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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.

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hange der Geiſt des Verfahrens, der von der allgemeinen Kunſtform des
Verfahrens wohl zu unterſcheiden iſt. Gerade weil er ein vergangener iſt,
kann der Stoff ſo behandelt werden, als habe er ſich ſelbſt gemacht und
der Dichter thue nichts dazu, ſondern ſtehe blos mit dem Stabe daneben
und zeige die Bilder wie Sculpturwerke oder Gemälde, wo wir von Theil
zu Theil, von Bild zu Bild fortrücken; darin alſo liegt die tiefe Ver-
wandtſchaft mit dem bildenden Künſtler. Man hat dieß nicht immer unter-
ſchieden, wie man es ſollte; Hegel z. B. ſagt einfach, der epiſche Dichter
verſchwinde in ſeinem Gegenſtande, nur das Product, nicht aber er erſcheine
(Aeſth. Th. 3, S. 337), Göthe: der Rhapſode ſollte als ein höheres Weſen
in ſeinem Gedichte nicht ſelbſt erſcheinen u. ſ. w. (Briefwechſel zwiſchen Göthe
und Schiller B. 3, S. 378). Schon der antike Anruf an die Muſe ſpricht
aber aus, daß der begeiſterte Dichter gegenwärtig iſt, er kann auch ſonſt mit
lyriſchen Wendungen, mit Betrachtungen hervortreten, ohne daß darunter
die Objectivität im Geiſte des Verfahrens litte. Der §. ſagt: der Dichter
„weiß oder behauptet ſein Product nicht als ſolches,“ um dem Unterſchiede
des ächten, urſprünglichen Epos und der ſpäteren Formen, die näher am
Romane liegen, namentlich aber des Romans ſelbſt ſeinen Spielraum zu
laſſen, denn wir ſind noch im Allgemeinen. Der Dichter kann nämlich
noch immer vom epiſchen Geiſte der Gegenſtändlichkeit durchdrungen ſein,
obwohl er mit ſeiner Zeit ſchon weit entfernt iſt vom naiven Glauben an
die geſchichtliche Wahrheit ſeines Stoffs, von jenem Verhältniſſe, worin er
nur „Mund der Sage“ iſt und worin auch ein ſchöpferiſches Umbilden des
Gegenſtands von keinem vollen Bewußtſein der eigenen freien Thätigkeit
begleitet iſt; da wird er aber mit einer gemeſſenen, milden Ironie dieſes
Bewußtſein verbergen und ſich durchaus benehmen, als gebiete ihm der
Stoff, und dieß wird inſofern keine Unwahrheit ſein, als der Auffaſſung
nach allerdings die Nothwendigkeit des Weltlaufs ihm imponirt: das äſthe-
tiſche Spiel beſteht nur darin, daß er vermöge einer Vertauſchung der
Subjecte vorgibt, als gelte der Reſpect, den er der inneren Wahrheit zollt, der
äußeren, thatſächlichen. Allerdings gedeiht aber jener Geiſt der Gegen-
ſtändlichkeit beſſer, wo es dieſer Uebertragung nicht bedarf, ſondern der
Dichter mit ungetheilter Naivetät in der Sache iſt.

§. 866.

Hiedurch iſt die ganze Weltauffaſſung des Dichters bedingt. Er hat
allerdings in einer Handlung das Leben des Willens und ſeine Conflicte
darzuſtellen, aber als vergangen iſt dieſelbe der Nothwendigkeit anheim-
gefallen und ſtellt ſich mit allen übrigen Bedingungen des Geſchehens unter den
Standpunct des Seins, der Subſtantialität. Die Hauptperſon, der Held,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/130>, abgerufen am 18.02.2025.