckigen Muthe, der
ſtets auf dieſelbe Stelle im Getümmel ſich wirft, dem ſchnappenden Röcheln
des tödtlich Verwundeten ein haarſcharfes Licht der Vergleichung zuzuführen.
Solche Bilder kommen uns naiv vor, ſind aber nur rein poetiſch und beiden
entgegengeſetzten Stylen gemeinſam; es iſt daher nicht durch die übrigens
allerdings zarteren Grenzen des claſſiſch gebildeten Gefühls gerechtfertigt,
ſondern nur ſehr bezeichnend für ſeine rhetoriſche Art, wenn Schiller ſich
ſcheut, in dem treffenden Bilde von dem Geier und den Küchlein zu bleiben,
wo Makduff ausruft: „All’ die lieben Kleinen? Ihr ſagtet: alle? —
Höllengeier! — Alle? — Wie, meine ſüßen Küchlein mit der Mutter auf
einen gier’gen Stoß?“ und überſetzt: „Alle! Was? Meine zarten kleinen
Engel alle? O hölliſcher Geier! Alle! Mutter, Kinder mit einem einz’gen
Tigergriff!“ Wahrhaft platt ſind dieſe vermeintlich erhabeneren „Engel“
und der „Tiger“, zugleich hat die Scheue vor dem einfach Wahren hier zu
einer wirklich ganz unſtatthaften Katachreſe geführt (vgl. über dieſes belehrende
Beiſpiel: Timm, das Nibelungenlied u. ſ. w. S. 25). Wenn aber im Uebrigen
der charakteriſtiſche Styl auch in dieſem Gebiete ſich ſcharf genug von dem
plaſtiſch idealen unterſcheidet, wenn er gerade darum ungleich mehr wagt,
weil die Tiefen des Geiſtes, die er aufdeckt, die freie Entlaſſung der Par-
ticularität nicht nur ertragen, ſondern ſogar fordern, damit die Macht des
Bandes ſich zeige, welches die Extreme zuſammenhält, ſo bricht jene ver-
tiefte Haltung und Stimmung auf der andern Seite in Bildern aus, welche
überpathetiſch, viſionär, verzückt erſcheinen, welche, auf den erſten Btick ſeltſam
und wildfremd, demjenigen, der ſich in den Zuſtand zu verſetzen vermag,
bei näherem und längerem Anſchauen klar werden, wie Rembrandt’s traum-
haft in’s Dunkel leuchtendes Helldunkel oder das wilde Licht des Blitzes
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/100>, abgerufen am 21.11.2024.
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