ein Vorsänger die Thaten und Leiden des Gottes vortrug: nach der andern Seite ein Keim des Dramatischen, woraus bekanntlich die Tragödie entstand. Was aber den Griechen Dionysos war, das ist uns jeder Moment der leidenschaftlich dunkeln Erregung, worin das Höchste und Bedeutendste uns erfüllt, ohne unser eigenster Besitz zu werden, ohne zum stillen, freien und klaren Leben des Gefühls, worin wir ganz uns selbst haben, sich abzuklären. -- Ode heißt in dem intensiven Sinne, wie der Sprachgebrauch sich fest- gesetzt hat, ein hoch erregter Gesang wesentlich erhabenen Inhalts in kunst- reichen Strophen und kühn abspringender Composition. Man darf dann streng genommen die leichteren Formen und kürzeren Strophen mit mensch- lich vertrauterem, erotischem und verwandtem Inhalt, wie sie der melischen Poesie, der Aeolischen und Anakreontischen, angehörten, nicht Oden nennen; will man auch das eine jener Merkmale, die kunstvoll reiche Strophenbil- dung (und den Tanz) fallen lassen, so bleibt doch das andere stehen und man wird demnach unter den Horazischen Gedichten und den neueren Nach- ahmungen nach dieser genaueren Bezeichnung nur das Ode nennen, was erhabenen Inhalt, angespannt hohen Ton und die sogenannte lyrische Un- ordnung in der Composition hat. Es gibt keine scherzende, leichte Ode, man müßte denn schließlich an dem Merkmale des Anrufs, des antiken Tons und Rhythmus, wie er eine selbständige Klang-Schönheit darstellt, überhaupt sich genügen lassen, um den Begriff der Ode zu bestimmen und jene wesentlichen Bedingungen ganz aufgeben. Was nun die Absprünge in der Compositionsweise betrifft, so haben wir allerdings diesen Zug schon in der Darstellung des lyrischen Charakters überhaupt aufgenommen, um an ihm den Gegensatz der objectiven und der lyrischen Ordnung zu zeigen. Allein diese kann ihre Eigenthümlichkeit, ihren schweifenden Charakter in einem ungleich bescheideneren Maaße des Abspringens genugsam offenbaren; es ist Zeit, sich zu gestehen, daß die Pindarische Methode etwas höchst unabsichtlich Entstandenes mit einem Uebermaaße der Absicht fixirt. Die gar zu weiten Sprünge sind eine Nachahmung jenes Irrens der Phantasie, das der bacchischen Trunkenheit, dem Dithyramben, angehört, und halten mit Bewußtsein das recht eigentlich Unbewußte fest, machen es zur Manier. Die Ode im strengeren Sinne des Worts, wonach eben die lyrische Unord- nung ein wesentliches Merkmal des Begriffs bildet, zeigt daher einen inneren Widerspruch, durch den sie genau an die Grenze des Hymnischen fällt und eigentlich zur Lyrik der Betrachtung fortleitet, die wir aber aus höheren Eintheilungs-Gründen noch nicht unmittelbar folgen lassen. Hegel sagt demnach (a. a. O. S. 458) richtig, sie enthalte zwei entgegengesetzte Seiten: die hinreißende Macht des Inhalts und die subjective poetische Freiheit, welche im Kampfe mit dem Gegenstande, der sie bewältigen will, hervor- bricht; Gluth und unläugbarer Frost sind in ihr verbunden.
ein Vorſänger die Thaten und Leiden des Gottes vortrug: nach der andern Seite ein Keim des Dramatiſchen, woraus bekanntlich die Tragödie entſtand. Was aber den Griechen Dionyſos war, das iſt uns jeder Moment der leidenſchaftlich dunkeln Erregung, worin das Höchſte und Bedeutendſte uns erfüllt, ohne unſer eigenſter Beſitz zu werden, ohne zum ſtillen, freien und klaren Leben des Gefühls, worin wir ganz uns ſelbſt haben, ſich abzuklären. — Ode heißt in dem intenſiven Sinne, wie der Sprachgebrauch ſich feſt- geſetzt hat, ein hoch erregter Geſang weſentlich erhabenen Inhalts in kunſt- reichen Strophen und kühn abſpringender Compoſition. Man darf dann ſtreng genommen die leichteren Formen und kürzeren Strophen mit menſch- lich vertrauterem, erotiſchem und verwandtem Inhalt, wie ſie der meliſchen Poeſie, der Aeoliſchen und Anakreontiſchen, angehörten, nicht Oden nennen; will man auch das eine jener Merkmale, die kunſtvoll reiche Strophenbil- dung (und den Tanz) fallen laſſen, ſo bleibt doch das andere ſtehen und man wird demnach unter den Horaziſchen Gedichten und den neueren Nach- ahmungen nach dieſer genaueren Bezeichnung nur das Ode nennen, was erhabenen Inhalt, angeſpannt hohen Ton und die ſogenannte lyriſche Un- ordnung in der Compoſition hat. Es gibt keine ſcherzende, leichte Ode, man müßte denn ſchließlich an dem Merkmale des Anrufs, des antiken Tons und Rhythmus, wie er eine ſelbſtändige Klang-Schönheit darſtellt, überhaupt ſich genügen laſſen, um den Begriff der Ode zu beſtimmen und jene weſentlichen Bedingungen ganz aufgeben. Was nun die Abſprünge in der Compoſitionsweiſe betrifft, ſo haben wir allerdings dieſen Zug ſchon in der Darſtellung des lyriſchen Charakters überhaupt aufgenommen, um an ihm den Gegenſatz der objectiven und der lyriſchen Ordnung zu zeigen. Allein dieſe kann ihre Eigenthümlichkeit, ihren ſchweifenden Charakter in einem ungleich beſcheideneren Maaße des Abſpringens genugſam offenbaren; es iſt Zeit, ſich zu geſtehen, daß die Pindariſche Methode etwas höchſt unabſichtlich Entſtandenes mit einem Uebermaaße der Abſicht fixirt. Die gar zu weiten Sprünge ſind eine Nachahmung jenes Irrens der Phantaſie, das der bacchiſchen Trunkenheit, dem Dithyramben, angehört, und halten mit Bewußtſein das recht eigentlich Unbewußte feſt, machen es zur Manier. Die Ode im ſtrengeren Sinne des Worts, wonach eben die lyriſche Unord- nung ein weſentliches Merkmal des Begriffs bildet, zeigt daher einen inneren Widerſpruch, durch den ſie genau an die Grenze des Hymniſchen fällt und eigentlich zur Lyrik der Betrachtung fortleitet, die wir aber aus höheren Eintheilungs-Gründen noch nicht unmittelbar folgen laſſen. Hegel ſagt demnach (a. a. O. S. 458) richtig, ſie enthalte zwei entgegengeſetzte Seiten: die hinreißende Macht des Inhalts und die ſubjective poetiſche Freiheit, welche im Kampfe mit dem Gegenſtande, der ſie bewältigen will, hervor- bricht; Gluth und unläugbarer Froſt ſind in ihr verbunden.
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[1349/0213]
ein Vorſänger die Thaten und Leiden des Gottes vortrug: nach der andern
Seite ein Keim des Dramatiſchen, woraus bekanntlich die Tragödie entſtand.
Was aber den Griechen Dionyſos war, das iſt uns jeder Moment der
leidenſchaftlich dunkeln Erregung, worin das Höchſte und Bedeutendſte uns
erfüllt, ohne unſer eigenſter Beſitz zu werden, ohne zum ſtillen, freien und
klaren Leben des Gefühls, worin wir ganz uns ſelbſt haben, ſich abzuklären.
— Ode heißt in dem intenſiven Sinne, wie der Sprachgebrauch ſich feſt-
geſetzt hat, ein hoch erregter Geſang weſentlich erhabenen Inhalts in kunſt-
reichen Strophen und kühn abſpringender Compoſition. Man darf dann
ſtreng genommen die leichteren Formen und kürzeren Strophen mit menſch-
lich vertrauterem, erotiſchem und verwandtem Inhalt, wie ſie der meliſchen
Poeſie, der Aeoliſchen und Anakreontiſchen, angehörten, nicht Oden nennen;
will man auch das eine jener Merkmale, die kunſtvoll reiche Strophenbil-
dung (und den Tanz) fallen laſſen, ſo bleibt doch das andere ſtehen und
man wird demnach unter den Horaziſchen Gedichten und den neueren Nach-
ahmungen nach dieſer genaueren Bezeichnung nur das Ode nennen, was
erhabenen Inhalt, angeſpannt hohen Ton und die ſogenannte lyriſche Un-
ordnung in der Compoſition hat. Es gibt keine ſcherzende, leichte Ode,
man müßte denn ſchließlich an dem Merkmale des Anrufs, des antiken
Tons und Rhythmus, wie er eine ſelbſtändige Klang-Schönheit darſtellt,
überhaupt ſich genügen laſſen, um den Begriff der Ode zu beſtimmen und
jene weſentlichen Bedingungen ganz aufgeben. Was nun die Abſprünge
in der Compoſitionsweiſe betrifft, ſo haben wir allerdings dieſen Zug ſchon
in der Darſtellung des lyriſchen Charakters überhaupt aufgenommen, um
an ihm den Gegenſatz der objectiven und der lyriſchen Ordnung zu zeigen.
Allein dieſe kann ihre Eigenthümlichkeit, ihren ſchweifenden Charakter in
einem ungleich beſcheideneren Maaße des Abſpringens genugſam offenbaren;
es iſt Zeit, ſich zu geſtehen, daß die Pindariſche Methode etwas höchſt
unabſichtlich Entſtandenes mit einem Uebermaaße der Abſicht fixirt. Die
gar zu weiten Sprünge ſind eine Nachahmung jenes Irrens der Phantaſie,
das der bacchiſchen Trunkenheit, dem Dithyramben, angehört, und halten
mit Bewußtſein das recht eigentlich Unbewußte feſt, machen es zur Manier.
Die Ode im ſtrengeren Sinne des Worts, wonach eben die lyriſche Unord-
nung ein weſentliches Merkmal des Begriffs bildet, zeigt daher einen inneren
Widerſpruch, durch den ſie genau an die Grenze des Hymniſchen fällt und
eigentlich zur Lyrik der Betrachtung fortleitet, die wir aber aus höheren
Eintheilungs-Gründen noch nicht unmittelbar folgen laſſen. Hegel ſagt
demnach (a. a. O. S. 458) richtig, ſie enthalte zwei entgegengeſetzte Seiten:
die hinreißende Macht des Inhalts und die ſubjective poetiſche Freiheit,
welche im Kampfe mit dem Gegenſtande, der ſie bewältigen will, hervor-
bricht; Gluth und unläugbarer Froſt ſind in ihr verbunden.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/213>, abgerufen am 23.11.2024.
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