türliche Spieltrieb als subjectiver Nachahmungstrieb (§. 515, 2.) kommt ihr hier zu entschieden zu Hülfe, als daß sie nicht der kunstmäßigen Poesie ihre naiven Erzeugnisse voranschicken sollte. Die Mysterien waren die Vorläufer der modernen Tragödie, die Fastnachtsspiele der Komödie. Allein auf jenem Felde konnte sich die naive Dichtung neben der entwickelten Kunstpoesie nicht fortbehaupten; im ernsten Gebiete kennt das Volk keine andere Idealität, als die mythische, und bringt es nie vom halb Epischen zum ächt Drama- tischen; die Hoffnungen, die man an die Festspiele im bairischen Gebirge knüpfte, waren irrig. Dagegen hat gerade das Volk den rechten Sinn der Realität für das Komische und der Vorgang seiner naiven Erzeugnisse in diesem Gebiete war ungleich wichtiger und fruchtbarer, als der im ernsten; daher hat sich neben der Komödie der Kunstpoesie und ihrem Theater das Volkslustspiel mit der Volksbühne mitten in den Städten erhalten längst nachdem die erstere recht in Opposition gegen sie und ihren Cynismus die feinere Komik ausgebildet hatte. Es bewegt sich naturgemäß im greiflich Komischen, wie wir es in §. 188 ff. dargestellt haben, und an diese Form knüpft sich daher die hier erwachsende Neben-Eintheilung der Komödie. Wir haben dem derben Geiste des Possenhaften sein gutes Recht zuerkannt und die Komödie der Bildung dürfte sich an dieser Quelle recht wohl erfrischen, Geist des gesunden und ungetrübt heiteren Lachens schöpfen, wie die lyrische Poesie ächtes Gefühl aus dem Brunnen des Volkslieds. Die Objectivität des Naiven geht hier so weit, daß die Rede entbehrlich wird und die Pan- tomime hinreicht; die alten italienischen Scherze des Pierro, Arlechino, Pantalone, der Colombine u. s. w. haben sich gerade darum auch wirklich am reinsten in ihrem Element erhalten, denn mit der Rede sind viele zer- setzende Stoffe in das Volkslustspiel eingedrungen, wie S. Carlino in Neapel, die Volkstheater in Wien allerdings leidig beweisen. Raimund führte Ro- mantik, directe Moral, Politik, Sentimentalität hinein, blieb aber in den Grundlagen noch ächt volksthümlich komisch, mit Nestroy und And. aber beginnt die Gemeinheit und die Corruption. -- Wir haben im ersten Theile das naiv Komische durch den Namen Posse bezeichnet; der §. setzt dafür nur darum den Namen Burleske, weil im gegenwärtigen Zusammenhang der erstere eine besondere Form bezeichnet, und zwar diejenige, welche im Gebiete der Kunstpoesie am verwandtesten dem Volkslustspiele gegenübersteht. Es ist eine kleine Form, die gewöhnlich einer Tragödie oder einer Komödie mit rührendem Mittelpunct an Einem Theater-Abende nachfolgt, die Farce der Franzosen und von diesen mit besonderer Zierlichkeit angebaut. Sie verhält sich wie die Novelle zum Romane, sie entwickelt mit schlagender Kürze eine komische Situation. Sie mag dieselbe aus den raffinirten Zu- ständen der modernen Gesellschaft nehmen: auch diese laden sich in unend- lichen Verlegenheiten, Contrasten aus, die sich derb in der Körperwelt nieder-
türliche Spieltrieb als ſubjectiver Nachahmungstrieb (§. 515, 2.) kommt ihr hier zu entſchieden zu Hülfe, als daß ſie nicht der kunſtmäßigen Poeſie ihre naiven Erzeugniſſe voranſchicken ſollte. Die Myſterien waren die Vorläufer der modernen Tragödie, die Faſtnachtsſpiele der Komödie. Allein auf jenem Felde konnte ſich die naive Dichtung neben der entwickelten Kunſtpoeſie nicht fortbehaupten; im ernſten Gebiete kennt das Volk keine andere Idealität, als die mythiſche, und bringt es nie vom halb Epiſchen zum ächt Drama- tiſchen; die Hoffnungen, die man an die Feſtſpiele im bairiſchen Gebirge knüpfte, waren irrig. Dagegen hat gerade das Volk den rechten Sinn der Realität für das Komiſche und der Vorgang ſeiner naiven Erzeugniſſe in dieſem Gebiete war ungleich wichtiger und fruchtbarer, als der im ernſten; daher hat ſich neben der Komödie der Kunſtpoeſie und ihrem Theater das Volksluſtſpiel mit der Volksbühne mitten in den Städten erhalten längſt nachdem die erſtere recht in Oppoſition gegen ſie und ihren Cynismus die feinere Komik ausgebildet hatte. Es bewegt ſich naturgemäß im greiflich Komiſchen, wie wir es in §. 188 ff. dargeſtellt haben, und an dieſe Form knüpft ſich daher die hier erwachſende Neben-Eintheilung der Komödie. Wir haben dem derben Geiſte des Poſſenhaften ſein gutes Recht zuerkannt und die Komödie der Bildung dürfte ſich an dieſer Quelle recht wohl erfriſchen, Geiſt des geſunden und ungetrübt heiteren Lachens ſchöpfen, wie die lyriſche Poeſie ächtes Gefühl aus dem Brunnen des Volkslieds. Die Objectivität des Naiven geht hier ſo weit, daß die Rede entbehrlich wird und die Pan- tomime hinreicht; die alten italieniſchen Scherze des Pierro, Arlechino, Pantalone, der Colombine u. ſ. w. haben ſich gerade darum auch wirklich am reinſten in ihrem Element erhalten, denn mit der Rede ſind viele zer- ſetzende Stoffe in das Volksluſtſpiel eingedrungen, wie S. Carlino in Neapel, die Volkstheater in Wien allerdings leidig beweiſen. Raimund führte Ro- mantik, directe Moral, Politik, Sentimentalität hinein, blieb aber in den Grundlagen noch ächt volksthümlich komiſch, mit Neſtroy und And. aber beginnt die Gemeinheit und die Corruption. — Wir haben im erſten Theile das naiv Komiſche durch den Namen Poſſe bezeichnet; der §. ſetzt dafür nur darum den Namen Burleske, weil im gegenwärtigen Zuſammenhang der erſtere eine beſondere Form bezeichnet, und zwar diejenige, welche im Gebiete der Kunſtpoeſie am verwandteſten dem Volksluſtſpiele gegenüberſteht. Es iſt eine kleine Form, die gewöhnlich einer Tragödie oder einer Komödie mit rührendem Mittelpunct an Einem Theater-Abende nachfolgt, die Farce der Franzoſen und von dieſen mit beſonderer Zierlichkeit angebaut. Sie verhält ſich wie die Novelle zum Romane, ſie entwickelt mit ſchlagender Kürze eine komiſche Situation. Sie mag dieſelbe aus den raffinirten Zu- ſtänden der modernen Geſellſchaft nehmen: auch dieſe laden ſich in unend- lichen Verlegenheiten, Contraſten aus, die ſich derb in der Körperwelt nieder-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0306"n="1442"/>
türliche Spieltrieb als ſubjectiver Nachahmungstrieb (§. 515, <hirendition="#sub">2.</hi>) kommt ihr<lb/>
hier zu entſchieden zu Hülfe, als daß ſie nicht der kunſtmäßigen Poeſie ihre<lb/>
naiven Erzeugniſſe voranſchicken ſollte. Die Myſterien waren die Vorläufer<lb/>
der modernen Tragödie, die Faſtnachtsſpiele der Komödie. Allein auf jenem<lb/>
Felde konnte ſich die naive Dichtung neben der entwickelten Kunſtpoeſie nicht<lb/>
fortbehaupten; im ernſten Gebiete kennt das Volk keine andere Idealität,<lb/>
als die mythiſche, und bringt es nie vom halb Epiſchen zum ächt Drama-<lb/>
tiſchen; die Hoffnungen, die man an die Feſtſpiele im bairiſchen Gebirge<lb/>
knüpfte, waren irrig. Dagegen hat gerade das Volk den rechten Sinn der<lb/>
Realität für das Komiſche und der Vorgang ſeiner naiven Erzeugniſſe in<lb/>
dieſem Gebiete war ungleich wichtiger und fruchtbarer, als der im ernſten;<lb/>
daher hat ſich neben der Komödie der Kunſtpoeſie und ihrem Theater das<lb/>
Volksluſtſpiel mit der Volksbühne mitten in den Städten erhalten längſt<lb/>
nachdem die erſtere recht in Oppoſition gegen ſie und ihren Cynismus die<lb/>
feinere Komik ausgebildet hatte. Es bewegt ſich naturgemäß im greiflich<lb/>
Komiſchen, wie wir es in §. 188 ff. dargeſtellt haben, und an dieſe Form<lb/>
knüpft ſich daher die hier erwachſende Neben-Eintheilung der Komödie. Wir<lb/>
haben dem derben Geiſte des Poſſenhaften ſein gutes Recht zuerkannt und<lb/>
die Komödie der Bildung dürfte ſich an dieſer Quelle recht wohl erfriſchen,<lb/>
Geiſt des geſunden und ungetrübt heiteren Lachens ſchöpfen, wie die lyriſche<lb/>
Poeſie ächtes Gefühl aus dem Brunnen des Volkslieds. Die Objectivität<lb/>
des Naiven geht hier ſo weit, daß die Rede entbehrlich wird und die Pan-<lb/>
tomime hinreicht; die alten italieniſchen Scherze des Pierro, Arlechino,<lb/>
Pantalone, der Colombine u. ſ. w. haben ſich gerade darum auch wirklich<lb/>
am reinſten in ihrem Element erhalten, denn mit der Rede ſind viele zer-<lb/>ſetzende Stoffe in das Volksluſtſpiel eingedrungen, wie S. Carlino in Neapel,<lb/>
die Volkstheater in Wien allerdings leidig beweiſen. Raimund führte Ro-<lb/>
mantik, directe Moral, Politik, Sentimentalität hinein, blieb aber in den<lb/>
Grundlagen noch ächt volksthümlich komiſch, mit Neſtroy und And. aber<lb/>
beginnt die Gemeinheit und die Corruption. — Wir haben im erſten Theile<lb/>
das naiv Komiſche durch den Namen Poſſe bezeichnet; der §. ſetzt dafür<lb/>
nur darum den Namen Burleske, weil im gegenwärtigen Zuſammenhang<lb/>
der erſtere eine beſondere Form bezeichnet, und zwar diejenige, welche im<lb/>
Gebiete der Kunſtpoeſie am verwandteſten dem Volksluſtſpiele gegenüberſteht.<lb/>
Es iſt eine kleine Form, die gewöhnlich einer Tragödie oder einer Komödie<lb/>
mit rührendem Mittelpunct an Einem Theater-Abende nachfolgt, die Farce<lb/>
der Franzoſen und von dieſen mit beſonderer Zierlichkeit angebaut. Sie<lb/>
verhält ſich wie die Novelle zum Romane, ſie entwickelt mit ſchlagender<lb/>
Kürze eine komiſche Situation. Sie mag dieſelbe aus den raffinirten Zu-<lb/>ſtänden der modernen Geſellſchaft nehmen: auch dieſe laden ſich in unend-<lb/>
lichen Verlegenheiten, Contraſten aus, die ſich derb in der Körperwelt nieder-<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[1442/0306]
türliche Spieltrieb als ſubjectiver Nachahmungstrieb (§. 515, 2.) kommt ihr
hier zu entſchieden zu Hülfe, als daß ſie nicht der kunſtmäßigen Poeſie ihre
naiven Erzeugniſſe voranſchicken ſollte. Die Myſterien waren die Vorläufer
der modernen Tragödie, die Faſtnachtsſpiele der Komödie. Allein auf jenem
Felde konnte ſich die naive Dichtung neben der entwickelten Kunſtpoeſie nicht
fortbehaupten; im ernſten Gebiete kennt das Volk keine andere Idealität,
als die mythiſche, und bringt es nie vom halb Epiſchen zum ächt Drama-
tiſchen; die Hoffnungen, die man an die Feſtſpiele im bairiſchen Gebirge
knüpfte, waren irrig. Dagegen hat gerade das Volk den rechten Sinn der
Realität für das Komiſche und der Vorgang ſeiner naiven Erzeugniſſe in
dieſem Gebiete war ungleich wichtiger und fruchtbarer, als der im ernſten;
daher hat ſich neben der Komödie der Kunſtpoeſie und ihrem Theater das
Volksluſtſpiel mit der Volksbühne mitten in den Städten erhalten längſt
nachdem die erſtere recht in Oppoſition gegen ſie und ihren Cynismus die
feinere Komik ausgebildet hatte. Es bewegt ſich naturgemäß im greiflich
Komiſchen, wie wir es in §. 188 ff. dargeſtellt haben, und an dieſe Form
knüpft ſich daher die hier erwachſende Neben-Eintheilung der Komödie. Wir
haben dem derben Geiſte des Poſſenhaften ſein gutes Recht zuerkannt und
die Komödie der Bildung dürfte ſich an dieſer Quelle recht wohl erfriſchen,
Geiſt des geſunden und ungetrübt heiteren Lachens ſchöpfen, wie die lyriſche
Poeſie ächtes Gefühl aus dem Brunnen des Volkslieds. Die Objectivität
des Naiven geht hier ſo weit, daß die Rede entbehrlich wird und die Pan-
tomime hinreicht; die alten italieniſchen Scherze des Pierro, Arlechino,
Pantalone, der Colombine u. ſ. w. haben ſich gerade darum auch wirklich
am reinſten in ihrem Element erhalten, denn mit der Rede ſind viele zer-
ſetzende Stoffe in das Volksluſtſpiel eingedrungen, wie S. Carlino in Neapel,
die Volkstheater in Wien allerdings leidig beweiſen. Raimund führte Ro-
mantik, directe Moral, Politik, Sentimentalität hinein, blieb aber in den
Grundlagen noch ächt volksthümlich komiſch, mit Neſtroy und And. aber
beginnt die Gemeinheit und die Corruption. — Wir haben im erſten Theile
das naiv Komiſche durch den Namen Poſſe bezeichnet; der §. ſetzt dafür
nur darum den Namen Burleske, weil im gegenwärtigen Zuſammenhang
der erſtere eine beſondere Form bezeichnet, und zwar diejenige, welche im
Gebiete der Kunſtpoeſie am verwandteſten dem Volksluſtſpiele gegenüberſteht.
Es iſt eine kleine Form, die gewöhnlich einer Tragödie oder einer Komödie
mit rührendem Mittelpunct an Einem Theater-Abende nachfolgt, die Farce
der Franzoſen und von dieſen mit beſonderer Zierlichkeit angebaut. Sie
verhält ſich wie die Novelle zum Romane, ſie entwickelt mit ſchlagender
Kürze eine komiſche Situation. Sie mag dieſelbe aus den raffinirten Zu-
ſtänden der modernen Geſellſchaft nehmen: auch dieſe laden ſich in unend-
lichen Verlegenheiten, Contraſten aus, die ſich derb in der Körperwelt nieder-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/306>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.