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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.

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tischen; mehr episch werden wegen des Gezogenen und Massenhaften im
Stoffe z. B. Berichte von Reisen, Schlachten, Zurüstungen zu einer Unter-
nehmung sein, mehr lyrisch Erzählungen von tief stimmungsvollen Mo-
menten wie im Hamlet die herrliche Erzählung von Ophelia's Tod: "es
neigt ein Weidenbaum sich über'n Bach;" mehr rein dramatisch alle Schil-
derungen kritischer Schicksalsmomente, wie Wallenstein's Erzählung von
dem Abend vor der Lützner Schlacht, oder furchtbarer Thaten, Verübung
eines Mords u. s. w. -- Der Monolog ist lyrisch als ein mehr oder
minder empfindungsvolles Insichgehen des Subjects. Er bildet subjective
Ruhepuncte im Gedränge, in der stürmischen Reibung der Kräfte, im vor-
wärts drückenden Gange der Handlung. Er ist aber, da hier Alles in der
helleren Sphäre des Bewußtseins geschieht, zugleich wesentlich Moment der
Selbstbesinnung, denkend, gnomisch in der weiteren Bedeutung des Worts.
Daher ist er besonders motivirt und kehrt in fast regelmäßigen Pausen
wieder, wo der Held lange zweifelt, oder wo er in der Einsamkeit des Bösen
einer Welt gegenüber seine Plane überlegen muß, oder wo den Verbrecher
von Stadium zu Stadium sein Gewissen überfällt; so im Hamlet, Wallen-
stein, Makbeth, Richard III, Othello. Allein der Dichter muß sich hüten, daß
er darüber nicht das Grundgesetz, die Beziehung auf die Handlung vergesse;
der Monolog, mag er mehr oder weniger Besinnung enthalten, soll vom
Affecte getragen sein, aus ihm fließen, in ihn auslaufen, am Bande des
leidenschaftlichen Wollens bleiben, die Handlung negativ durch Hemmung
oder positiv durch Eingreifen fördern. Wie drastisch sind Hamlet's reflexions-
kranke, selbst Faust's von Wissensdurst glühende Monologen! Die moderne,
namentlich deutsche Poesie ist seit langer Zeit auf dem besten Wege, im
Monologe lyrisch zu schwelgen und philosophisch zu grübeln, ja er ist ihr
recht die Zufluchtstätte für ihre Scheue vor Handlung. Man darf unter
Verwahrung vor solchem Abweg allerdings einen mehr lyrischen, mehr be-
trachtenden, mehr dramatischen Monolog unterscheiden. Juliens Monolog
vor der Brautnacht, Egmont's Monolog im Gefängniß z. B. ist lyrisch,
Makbeth's: "Wär's abgethan, wie es gethan ist", Hamlet's: "Sein oder
Nichtsein", Wallensteins: "Wär's möglich" betrachtend, dagegen: "Du hast's
erreicht, Octavio", Buttler's: "Er ist herein," Makbeth's vor dem Morde
Duncan's "Ist das ein Dolch?" ächt dramatisch. -- Der Dialog ist, wie
wir gesehen, die eigentliche Form, durch welche die Subjectivität der Lyrik
in Wechselwirkung und Kampf von Subjecten, dadurch in die Objectivität
der Handlung übergeht. Da aber die Handelnden wissen müssen, was und
warum sie wollen, und es gegeneinander vertheidigen, so ist das Gespräch
zu großem Theil ein Austausch von Gründen; namentlich ergibt sich ganz
von selbst jene geflügelte Wechselrede, die in kurzen Sätzen Behauptung
und Einwendung herüber und hinüberwirft: die Stichomythie. Allein gerade

tiſchen; mehr epiſch werden wegen des Gezogenen und Maſſenhaften im
Stoffe z. B. Berichte von Reiſen, Schlachten, Zurüſtungen zu einer Unter-
nehmung ſein, mehr lyriſch Erzählungen von tief ſtimmungsvollen Mo-
menten wie im Hamlet die herrliche Erzählung von Ophelia’s Tod: „es
neigt ein Weidenbaum ſich über’n Bach;“ mehr rein dramatiſch alle Schil-
derungen kritiſcher Schickſalsmomente, wie Wallenſtein’s Erzählung von
dem Abend vor der Lützner Schlacht, oder furchtbarer Thaten, Verübung
eines Mords u. ſ. w. — Der Monolog iſt lyriſch als ein mehr oder
minder empfindungsvolles Inſichgehen des Subjects. Er bildet ſubjective
Ruhepuncte im Gedränge, in der ſtürmiſchen Reibung der Kräfte, im vor-
wärts drückenden Gange der Handlung. Er iſt aber, da hier Alles in der
helleren Sphäre des Bewußtſeins geſchieht, zugleich weſentlich Moment der
Selbſtbeſinnung, denkend, gnomiſch in der weiteren Bedeutung des Worts.
Daher iſt er beſonders motivirt und kehrt in faſt regelmäßigen Pauſen
wieder, wo der Held lange zweifelt, oder wo er in der Einſamkeit des Böſen
einer Welt gegenüber ſeine Plane überlegen muß, oder wo den Verbrecher
von Stadium zu Stadium ſein Gewiſſen überfällt; ſo im Hamlet, Wallen-
ſtein, Makbeth, Richard III, Othello. Allein der Dichter muß ſich hüten, daß
er darüber nicht das Grundgeſetz, die Beziehung auf die Handlung vergeſſe;
der Monolog, mag er mehr oder weniger Beſinnung enthalten, ſoll vom
Affecte getragen ſein, aus ihm fließen, in ihn auslaufen, am Bande des
leidenſchaftlichen Wollens bleiben, die Handlung negativ durch Hemmung
oder poſitiv durch Eingreifen fördern. Wie draſtiſch ſind Hamlet’s reflexions-
kranke, ſelbſt Fauſt’s von Wiſſensdurſt glühende Monologen! Die moderne,
namentlich deutſche Poeſie iſt ſeit langer Zeit auf dem beſten Wege, im
Monologe lyriſch zu ſchwelgen und philoſophiſch zu grübeln, ja er iſt ihr
recht die Zufluchtſtätte für ihre Scheue vor Handlung. Man darf unter
Verwahrung vor ſolchem Abweg allerdings einen mehr lyriſchen, mehr be-
trachtenden, mehr dramatiſchen Monolog unterſcheiden. Juliens Monolog
vor der Brautnacht, Egmont’s Monolog im Gefängniß z. B. iſt lyriſch,
Makbeth’s: „Wär’s abgethan, wie es gethan iſt“, Hamlet’s: „Sein oder
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erreicht, Octavio“, Buttler’s: „Er iſt herein,“ Makbeth’s vor dem Morde
Duncan’s „Iſt das ein Dolch?“ ächt dramatiſch. — Der Dialog iſt, wie
wir geſehen, die eigentliche Form, durch welche die Subjectivität der Lyrik
in Wechſelwirkung und Kampf von Subjecten, dadurch in die Objectivität
der Handlung übergeht. Da aber die Handelnden wiſſen müſſen, was und
warum ſie wollen, und es gegeneinander vertheidigen, ſo iſt das Geſpräch
zu großem Theil ein Austauſch von Gründen; namentlich ergibt ſich ganz
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[1392/0256] tiſchen; mehr epiſch werden wegen des Gezogenen und Maſſenhaften im Stoffe z. B. Berichte von Reiſen, Schlachten, Zurüſtungen zu einer Unter- nehmung ſein, mehr lyriſch Erzählungen von tief ſtimmungsvollen Mo- menten wie im Hamlet die herrliche Erzählung von Ophelia’s Tod: „es neigt ein Weidenbaum ſich über’n Bach;“ mehr rein dramatiſch alle Schil- derungen kritiſcher Schickſalsmomente, wie Wallenſtein’s Erzählung von dem Abend vor der Lützner Schlacht, oder furchtbarer Thaten, Verübung eines Mords u. ſ. w. — Der Monolog iſt lyriſch als ein mehr oder minder empfindungsvolles Inſichgehen des Subjects. Er bildet ſubjective Ruhepuncte im Gedränge, in der ſtürmiſchen Reibung der Kräfte, im vor- wärts drückenden Gange der Handlung. Er iſt aber, da hier Alles in der helleren Sphäre des Bewußtſeins geſchieht, zugleich weſentlich Moment der Selbſtbeſinnung, denkend, gnomiſch in der weiteren Bedeutung des Worts. Daher iſt er beſonders motivirt und kehrt in faſt regelmäßigen Pauſen wieder, wo der Held lange zweifelt, oder wo er in der Einſamkeit des Böſen einer Welt gegenüber ſeine Plane überlegen muß, oder wo den Verbrecher von Stadium zu Stadium ſein Gewiſſen überfällt; ſo im Hamlet, Wallen- ſtein, Makbeth, Richard III, Othello. Allein der Dichter muß ſich hüten, daß er darüber nicht das Grundgeſetz, die Beziehung auf die Handlung vergeſſe; der Monolog, mag er mehr oder weniger Beſinnung enthalten, ſoll vom Affecte getragen ſein, aus ihm fließen, in ihn auslaufen, am Bande des leidenſchaftlichen Wollens bleiben, die Handlung negativ durch Hemmung oder poſitiv durch Eingreifen fördern. Wie draſtiſch ſind Hamlet’s reflexions- kranke, ſelbſt Fauſt’s von Wiſſensdurſt glühende Monologen! Die moderne, namentlich deutſche Poeſie iſt ſeit langer Zeit auf dem beſten Wege, im Monologe lyriſch zu ſchwelgen und philoſophiſch zu grübeln, ja er iſt ihr recht die Zufluchtſtätte für ihre Scheue vor Handlung. Man darf unter Verwahrung vor ſolchem Abweg allerdings einen mehr lyriſchen, mehr be- trachtenden, mehr dramatiſchen Monolog unterſcheiden. Juliens Monolog vor der Brautnacht, Egmont’s Monolog im Gefängniß z. B. iſt lyriſch, Makbeth’s: „Wär’s abgethan, wie es gethan iſt“, Hamlet’s: „Sein oder Nichtſein“, Wallenſteins: „Wär’s möglich“ betrachtend, dagegen: „Du haſt’s erreicht, Octavio“, Buttler’s: „Er iſt herein,“ Makbeth’s vor dem Morde Duncan’s „Iſt das ein Dolch?“ ächt dramatiſch. — Der Dialog iſt, wie wir geſehen, die eigentliche Form, durch welche die Subjectivität der Lyrik in Wechſelwirkung und Kampf von Subjecten, dadurch in die Objectivität der Handlung übergeht. Da aber die Handelnden wiſſen müſſen, was und warum ſie wollen, und es gegeneinander vertheidigen, ſo iſt das Geſpräch zu großem Theil ein Austauſch von Gründen; namentlich ergibt ſich ganz von ſelbſt jene geflügelte Wechſelrede, die in kurzen Sätzen Behauptung und Einwendung herüber und hinüberwirft: die Stichomythie. Allein gerade

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/256>, abgerufen am 21.11.2024.