Hier namentlich ist das Beispiel der Malerei belehrend, der Gegensatz ist genau derselbe, wie zwischen den großen italienischen Meistern, Raphael an der Spitze, und Rubens, Rembrandt nebst den holländischen Kleinmalern im Sittenbilde. Wir greifen sogleich in's Concrete und führen namentlich einige Beispiele auf, welche zeigen, wie anders der classische gehobene Schiller fühlt, als Shakespeare, der malerische Individualist in der Poesie. Bei diesem zählt Makbeth dem Mörder, dem er erwiedert, er sei nur dem Geschlechte nach Mann, wie die furchtsamen kleinern Hunde im Verzeichniß des Hundegeschlechts freilich auch mitlaufen, neun Racen auf, Schiller in seiner Uebersetzung hält bei der zweiten inne: der classische Styl, der auf dem Kothurne geht, fürchtet durch engeres Spezialisiren platt zu werden, der charakteristische scheut es nicht, er geht durchaus in's Detail und sorgt für die Haltung der poetischen Würde durch Ton und Stimmung im Ganzen. Sicher hätte Schiller den verbannten Romeo nicht die Fliege und die Maus um Juliens Nähe beneiden lassen und doch gehört dieß nicht unter Shakes- peare's Geschmacksverletzungen, sondern ist nur genau wahr gefühlt; und wenn Shylock sein böses Wollen mit der Thatsache gewisser Idiosynkrasieen belegt, die er so speziell aufführt ("es gibt der Leute, die kein grunzend Ferkel ausstehen können" u. s. w. Act 4, Sc. 1), so geschieht dieß zwar in einer Komödie, doch im ängstlich spannenden Theile derselben, und kein Dichter der classicirenden Richtung hätte einen finstern Charakter, der doch etwas Tragisches hat, in seiner Rede so detaillirt. Solche Züge sind aber nur vereinzelte Merkmale der Zeichnung des Charakters, der Leidenschaft, der Handlung und aller Dinge, wie sie im charakteristischen Styl vorne- herein darauf angelegt wird, die Eigenheit der Züge bis in's Kleine mit- aufzunehmen, mag dieß auch im ernsten Zusammenhang so oder so in das Komische auslaufen. Dasselbe spricht sich denn auch im Bildlichen aus. Wenn Hamlet in einer hochtragischen Scene, in der äußersten Spannung des Gemüths und aller Nerven dem Geiste seines Vaters zuruft: brav gearbeitet, wackerer Maulwurf! so ist dieser Absprung in das Platte allen denen, welche im Sinne des directen Idealismus auffassen, rein ungenießbar; sie verstehen nicht, wie recht wohl Shakespeare weiß, daß das platt ist, und wie er es gerade darum seinem tragischen Humoristen in den Mund legt; man kann recht wohl die verborgen arbeitende Macht, die endlich eine Unthat an das Licht bringt, mit dem stillen Wühlen eines Maulwurfs vergleichen, ja Hegel wendet die Stelle treffend auf den Geist in der Welt- geschichte an, wie er lange in unsichtbarer Tiefe thätig ist, aber in den großen Momenten der Krise sich an das Licht herausarbeitet; freilich liegt trotz der Wahrheit des Vergleichungspunctes wegen der übrigen Kleinheit des Bildes eine komische Incongruenz darin, diese aber ist gerade beab- sichtigt, um durch die Ironie des weiten Abstands die Hoheit des Ver-
Hier namentlich iſt das Beiſpiel der Malerei belehrend, der Gegenſatz iſt genau derſelbe, wie zwiſchen den großen italieniſchen Meiſtern, Raphael an der Spitze, und Rubens, Rembrandt nebſt den holländiſchen Kleinmalern im Sittenbilde. Wir greifen ſogleich in’s Concrete und führen namentlich einige Beiſpiele auf, welche zeigen, wie anders der claſſiſche gehobene Schiller fühlt, als Shakespeare, der maleriſche Individualiſt in der Poeſie. Bei dieſem zählt Makbeth dem Mörder, dem er erwiedert, er ſei nur dem Geſchlechte nach Mann, wie die furchtſamen kleinern Hunde im Verzeichniß des Hundegeſchlechts freilich auch mitlaufen, neun Raçen auf, Schiller in ſeiner Ueberſetzung hält bei der zweiten inne: der claſſiſche Styl, der auf dem Kothurne geht, fürchtet durch engeres Spezialiſiren platt zu werden, der charakteriſtiſche ſcheut es nicht, er geht durchaus in’s Detail und ſorgt für die Haltung der poetiſchen Würde durch Ton und Stimmung im Ganzen. Sicher hätte Schiller den verbannten Romeo nicht die Fliege und die Maus um Juliens Nähe beneiden laſſen und doch gehört dieß nicht unter Shakes- peare’s Geſchmacksverletzungen, ſondern iſt nur genau wahr gefühlt; und wenn Shylock ſein böſes Wollen mit der Thatſache gewiſſer Idioſynkraſieen belegt, die er ſo ſpeziell aufführt („es gibt der Leute, die kein grunzend Ferkel ausſtehen können“ u. ſ. w. Act 4, Sc. 1), ſo geſchieht dieß zwar in einer Komödie, doch im ängſtlich ſpannenden Theile derſelben, und kein Dichter der claſſicirenden Richtung hätte einen finſtern Charakter, der doch etwas Tragiſches hat, in ſeiner Rede ſo detaillirt. Solche Züge ſind aber nur vereinzelte Merkmale der Zeichnung des Charakters, der Leidenſchaft, der Handlung und aller Dinge, wie ſie im charakteriſtiſchen Styl vorne- herein darauf angelegt wird, die Eigenheit der Züge bis in’s Kleine mit- aufzunehmen, mag dieß auch im ernſten Zuſammenhang ſo oder ſo in das Komiſche auslaufen. Daſſelbe ſpricht ſich denn auch im Bildlichen aus. Wenn Hamlet in einer hochtragiſchen Scene, in der äußerſten Spannung des Gemüths und aller Nerven dem Geiſte ſeines Vaters zuruft: brav gearbeitet, wackerer Maulwurf! ſo iſt dieſer Abſprung in das Platte allen denen, welche im Sinne des directen Idealiſmus auffaſſen, rein ungenießbar; ſie verſtehen nicht, wie recht wohl Shakespeare weiß, daß das platt iſt, und wie er es gerade darum ſeinem tragiſchen Humoriſten in den Mund legt; man kann recht wohl die verborgen arbeitende Macht, die endlich eine Unthat an das Licht bringt, mit dem ſtillen Wühlen eines Maulwurfs vergleichen, ja Hegel wendet die Stelle treffend auf den Geiſt in der Welt- geſchichte an, wie er lange in unſichtbarer Tiefe thätig iſt, aber in den großen Momenten der Kriſe ſich an das Licht herausarbeitet; freilich liegt trotz der Wahrheit des Vergleichungspunctes wegen der übrigen Kleinheit des Bildes eine komiſche Incongruenz darin, dieſe aber iſt gerade beab- ſichtigt, um durch die Ironie des weiten Abſtands die Hoheit des Ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0099"n="1235"/><p><hirendition="#et">Hier namentlich iſt das Beiſpiel der Malerei belehrend, der Gegenſatz<lb/>
iſt genau derſelbe, wie zwiſchen den großen italieniſchen Meiſtern, Raphael<lb/>
an der Spitze, und Rubens, Rembrandt nebſt den holländiſchen Kleinmalern<lb/>
im Sittenbilde. Wir greifen ſogleich in’s Concrete und führen namentlich<lb/>
einige Beiſpiele auf, welche zeigen, wie anders der claſſiſche gehobene<lb/>
Schiller fühlt, als Shakespeare, der maleriſche Individualiſt in der Poeſie.<lb/>
Bei dieſem zählt Makbeth dem Mörder, dem er erwiedert, er ſei nur dem<lb/>
Geſchlechte nach Mann, wie die furchtſamen kleinern Hunde im Verzeichniß<lb/>
des Hundegeſchlechts freilich auch mitlaufen, neun Raçen auf, Schiller in<lb/>ſeiner Ueberſetzung hält bei der zweiten inne: der claſſiſche Styl, der auf<lb/>
dem Kothurne geht, fürchtet durch engeres Spezialiſiren platt zu werden,<lb/>
der charakteriſtiſche ſcheut es nicht, er geht durchaus in’s Detail und ſorgt<lb/>
für die Haltung der poetiſchen Würde durch Ton und Stimmung im Ganzen.<lb/>
Sicher hätte Schiller den verbannten Romeo nicht die Fliege und die Maus<lb/>
um Juliens Nähe beneiden laſſen und doch gehört dieß nicht unter Shakes-<lb/>
peare’s Geſchmacksverletzungen, ſondern iſt nur genau wahr gefühlt; und<lb/>
wenn Shylock ſein böſes Wollen mit der Thatſache gewiſſer Idioſynkraſieen<lb/>
belegt, die er ſo ſpeziell aufführt („es gibt der Leute, die kein grunzend<lb/>
Ferkel ausſtehen können“ u. ſ. w. Act 4, Sc. 1), ſo geſchieht dieß zwar in<lb/>
einer Komödie, doch im ängſtlich ſpannenden Theile derſelben, und kein<lb/>
Dichter der claſſicirenden Richtung hätte einen finſtern Charakter, der doch<lb/>
etwas Tragiſches hat, in ſeiner Rede ſo detaillirt. Solche Züge ſind aber<lb/>
nur vereinzelte Merkmale der Zeichnung des Charakters, der Leidenſchaft,<lb/>
der Handlung und aller Dinge, wie ſie im charakteriſtiſchen Styl vorne-<lb/>
herein darauf angelegt wird, die Eigenheit der Züge bis in’s Kleine mit-<lb/>
aufzunehmen, mag dieß auch im ernſten Zuſammenhang ſo oder ſo in das<lb/>
Komiſche auslaufen. Daſſelbe ſpricht ſich denn auch im Bildlichen aus.<lb/>
Wenn Hamlet in einer hochtragiſchen Scene, in der äußerſten Spannung<lb/>
des Gemüths und aller Nerven dem Geiſte ſeines Vaters zuruft: brav<lb/>
gearbeitet, wackerer Maulwurf! ſo iſt dieſer Abſprung in das Platte allen<lb/>
denen, welche im Sinne des directen Idealiſmus auffaſſen, rein ungenießbar;<lb/>ſie verſtehen nicht, wie recht wohl Shakespeare weiß, daß das platt iſt, und<lb/>
wie er es gerade darum ſeinem tragiſchen Humoriſten in den Mund legt;<lb/>
man kann recht wohl die verborgen arbeitende Macht, die endlich eine<lb/>
Unthat an das Licht bringt, mit dem ſtillen Wühlen eines Maulwurfs<lb/>
vergleichen, ja Hegel wendet die Stelle treffend auf den Geiſt in der Welt-<lb/>
geſchichte an, wie er lange in unſichtbarer Tiefe thätig iſt, aber in den<lb/>
großen Momenten der Kriſe ſich an das Licht herausarbeitet; freilich liegt<lb/>
trotz der Wahrheit des Vergleichungspunctes wegen der übrigen Kleinheit<lb/>
des Bildes eine komiſche Incongruenz darin, dieſe aber iſt gerade beab-<lb/>ſichtigt, um durch die Ironie des weiten Abſtands die Hoheit des Ver-<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[1235/0099]
Hier namentlich iſt das Beiſpiel der Malerei belehrend, der Gegenſatz
iſt genau derſelbe, wie zwiſchen den großen italieniſchen Meiſtern, Raphael
an der Spitze, und Rubens, Rembrandt nebſt den holländiſchen Kleinmalern
im Sittenbilde. Wir greifen ſogleich in’s Concrete und führen namentlich
einige Beiſpiele auf, welche zeigen, wie anders der claſſiſche gehobene
Schiller fühlt, als Shakespeare, der maleriſche Individualiſt in der Poeſie.
Bei dieſem zählt Makbeth dem Mörder, dem er erwiedert, er ſei nur dem
Geſchlechte nach Mann, wie die furchtſamen kleinern Hunde im Verzeichniß
des Hundegeſchlechts freilich auch mitlaufen, neun Raçen auf, Schiller in
ſeiner Ueberſetzung hält bei der zweiten inne: der claſſiſche Styl, der auf
dem Kothurne geht, fürchtet durch engeres Spezialiſiren platt zu werden,
der charakteriſtiſche ſcheut es nicht, er geht durchaus in’s Detail und ſorgt
für die Haltung der poetiſchen Würde durch Ton und Stimmung im Ganzen.
Sicher hätte Schiller den verbannten Romeo nicht die Fliege und die Maus
um Juliens Nähe beneiden laſſen und doch gehört dieß nicht unter Shakes-
peare’s Geſchmacksverletzungen, ſondern iſt nur genau wahr gefühlt; und
wenn Shylock ſein böſes Wollen mit der Thatſache gewiſſer Idioſynkraſieen
belegt, die er ſo ſpeziell aufführt („es gibt der Leute, die kein grunzend
Ferkel ausſtehen können“ u. ſ. w. Act 4, Sc. 1), ſo geſchieht dieß zwar in
einer Komödie, doch im ängſtlich ſpannenden Theile derſelben, und kein
Dichter der claſſicirenden Richtung hätte einen finſtern Charakter, der doch
etwas Tragiſches hat, in ſeiner Rede ſo detaillirt. Solche Züge ſind aber
nur vereinzelte Merkmale der Zeichnung des Charakters, der Leidenſchaft,
der Handlung und aller Dinge, wie ſie im charakteriſtiſchen Styl vorne-
herein darauf angelegt wird, die Eigenheit der Züge bis in’s Kleine mit-
aufzunehmen, mag dieß auch im ernſten Zuſammenhang ſo oder ſo in das
Komiſche auslaufen. Daſſelbe ſpricht ſich denn auch im Bildlichen aus.
Wenn Hamlet in einer hochtragiſchen Scene, in der äußerſten Spannung
des Gemüths und aller Nerven dem Geiſte ſeines Vaters zuruft: brav
gearbeitet, wackerer Maulwurf! ſo iſt dieſer Abſprung in das Platte allen
denen, welche im Sinne des directen Idealiſmus auffaſſen, rein ungenießbar;
ſie verſtehen nicht, wie recht wohl Shakespeare weiß, daß das platt iſt, und
wie er es gerade darum ſeinem tragiſchen Humoriſten in den Mund legt;
man kann recht wohl die verborgen arbeitende Macht, die endlich eine
Unthat an das Licht bringt, mit dem ſtillen Wühlen eines Maulwurfs
vergleichen, ja Hegel wendet die Stelle treffend auf den Geiſt in der Welt-
geſchichte an, wie er lange in unſichtbarer Tiefe thätig iſt, aber in den
großen Momenten der Kriſe ſich an das Licht herausarbeitet; freilich liegt
trotz der Wahrheit des Vergleichungspunctes wegen der übrigen Kleinheit
des Bildes eine komiſche Incongruenz darin, dieſe aber iſt gerade beab-
ſichtigt, um durch die Ironie des weiten Abſtands die Hoheit des Ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/99>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.