der herrlichen Rosalinde. Endlich öffnet sich ein Feld, worin auch das Rührende vorneherein so leicht genommen, in so heitere Bedingungen hinein- gestellt ist, daß wir uns von Anfang bis Ende in der Sphäre des reinen Spiels befinden; Shakespeare's Der Liebe Müh' umsonst, Gezähmte Böse, Sommernachtstraum gehören hieher. Wir enthalten uns, aus der Masse des Modernen weitere Beispiele einzureihen, aber wir wiederholen die Klage, daß uns die unendliche Poesie der Heiterkeit abgeht, die den stoffartigen Ernst des spannenden Theils unserer Fabel in die leichten Lüfte der humo- ristischen Idealität erhöbe. Wir haben sehr lustige Intriguenstücke, aber keine tief humoristische Charakterlustspiele, die zugleich in der Fabel sich leicht und geistreich bewegten. Es ist freilich schwer, die Prosa der Lebensverhältnisse zu bezwingen, nachdem der moderne, ausgebildet charakteristische Styl sich doch in sie einlassen muß; ähnlich schwer wie im Roman. Shakespeare war, wie wir vorhin angedeutet, durch die gelüftete, phantasiereiche, das Leben mit unendlichen Maskenscherzen schmückende, jeder Originalität und Narrheit freien Raum gönnende Sitte seiner Zeit unterstützt; das hochgestimmte, in allen Nerven bewegte sechszehnte Jahrhundert hat ihm den Weg in die Seligkeit des komischen Olympus geöffnet, wo er mit Aristophanes weilt.
§. 919.
1.
Der Unterschied der Hauptformen des Komischen fordert, was die unmittelbarste und einfachste derselben betrifft, eine besondere Neben-Eintheilung, welche sich darauf gründet, daß im Gebiete der Komödie die naive Poesie eine dauernde Rolle spielt: das Volkslustspiel bewegt sich rein auf dem Boden des Burlesken, die Kunstpoesie ist ihm fremder, am meisten hält sie ihn 2.in einer Gattung kleineren Umfangs, der Posse, fest. Im Uebrigen zieht sich diese Form des Komischen wie die des Witzes und des Humors in unbe- stimmbaren Verhältnissen durch die verschiedenen Arten der Komödie, wie die- selben nach den andern Eintheilungsgründen sich unterscheiden, und es läßt sich nur so viel aufstellen, daß das Intriguen-Lustspiel mehr Sache des Witzes, das Charakter-Lustspiel mehr Sache des Humors ist und daß, was den Styl- gegensatz betrifft, der letztere seine entschieden angewiesene Stelle in der phan- tastischen Fabel der idealkomischen Richtung hat und eben hier zugleich in der Form des Burlesken sich ausspricht (vergl. §. 214).
1. Hier, wo es sich von der Anwendung der großen Unterschiede des Komischen auf die Eintheilung der Komödie handelt, müssen wir noch ein- mal auf die Volkspoesie zurückkommen. Wir haben sie im Epos, in der lyrischen Dichtung thätig und am entschiedensten in der letzteren ihr Feld behaupten gesehen; aber auch das Drama ist ihr nicht verschlossen, der na-
der herrlichen Roſalinde. Endlich öffnet ſich ein Feld, worin auch das Rührende vorneherein ſo leicht genommen, in ſo heitere Bedingungen hinein- geſtellt iſt, daß wir uns von Anfang bis Ende in der Sphäre des reinen Spiels befinden; Shakespeare’s Der Liebe Müh’ umſonſt, Gezähmte Böſe, Sommernachtstraum gehören hieher. Wir enthalten uns, aus der Maſſe des Modernen weitere Beiſpiele einzureihen, aber wir wiederholen die Klage, daß uns die unendliche Poeſie der Heiterkeit abgeht, die den ſtoffartigen Ernſt des ſpannenden Theils unſerer Fabel in die leichten Lüfte der humo- riſtiſchen Idealität erhöbe. Wir haben ſehr luſtige Intriguenſtücke, aber keine tief humoriſtiſche Charakterluſtſpiele, die zugleich in der Fabel ſich leicht und geiſtreich bewegten. Es iſt freilich ſchwer, die Proſa der Lebensverhältniſſe zu bezwingen, nachdem der moderne, ausgebildet charakteriſtiſche Styl ſich doch in ſie einlaſſen muß; ähnlich ſchwer wie im Roman. Shakespeare war, wie wir vorhin angedeutet, durch die gelüftete, phantaſiereiche, das Leben mit unendlichen Maskenſcherzen ſchmückende, jeder Originalität und Narrheit freien Raum gönnende Sitte ſeiner Zeit unterſtützt; das hochgeſtimmte, in allen Nerven bewegte ſechszehnte Jahrhundert hat ihm den Weg in die Seligkeit des komiſchen Olympus geöffnet, wo er mit Ariſtophanes weilt.
§. 919.
1.
Der Unterſchied der Hauptformen des Komiſchen fordert, was die unmittelbarſte und einfachſte derſelben betrifft, eine beſondere Neben-Eintheilung, welche ſich darauf gründet, daß im Gebiete der Komödie die naive Poeſie eine dauernde Rolle ſpielt: das Volksluſtſpiel bewegt ſich rein auf dem Boden des Burlesken, die Kunſtpoeſie iſt ihm fremder, am meiſten hält ſie ihn 2.in einer Gattung kleineren Umfangs, der Poſſe, feſt. Im Uebrigen zieht ſich dieſe Form des Komiſchen wie die des Witzes und des Humors in unbe- ſtimmbaren Verhältniſſen durch die verſchiedenen Arten der Komödie, wie die- ſelben nach den andern Eintheilungsgründen ſich unterſcheiden, und es läßt ſich nur ſo viel aufſtellen, daß das Intriguen-Luſtſpiel mehr Sache des Witzes, das Charakter-Luſtſpiel mehr Sache des Humors iſt und daß, was den Styl- gegenſatz betrifft, der letztere ſeine entſchieden angewieſene Stelle in der phan- taſtiſchen Fabel der idealkomiſchen Richtung hat und eben hier zugleich in der Form des Burlesken ſich ausſpricht (vergl. §. 214).
1. Hier, wo es ſich von der Anwendung der großen Unterſchiede des Komiſchen auf die Eintheilung der Komödie handelt, müſſen wir noch ein- mal auf die Volkspoeſie zurückkommen. Wir haben ſie im Epos, in der lyriſchen Dichtung thätig und am entſchiedenſten in der letzteren ihr Feld behaupten geſehen; aber auch das Drama iſt ihr nicht verſchloſſen, der na-
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[1441/0305]
der herrlichen Roſalinde. Endlich öffnet ſich ein Feld, worin auch das
Rührende vorneherein ſo leicht genommen, in ſo heitere Bedingungen hinein-
geſtellt iſt, daß wir uns von Anfang bis Ende in der Sphäre des reinen
Spiels befinden; Shakespeare’s Der Liebe Müh’ umſonſt, Gezähmte Böſe,
Sommernachtstraum gehören hieher. Wir enthalten uns, aus der Maſſe
des Modernen weitere Beiſpiele einzureihen, aber wir wiederholen die Klage,
daß uns die unendliche Poeſie der Heiterkeit abgeht, die den ſtoffartigen
Ernſt des ſpannenden Theils unſerer Fabel in die leichten Lüfte der humo-
riſtiſchen Idealität erhöbe. Wir haben ſehr luſtige Intriguenſtücke, aber keine
tief humoriſtiſche Charakterluſtſpiele, die zugleich in der Fabel ſich leicht und
geiſtreich bewegten. Es iſt freilich ſchwer, die Proſa der Lebensverhältniſſe
zu bezwingen, nachdem der moderne, ausgebildet charakteriſtiſche Styl ſich
doch in ſie einlaſſen muß; ähnlich ſchwer wie im Roman. Shakespeare
war, wie wir vorhin angedeutet, durch die gelüftete, phantaſiereiche, das Leben
mit unendlichen Maskenſcherzen ſchmückende, jeder Originalität und Narrheit
freien Raum gönnende Sitte ſeiner Zeit unterſtützt; das hochgeſtimmte, in
allen Nerven bewegte ſechszehnte Jahrhundert hat ihm den Weg in die
Seligkeit des komiſchen Olympus geöffnet, wo er mit Ariſtophanes weilt.
§. 919.
Der Unterſchied der Hauptformen des Komiſchen fordert, was die
unmittelbarſte und einfachſte derſelben betrifft, eine beſondere Neben-Eintheilung,
welche ſich darauf gründet, daß im Gebiete der Komödie die naive Poeſie eine
dauernde Rolle ſpielt: das Volksluſtſpiel bewegt ſich rein auf dem Boden
des Burlesken, die Kunſtpoeſie iſt ihm fremder, am meiſten hält ſie ihn
in einer Gattung kleineren Umfangs, der Poſſe, feſt. Im Uebrigen zieht ſich
dieſe Form des Komiſchen wie die des Witzes und des Humors in unbe-
ſtimmbaren Verhältniſſen durch die verſchiedenen Arten der Komödie, wie die-
ſelben nach den andern Eintheilungsgründen ſich unterſcheiden, und es läßt ſich
nur ſo viel aufſtellen, daß das Intriguen-Luſtſpiel mehr Sache des Witzes,
das Charakter-Luſtſpiel mehr Sache des Humors iſt und daß, was den Styl-
gegenſatz betrifft, der letztere ſeine entſchieden angewieſene Stelle in der phan-
taſtiſchen Fabel der idealkomiſchen Richtung hat und eben hier zugleich in der
Form des Burlesken ſich ausſpricht (vergl. §. 214).
1. Hier, wo es ſich von der Anwendung der großen Unterſchiede des
Komiſchen auf die Eintheilung der Komödie handelt, müſſen wir noch ein-
mal auf die Volkspoeſie zurückkommen. Wir haben ſie im Epos, in der
lyriſchen Dichtung thätig und am entſchiedenſten in der letzteren ihr Feld
behaupten geſehen; aber auch das Drama iſt ihr nicht verſchloſſen, der na-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/305>, abgerufen am 16.02.2025.
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