sichern, jeden Schein abschneiden, als gelte es im Tragischen blos der Er- habenheit des menschlichen Subjects; er erkannte nicht, daß die absolute Erhabenheit des Schicksals sich nur vertieft, wenn es als immanentes Gesetz aus den Charakteren und der Handlung entwickelt wird, aber nach jener Seite ist doch Wahrheit und wirkliche Größe in seiner Schicksals-Idee; bei einem Müllner und Grillparzer schlug diese in's Lächerliche um. -- Wir erwarten noch den classisch gereinigten deutschen Shakespeare. Eine absolute Vereinigung der Stylgegensätze gibt es freilich nicht, soll es nicht geben, die Geschichte der Kunst ist ja gerade die Geschichte ihres Kampfes und wir haben hier ihre Beleuchtung vorangeschickt, um darauf einen blei- benden Unterschied zu gründen, der sich durch die folgenden stehenden Ein- theilungen hindurchzieht; aber ein relativ Höchstes der Vereinigung mit reicher Umgebung von Modificationen und Mischungsverhältnissen muß der Begriff sein, nach welchem wir steuern. Keiner Nationalität kann diese Aufgabe so gesetzt sein, wie der germanischen; ihr angelsächsischer Stamm, in England mit dem feurigeren normannischen gemischt, hat das wunderbare, aber noch mit nordischer Formlosigkeit behaftete Muster in Shakespeare dem deutschen hingestellt, das er mit dem andern ewigen Muster, dem classi- schen, zusammenfassen soll. -- Das Drama der romanischen Völker nun stellt ein überleitendes Band zwischen dem letzteren und der ganzen Aufgabe dar. Sie hängen durch Abstammung und Cultur alle noch in der classi- schen Tradition, so verschieden sie dieselbe durch ihre Besonderheit und moderne Bildung auch gefärbt haben, und das entscheidende Zeichen davon ist, daß sie Shakespeare mit seinen Contrasten im tief individuell gesättigten Style niemals ganz verstanden haben, verstehen können. Das spanische Drama stellt seine Menschen, die durchaus mehr Stände, Temperamente, Leidenschaften, als Individuen sind, unter die Wunder eines Himmels, zu dem sie sich durch das Aufgeben dessen, was eben den wirklichen Inhalt des Charakters und Drama's ausmacht, in mystischer Auflösung erheben sollen, oder spannt sie, in der weltlichen Sphäre, in einen Codex conven- tioneller Begriffe der Ehre, Liebe, Ergebung des Unterthanen ein, der die leidenschaftlichsten Conflicte zur Folge hat, aber der concreten menschlichen Wahrheit entbehrt. Dieses Drama ist in all seiner Pracht eine Spezialität, der antiken Anschauung aber verwandt durch den Charakter des Gegebenen und Vorausgesetzten, den, wie dort das Schicksal, hier die Welt hat, in die der dramatische Mensch gestellt wird, und durch die, obwohl farbigere, doch typische Behandlung seiner Persönlichkeit. Das französische Drama nannte sich in der Blüthezeit selbst das classische. Seinem innern Geiste nach, dem Geiste der Hof-Etikette, der kalten rhetorischen Antithesen war es dem Classischen so fremd, als möglich, und doch durch seine negativen Eigenschaften dem formlosen Geiste des Nordens eine Schule der Zucht
ſichern, jeden Schein abſchneiden, als gelte es im Tragiſchen blos der Er- habenheit des menſchlichen Subjects; er erkannte nicht, daß die abſolute Erhabenheit des Schickſals ſich nur vertieft, wenn es als immanentes Geſetz aus den Charakteren und der Handlung entwickelt wird, aber nach jener Seite iſt doch Wahrheit und wirkliche Größe in ſeiner Schickſals-Idee; bei einem Müllner und Grillparzer ſchlug dieſe in’s Lächerliche um. — Wir erwarten noch den claſſiſch gereinigten deutſchen Shakespeare. Eine abſolute Vereinigung der Stylgegenſätze gibt es freilich nicht, ſoll es nicht geben, die Geſchichte der Kunſt iſt ja gerade die Geſchichte ihres Kampfes und wir haben hier ihre Beleuchtung vorangeſchickt, um darauf einen blei- benden Unterſchied zu gründen, der ſich durch die folgenden ſtehenden Ein- theilungen hindurchzieht; aber ein relativ Höchſtes der Vereinigung mit reicher Umgebung von Modificationen und Miſchungsverhältniſſen muß der Begriff ſein, nach welchem wir ſteuern. Keiner Nationalität kann dieſe Aufgabe ſo geſetzt ſein, wie der germaniſchen; ihr angelſächſiſcher Stamm, in England mit dem feurigeren normanniſchen gemiſcht, hat das wunderbare, aber noch mit nordiſcher Formloſigkeit behaftete Muſter in Shakespeare dem deutſchen hingeſtellt, das er mit dem andern ewigen Muſter, dem claſſi- ſchen, zuſammenfaſſen ſoll. — Das Drama der romaniſchen Völker nun ſtellt ein überleitendes Band zwiſchen dem letzteren und der ganzen Aufgabe dar. Sie hängen durch Abſtammung und Cultur alle noch in der claſſi- ſchen Tradition, ſo verſchieden ſie dieſelbe durch ihre Beſonderheit und moderne Bildung auch gefärbt haben, und das entſcheidende Zeichen davon iſt, daß ſie Shakespeare mit ſeinen Contraſten im tief individuell geſättigten Style niemals ganz verſtanden haben, verſtehen können. Das ſpaniſche Drama ſtellt ſeine Menſchen, die durchaus mehr Stände, Temperamente, Leidenſchaften, als Individuen ſind, unter die Wunder eines Himmels, zu dem ſie ſich durch das Aufgeben deſſen, was eben den wirklichen Inhalt des Charakters und Drama’s ausmacht, in myſtiſcher Auflöſung erheben ſollen, oder ſpannt ſie, in der weltlichen Sphäre, in einen Codex conven- tioneller Begriffe der Ehre, Liebe, Ergebung des Unterthanen ein, der die leidenſchaftlichſten Conflicte zur Folge hat, aber der concreten menſchlichen Wahrheit entbehrt. Dieſes Drama iſt in all ſeiner Pracht eine Spezialität, der antiken Anſchauung aber verwandt durch den Charakter des Gegebenen und Vorausgeſetzten, den, wie dort das Schickſal, hier die Welt hat, in die der dramatiſche Menſch geſtellt wird, und durch die, obwohl farbigere, doch typiſche Behandlung ſeiner Perſönlichkeit. Das franzöſiſche Drama nannte ſich in der Blüthezeit ſelbſt das claſſiſche. Seinem innern Geiſte nach, dem Geiſte der Hof-Etikette, der kalten rhetoriſchen Antitheſen war es dem Claſſiſchen ſo fremd, als möglich, und doch durch ſeine negativen Eigenſchaften dem formloſen Geiſte des Nordens eine Schule der Zucht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0282"n="1418"/><hirendition="#et">ſichern, jeden Schein abſchneiden, als gelte es im Tragiſchen blos der Er-<lb/>
habenheit des menſchlichen Subjects; er erkannte nicht, daß die abſolute<lb/>
Erhabenheit des Schickſals ſich nur vertieft, wenn es als immanentes<lb/>
Geſetz aus den Charakteren und der Handlung entwickelt wird, aber nach<lb/>
jener Seite iſt doch Wahrheit und wirkliche Größe in ſeiner Schickſals-Idee;<lb/>
bei einem Müllner und Grillparzer ſchlug dieſe in’s Lächerliche um. —<lb/>
Wir erwarten noch den claſſiſch gereinigten deutſchen Shakespeare. Eine<lb/>
abſolute Vereinigung der Stylgegenſätze gibt es freilich nicht, ſoll es nicht<lb/>
geben, die Geſchichte der Kunſt iſt ja gerade die Geſchichte ihres Kampfes<lb/>
und wir haben hier ihre Beleuchtung vorangeſchickt, um darauf einen blei-<lb/>
benden Unterſchied zu gründen, der ſich durch die folgenden ſtehenden Ein-<lb/>
theilungen hindurchzieht; aber ein relativ Höchſtes der Vereinigung mit<lb/>
reicher Umgebung von Modificationen und Miſchungsverhältniſſen muß der<lb/>
Begriff ſein, nach welchem wir ſteuern. Keiner Nationalität kann dieſe<lb/>
Aufgabe ſo geſetzt ſein, wie der germaniſchen; ihr angelſächſiſcher Stamm,<lb/>
in England mit dem feurigeren normanniſchen gemiſcht, hat das wunderbare,<lb/>
aber noch mit nordiſcher Formloſigkeit behaftete Muſter in Shakespeare<lb/>
dem deutſchen hingeſtellt, das er mit dem andern ewigen Muſter, dem claſſi-<lb/>ſchen, zuſammenfaſſen ſoll. — Das Drama der <hirendition="#g">romaniſchen</hi> Völker nun<lb/>ſtellt ein überleitendes Band zwiſchen dem letzteren und der ganzen Aufgabe<lb/>
dar. Sie hängen durch Abſtammung und Cultur alle noch in der claſſi-<lb/>ſchen Tradition, ſo verſchieden ſie dieſelbe durch ihre Beſonderheit und<lb/>
moderne Bildung auch gefärbt haben, und das entſcheidende Zeichen davon<lb/>
iſt, daß ſie Shakespeare mit ſeinen Contraſten im tief individuell geſättigten<lb/>
Style niemals ganz verſtanden haben, verſtehen können. Das ſpaniſche<lb/>
Drama ſtellt ſeine Menſchen, die durchaus mehr Stände, Temperamente,<lb/>
Leidenſchaften, als Individuen ſind, unter die Wunder eines Himmels, zu<lb/>
dem ſie ſich durch das Aufgeben deſſen, was eben den wirklichen Inhalt<lb/>
des Charakters und Drama’s ausmacht, in myſtiſcher Auflöſung erheben<lb/>ſollen, oder ſpannt ſie, in der weltlichen Sphäre, in einen Codex conven-<lb/>
tioneller Begriffe der Ehre, Liebe, Ergebung des Unterthanen ein, der die<lb/>
leidenſchaftlichſten Conflicte zur Folge hat, aber der concreten menſchlichen<lb/>
Wahrheit entbehrt. Dieſes Drama iſt in all ſeiner Pracht eine Spezialität,<lb/>
der antiken Anſchauung aber verwandt durch den Charakter des Gegebenen<lb/>
und Vorausgeſetzten, den, wie dort das Schickſal, hier die Welt hat, in<lb/>
die der dramatiſche Menſch geſtellt wird, und durch die, obwohl farbigere,<lb/>
doch typiſche Behandlung ſeiner Perſönlichkeit. Das franzöſiſche Drama<lb/>
nannte ſich in der Blüthezeit ſelbſt das claſſiſche. Seinem innern Geiſte<lb/>
nach, dem Geiſte der Hof-Etikette, der kalten rhetoriſchen Antitheſen war<lb/>
es dem Claſſiſchen ſo fremd, als möglich, und doch durch ſeine negativen<lb/>
Eigenſchaften dem formloſen Geiſte des Nordens eine Schule der Zucht<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[1418/0282]
ſichern, jeden Schein abſchneiden, als gelte es im Tragiſchen blos der Er-
habenheit des menſchlichen Subjects; er erkannte nicht, daß die abſolute
Erhabenheit des Schickſals ſich nur vertieft, wenn es als immanentes
Geſetz aus den Charakteren und der Handlung entwickelt wird, aber nach
jener Seite iſt doch Wahrheit und wirkliche Größe in ſeiner Schickſals-Idee;
bei einem Müllner und Grillparzer ſchlug dieſe in’s Lächerliche um. —
Wir erwarten noch den claſſiſch gereinigten deutſchen Shakespeare. Eine
abſolute Vereinigung der Stylgegenſätze gibt es freilich nicht, ſoll es nicht
geben, die Geſchichte der Kunſt iſt ja gerade die Geſchichte ihres Kampfes
und wir haben hier ihre Beleuchtung vorangeſchickt, um darauf einen blei-
benden Unterſchied zu gründen, der ſich durch die folgenden ſtehenden Ein-
theilungen hindurchzieht; aber ein relativ Höchſtes der Vereinigung mit
reicher Umgebung von Modificationen und Miſchungsverhältniſſen muß der
Begriff ſein, nach welchem wir ſteuern. Keiner Nationalität kann dieſe
Aufgabe ſo geſetzt ſein, wie der germaniſchen; ihr angelſächſiſcher Stamm,
in England mit dem feurigeren normanniſchen gemiſcht, hat das wunderbare,
aber noch mit nordiſcher Formloſigkeit behaftete Muſter in Shakespeare
dem deutſchen hingeſtellt, das er mit dem andern ewigen Muſter, dem claſſi-
ſchen, zuſammenfaſſen ſoll. — Das Drama der romaniſchen Völker nun
ſtellt ein überleitendes Band zwiſchen dem letzteren und der ganzen Aufgabe
dar. Sie hängen durch Abſtammung und Cultur alle noch in der claſſi-
ſchen Tradition, ſo verſchieden ſie dieſelbe durch ihre Beſonderheit und
moderne Bildung auch gefärbt haben, und das entſcheidende Zeichen davon
iſt, daß ſie Shakespeare mit ſeinen Contraſten im tief individuell geſättigten
Style niemals ganz verſtanden haben, verſtehen können. Das ſpaniſche
Drama ſtellt ſeine Menſchen, die durchaus mehr Stände, Temperamente,
Leidenſchaften, als Individuen ſind, unter die Wunder eines Himmels, zu
dem ſie ſich durch das Aufgeben deſſen, was eben den wirklichen Inhalt
des Charakters und Drama’s ausmacht, in myſtiſcher Auflöſung erheben
ſollen, oder ſpannt ſie, in der weltlichen Sphäre, in einen Codex conven-
tioneller Begriffe der Ehre, Liebe, Ergebung des Unterthanen ein, der die
leidenſchaftlichſten Conflicte zur Folge hat, aber der concreten menſchlichen
Wahrheit entbehrt. Dieſes Drama iſt in all ſeiner Pracht eine Spezialität,
der antiken Anſchauung aber verwandt durch den Charakter des Gegebenen
und Vorausgeſetzten, den, wie dort das Schickſal, hier die Welt hat, in
die der dramatiſche Menſch geſtellt wird, und durch die, obwohl farbigere,
doch typiſche Behandlung ſeiner Perſönlichkeit. Das franzöſiſche Drama
nannte ſich in der Blüthezeit ſelbſt das claſſiſche. Seinem innern Geiſte
nach, dem Geiſte der Hof-Etikette, der kalten rhetoriſchen Antitheſen war
es dem Claſſiſchen ſo fremd, als möglich, und doch durch ſeine negativen
Eigenſchaften dem formloſen Geiſte des Nordens eine Schule der Zucht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/282>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.