knüpfen, ist so zart, daß sie nur im Einzelnen am concreten Kunstwerk auf- gedeckt werden kann. Daß wir den Werth der Formen, welche hier noch zu betrachten sind, darum nicht überhaupt heruntersetzen wollen, weil wir sie, wenn der rein ästhetische Maaßstab angelegt wird, als blos anhängende bestimmen, dieß ist bereits in §. 742, Anm. 1. ausgesprochen, wo von den verwandten Seitenzweigen der Malerei die Rede war, der einzigen Kunst, welche mit der Poesie den Uebergang in ein gemischtes Grenzgebiet von so großer Ausdehnung und Fülle theilt. Das ästhetische Urtheil zieht seine Strenge zurück, sobald nur zugestanden wird, daß das Gemischte eben nur gemischt ist; das Leben ist reich an Formen und gerne leiht die eine der andern ihre Mittel. Satyre und Didaktik nebst Rhetorik gehören zu den gewaltigsten Hebeln des ethischen, politischen Lebens und die Bewegung der Geschichte wäre ohne sie nicht zu denken. Ihr Wesen und ihre reichen, gerade durch ihre gemischte Natur schwierigen Formen sind daher der gründ- lichsten Untersuchung werth, aber in gesonderter Behandlung oder als An- hang einer Poetik; die Aesthetik ist durch den großen Umfang ihres Ganzen zur Kürze genöthigt. Daß aber dieses Gebiet nur einen Anhang der Lehre von der Poesie, nicht einen Theil derselben bilden kann, bedarf längst keines Beweises mehr; eher wäre es der Mühe werth, zu erklären, wie es kam, daß man so lange die grobe logische Sünde der Eintheilungen übersehen konnte, die das Didaktische und Verwandte dem Epischen, Lyrischen, Dra- matischen coordinirten. Schon der erste Blick zeigt, daß eine Erscheinung, welche, außer andern, unbestimmteren Formen, wechselnd die Gestalt des einen oder andern dieser drei Zweige annimmt, nicht einen Zweig neben denselben bilden kann. Der innerste Grund lag in der Verkennung des reinen Wesens der Poesie; diese geistigste aller Künste, die als solche am nächsten an dem Gebiete der Prosa liegt, verbarg dem noch ungeübten Auge den unendlichen Unterschied des Wahren, das ganz in reinen Schein ver- wandelt ist, von dem Wahren, das sich nur nebenher mit dem Scheine bekleidet. Man sah, wie die Dichtkunst nach allen Seiten vielfacher und massenhafter, als es irgend einer andern Kunst möglich ist, in dieß gemischte Gebiet übergeht, und man übersah die feine, aber scharfe Linie, welche auf allen Puncten dieses Austretens überschritten wird. -- Uebrigens ergibt sich nun (vergl. §. 546. 547) eine merkwürdige Parallele mit derjenigen Kunst, welche, die entfernteste von der Poesie, am Eingange des Systems der Künste liegt, mit der Architektur. Wie jene mit dem ethischen Gebiete, so ist diese mit dem des Zweckmäßigen durch die engsten Bande verflochten. So mündet die Kunst an ihrem Anfangs- und Endpuncte in das außer- ästhetische Gebiet: dort erhebt sich ihre Basis auf dem breiten Boden des praktischen Bedürfnisses, hier streckt sich ihr Gipfel in die Luft der schmuck- losen Wahrheit.
knüpfen, iſt ſo zart, daß ſie nur im Einzelnen am concreten Kunſtwerk auf- gedeckt werden kann. Daß wir den Werth der Formen, welche hier noch zu betrachten ſind, darum nicht überhaupt herunterſetzen wollen, weil wir ſie, wenn der rein äſthetiſche Maaßſtab angelegt wird, als blos anhängende beſtimmen, dieß iſt bereits in §. 742, Anm. 1. ausgeſprochen, wo von den verwandten Seitenzweigen der Malerei die Rede war, der einzigen Kunſt, welche mit der Poeſie den Uebergang in ein gemiſchtes Grenzgebiet von ſo großer Ausdehnung und Fülle theilt. Das äſthetiſche Urtheil zieht ſeine Strenge zurück, ſobald nur zugeſtanden wird, daß das Gemiſchte eben nur gemiſcht iſt; das Leben iſt reich an Formen und gerne leiht die eine der andern ihre Mittel. Satyre und Didaktik nebſt Rhetorik gehören zu den gewaltigſten Hebeln des ethiſchen, politiſchen Lebens und die Bewegung der Geſchichte wäre ohne ſie nicht zu denken. Ihr Weſen und ihre reichen, gerade durch ihre gemiſchte Natur ſchwierigen Formen ſind daher der gründ- lichſten Unterſuchung werth, aber in geſonderter Behandlung oder als An- hang einer Poetik; die Aeſthetik iſt durch den großen Umfang ihres Ganzen zur Kürze genöthigt. Daß aber dieſes Gebiet nur einen Anhang der Lehre von der Poeſie, nicht einen Theil derſelben bilden kann, bedarf längſt keines Beweiſes mehr; eher wäre es der Mühe werth, zu erklären, wie es kam, daß man ſo lange die grobe logiſche Sünde der Eintheilungen überſehen konnte, die das Didaktiſche und Verwandte dem Epiſchen, Lyriſchen, Dra- matiſchen coordinirten. Schon der erſte Blick zeigt, daß eine Erſcheinung, welche, außer andern, unbeſtimmteren Formen, wechſelnd die Geſtalt des einen oder andern dieſer drei Zweige annimmt, nicht einen Zweig neben denſelben bilden kann. Der innerſte Grund lag in der Verkennung des reinen Weſens der Poeſie; dieſe geiſtigſte aller Künſte, die als ſolche am nächſten an dem Gebiete der Proſa liegt, verbarg dem noch ungeübten Auge den unendlichen Unterſchied des Wahren, das ganz in reinen Schein ver- wandelt iſt, von dem Wahren, das ſich nur nebenher mit dem Scheine bekleidet. Man ſah, wie die Dichtkunſt nach allen Seiten vielfacher und maſſenhafter, als es irgend einer andern Kunſt möglich iſt, in dieß gemiſchte Gebiet übergeht, und man überſah die feine, aber ſcharfe Linie, welche auf allen Puncten dieſes Austretens überſchritten wird. — Uebrigens ergibt ſich nun (vergl. §. 546. 547) eine merkwürdige Parallele mit derjenigen Kunſt, welche, die entfernteſte von der Poeſie, am Eingange des Syſtems der Künſte liegt, mit der Architektur. Wie jene mit dem ethiſchen Gebiete, ſo iſt dieſe mit dem des Zweckmäßigen durch die engſten Bande verflochten. So mündet die Kunſt an ihrem Anfangs- und Endpuncte in das außer- äſthetiſche Gebiet: dort erhebt ſich ihre Baſis auf dem breiten Boden des praktiſchen Bedürfniſſes, hier ſtreckt ſich ihr Gipfel in die Luft der ſchmuck- loſen Wahrheit.
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knüpfen, iſt ſo zart, daß ſie nur im Einzelnen am concreten Kunſtwerk auf-
gedeckt werden kann. Daß wir den Werth der Formen, welche hier noch
zu betrachten ſind, darum nicht überhaupt herunterſetzen wollen, weil wir
ſie, wenn der rein äſthetiſche Maaßſtab angelegt wird, als blos anhängende
beſtimmen, dieß iſt bereits in §. 742, Anm. 1. ausgeſprochen, wo von den
verwandten Seitenzweigen der Malerei die Rede war, der einzigen Kunſt,
welche mit der Poeſie den Uebergang in ein gemiſchtes Grenzgebiet von ſo
großer Ausdehnung und Fülle theilt. Das äſthetiſche Urtheil zieht ſeine
Strenge zurück, ſobald nur zugeſtanden wird, daß das Gemiſchte eben nur
gemiſcht iſt; das Leben iſt reich an Formen und gerne leiht die eine der
andern ihre Mittel. Satyre und Didaktik nebſt Rhetorik gehören zu den
gewaltigſten Hebeln des ethiſchen, politiſchen Lebens und die Bewegung der
Geſchichte wäre ohne ſie nicht zu denken. Ihr Weſen und ihre reichen,
gerade durch ihre gemiſchte Natur ſchwierigen Formen ſind daher der gründ-
lichſten Unterſuchung werth, aber in geſonderter Behandlung oder als An-
hang einer Poetik; die Aeſthetik iſt durch den großen Umfang ihres Ganzen
zur Kürze genöthigt. Daß aber dieſes Gebiet nur einen Anhang der Lehre
von der Poeſie, nicht einen Theil derſelben bilden kann, bedarf längſt keines
Beweiſes mehr; eher wäre es der Mühe werth, zu erklären, wie es kam,
daß man ſo lange die grobe logiſche Sünde der Eintheilungen überſehen
konnte, die das Didaktiſche und Verwandte dem Epiſchen, Lyriſchen, Dra-
matiſchen coordinirten. Schon der erſte Blick zeigt, daß eine Erſcheinung,
welche, außer andern, unbeſtimmteren Formen, wechſelnd die Geſtalt des
einen oder andern dieſer drei Zweige annimmt, nicht einen Zweig neben
denſelben bilden kann. Der innerſte Grund lag in der Verkennung des
reinen Weſens der Poeſie; dieſe geiſtigſte aller Künſte, die als ſolche am
nächſten an dem Gebiete der Proſa liegt, verbarg dem noch ungeübten Auge
den unendlichen Unterſchied des Wahren, das ganz in reinen Schein ver-
wandelt iſt, von dem Wahren, das ſich nur nebenher mit dem Scheine
bekleidet. Man ſah, wie die Dichtkunſt nach allen Seiten vielfacher und
maſſenhafter, als es irgend einer andern Kunſt möglich iſt, in dieß gemiſchte
Gebiet übergeht, und man überſah die feine, aber ſcharfe Linie, welche auf
allen Puncten dieſes Austretens überſchritten wird. — Uebrigens ergibt ſich
nun (vergl. §. 546. 547) eine merkwürdige Parallele mit derjenigen Kunſt,
welche, die entfernteſte von der Poeſie, am Eingange des Syſtems der
Künſte liegt, mit der Architektur. Wie jene mit dem ethiſchen Gebiete, ſo
iſt dieſe mit dem des Zweckmäßigen durch die engſten Bande verflochten.
So mündet die Kunſt an ihrem Anfangs- und Endpuncte in das außer-
äſthetiſche Gebiet: dort erhebt ſich ihre Baſis auf dem breiten Boden des
praktiſchen Bedürfniſſes, hier ſtreckt ſich ihr Gipfel in die Luft der ſchmuck-
loſen Wahrheit.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/321>, abgerufen am 24.11.2024.
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