Am nächsten der reinen Poesie steht die Satyre. Sie unterscheidet sich innerhalb ihres allgemein negativen Charakters in eine negative, indirecte und eine positive, directe. Beide wenden komische Mittel an, die erstere aber erhebt sich je nach Geist und Stimmung in das Gebiet der rein ästhetischen Komik (vergl. §. 547). Sie folgt in ihren bestimmteren Bildungen den Gebieten der reinen Poesie, liebt, wie die verwandte Richtung der Malerei (vergl. §. 742), die Caricatur und erzeugt auf diesem Wege komische Gegenbilder der großen Hauptzweige (bei speziellerer Richtung auf die Form Parodie und Travestie). Die zweite Art der Satyre ist prosaischer und versinkt in das Dürftige und Gemeine, wenn sie nicht, obwohl zunächst immer auf Einzelnes gerichtet, in das Allgemeine und Große geht und aus dem Pathos der Idee fließt.
Wir stellen die Satyre vor das Didaktische, da der Gang, der sich schrittweise vom rein Aesthetischen entfernt, hier der natürlichere ist. Es kann nicht auffallen, wenn der Grund ihres engeren Verhältnisses zur ächten Poesie in die Negativität ihres Verhaltens gesetzt wird; denn negativ ist seinem Wesen nach das ganze Gebiet der komischen Dichtung, an welches sich die Satyre lehnt, sofern alles Komische das Bewußtsein des wahren Ver- hältnisses von Idee und Bild aus dem schlagenden Widerspruche seiner Verkeh- rung, also durch eine Negation erzeugt. Der Unterschied, wie er schon bei Betrachtung der Caricatur in der Malerei (§. 742, Anm. 1.) hervorgehoben ist, beruht darin, daß die Phantasie in Erzeugung des rein Komischen dennoch naiv, harmlos zu Werke geht, also das Verfahren positiv ist, während die Satyre, geführt von stoffartigem Unwillen gegen die verkehrte Wirklichkeit, an die sie mit Bewußtsein den Maaßstab der Idee hält, auch in der Grund- stimmung ihres Verfahrens negativ ist. Hier aber macht sich ein Unter- schied geltend: eine im engeren Sinne negative Form stellt sich mit ent- schiedenem Anspruch auf höheren poetischen Werth neben eine solche, die, unbeschadet der negativen Natur des ganzen Gebietes, also nur beziehungs- weise positiv verfährt und prosaischer ist. Man bezeichnet den Unterschied gewöhnlich als den der lachenden, harmlosen und der strafenden, scharfen Satyre. Der Sprachgebrauch ist nicht passend; die negative oder indirecte Satyre ist immer gewaltsamer, als es scheint, und geht zu sichtbar gewalt- samer Form über, und die directe, positive Satyre kann auch mild predigen. Es fragt sich nun, wie und warum die erstere der reinen Komik näher steht. Zunächst, wenn man nicht die Grenze zwischen dieser und der Satyre verwischen will, muß man als das Spezifische der letzteren jene Grundlage des Unwillens, der Bitterkeit gegen die Welt, die dem Maaß- stabe der Idee widerspricht, die unpoetische Grundstimmung festhalten. So
§. 924.
Am nächſten der reinen Poeſie ſteht die Satyre. Sie unterſcheidet ſich innerhalb ihres allgemein negativen Charakters in eine negative, indirecte und eine poſitive, directe. Beide wenden komiſche Mittel an, die erſtere aber erhebt ſich je nach Geiſt und Stimmung in das Gebiet der rein äſthetiſchen Komik (vergl. §. 547). Sie folgt in ihren beſtimmteren Bildungen den Gebieten der reinen Poeſie, liebt, wie die verwandte Richtung der Malerei (vergl. §. 742), die Caricatur und erzeugt auf dieſem Wege komiſche Gegenbilder der großen Hauptzweige (bei ſpeziellerer Richtung auf die Form Parodie und Traveſtie). Die zweite Art der Satyre iſt proſaiſcher und verſinkt in das Dürftige und Gemeine, wenn ſie nicht, obwohl zunächſt immer auf Einzelnes gerichtet, in das Allgemeine und Große geht und aus dem Pathos der Idee fließt.
Wir ſtellen die Satyre vor das Didaktiſche, da der Gang, der ſich ſchrittweiſe vom rein Aeſthetiſchen entfernt, hier der natürlichere iſt. Es kann nicht auffallen, wenn der Grund ihres engeren Verhältniſſes zur ächten Poeſie in die Negativität ihres Verhaltens geſetzt wird; denn negativ iſt ſeinem Weſen nach das ganze Gebiet der komiſchen Dichtung, an welches ſich die Satyre lehnt, ſofern alles Komiſche das Bewußtſein des wahren Ver- hältniſſes von Idee und Bild aus dem ſchlagenden Widerſpruche ſeiner Verkeh- rung, alſo durch eine Negation erzeugt. Der Unterſchied, wie er ſchon bei Betrachtung der Caricatur in der Malerei (§. 742, Anm. 1.) hervorgehoben iſt, beruht darin, daß die Phantaſie in Erzeugung des rein Komiſchen dennoch naiv, harmlos zu Werke geht, alſo das Verfahren poſitiv iſt, während die Satyre, geführt von ſtoffartigem Unwillen gegen die verkehrte Wirklichkeit, an die ſie mit Bewußtſein den Maaßſtab der Idee hält, auch in der Grund- ſtimmung ihres Verfahrens negativ iſt. Hier aber macht ſich ein Unter- ſchied geltend: eine im engeren Sinne negative Form ſtellt ſich mit ent- ſchiedenem Anſpruch auf höheren poetiſchen Werth neben eine ſolche, die, unbeſchadet der negativen Natur des ganzen Gebietes, alſo nur beziehungs- weiſe poſitiv verfährt und proſaiſcher iſt. Man bezeichnet den Unterſchied gewöhnlich als den der lachenden, harmloſen und der ſtrafenden, ſcharfen Satyre. Der Sprachgebrauch iſt nicht paſſend; die negative oder indirecte Satyre iſt immer gewaltſamer, als es ſcheint, und geht zu ſichtbar gewalt- ſamer Form über, und die directe, poſitive Satyre kann auch mild predigen. Es fragt ſich nun, wie und warum die erſtere der reinen Komik näher ſteht. Zunächſt, wenn man nicht die Grenze zwiſchen dieſer und der Satyre verwiſchen will, muß man als das Spezifiſche der letzteren jene Grundlage des Unwillens, der Bitterkeit gegen die Welt, die dem Maaß- ſtabe der Idee widerſpricht, die unpoetiſche Grundſtimmung feſthalten. So
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§. 924.
Am nächſten der reinen Poeſie ſteht die Satyre. Sie unterſcheidet ſich
innerhalb ihres allgemein negativen Charakters in eine negative, indirecte und
eine poſitive, directe. Beide wenden komiſche Mittel an, die erſtere aber erhebt
ſich je nach Geiſt und Stimmung in das Gebiet der rein äſthetiſchen Komik
(vergl. §. 547). Sie folgt in ihren beſtimmteren Bildungen den Gebieten der
reinen Poeſie, liebt, wie die verwandte Richtung der Malerei (vergl. §. 742),
die Caricatur und erzeugt auf dieſem Wege komiſche Gegenbilder der großen
Hauptzweige (bei ſpeziellerer Richtung auf die Form Parodie und Traveſtie).
Die zweite Art der Satyre iſt proſaiſcher und verſinkt in das Dürftige und
Gemeine, wenn ſie nicht, obwohl zunächſt immer auf Einzelnes gerichtet, in das
Allgemeine und Große geht und aus dem Pathos der Idee fließt.
Wir ſtellen die Satyre vor das Didaktiſche, da der Gang, der ſich
ſchrittweiſe vom rein Aeſthetiſchen entfernt, hier der natürlichere iſt. Es
kann nicht auffallen, wenn der Grund ihres engeren Verhältniſſes zur
ächten Poeſie in die Negativität ihres Verhaltens geſetzt wird; denn negativ
iſt ſeinem Weſen nach das ganze Gebiet der komiſchen Dichtung, an welches
ſich die Satyre lehnt, ſofern alles Komiſche das Bewußtſein des wahren Ver-
hältniſſes von Idee und Bild aus dem ſchlagenden Widerſpruche ſeiner Verkeh-
rung, alſo durch eine Negation erzeugt. Der Unterſchied, wie er ſchon bei
Betrachtung der Caricatur in der Malerei (§. 742, Anm. 1.) hervorgehoben iſt,
beruht darin, daß die Phantaſie in Erzeugung des rein Komiſchen dennoch
naiv, harmlos zu Werke geht, alſo das Verfahren poſitiv iſt, während die
Satyre, geführt von ſtoffartigem Unwillen gegen die verkehrte Wirklichkeit, an
die ſie mit Bewußtſein den Maaßſtab der Idee hält, auch in der Grund-
ſtimmung ihres Verfahrens negativ iſt. Hier aber macht ſich ein Unter-
ſchied geltend: eine im engeren Sinne negative Form ſtellt ſich mit ent-
ſchiedenem Anſpruch auf höheren poetiſchen Werth neben eine ſolche, die,
unbeſchadet der negativen Natur des ganzen Gebietes, alſo nur beziehungs-
weiſe poſitiv verfährt und proſaiſcher iſt. Man bezeichnet den Unterſchied
gewöhnlich als den der lachenden, harmloſen und der ſtrafenden, ſcharfen
Satyre. Der Sprachgebrauch iſt nicht paſſend; die negative oder indirecte
Satyre iſt immer gewaltſamer, als es ſcheint, und geht zu ſichtbar gewalt-
ſamer Form über, und die directe, poſitive Satyre kann auch mild predigen.
Es fragt ſich nun, wie und warum die erſtere der reinen Komik näher
ſteht. Zunächſt, wenn man nicht die Grenze zwiſchen dieſer und der
Satyre verwiſchen will, muß man als das Spezifiſche der letzteren jene
Grundlage des Unwillens, der Bitterkeit gegen die Welt, die dem Maaß-
ſtabe der Idee widerſpricht, die unpoetiſche Grundſtimmung feſthalten. So
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/322>, abgerufen am 21.11.2024.
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