mehr sich aber die Satyre zum eigentlichen Drama entwickelt, desto mehr ist ihr der Aufschwung zum ächt Komischen gesichert, ja mehr noch, als im Epischen, weil die Selbstverwandlung des Dichters in seine Personen ihn entschiedener aus dem Standpuncte der Entgegensetzung gegen die Welt, der seine Grundlage bildet, in die Trunkenheit des wirklichen Humors hinein- reißt. Auf Aristophanes haben wir in dieser Beziehung schon öfters hin- gewiesen. --
Die directe oder positive Satyre hält das Ideal ausgesprochener Maaßen an den Gegenstand, zeigt dessen Schlechtigkeit in offenem Angriff auf und gehört also entschiedener dem Boden der prosaischen Trennung zwischen der Idee und der Welt an. Sie verfährt daher auch meist monologisch, tritt in Briefen, Abhandlungsform u. dergl. in der eigenen Person auf. Es ist damit zugleich gesagt, daß, wie in der Stimmung die freie Heiterkeit, welche ihre Narren liebt und geneigt ist, das eigene Ich unter den komischen Widerspruch zu subsumiren, so im poetischen Acte die Objectivirung nicht eintritt; daher in Vergleichung mit den Zweigen der Poesie nur eine Ver- wandtschaft mit dem Lyrischen übrig bleibt. Die directe Satyre wäre daher überhaupt nicht ästhetisch, sondern ethisch, wenn sie nicht im Einzelnen komischer Mittel, natürlich im Wesentlichen des Witzes, sich bediente, und da die objectivste Form des Witzes die Ironie ist (vergl. §. 201--204), so folgt, daß ihr Verfahren, wenn sie zu dieser greift, am nächsten an die höhere und freiere Natur der indirecten Satyre grenzt. Das Lob der Narr- heit von Erasmus und die ironischen Abhandlungen von Liscow mögen als Beispiele genannt werden. Allein hier schwächt sich auch die praktische Gewalt einer Aeußerung des Geistes ab, die als beißendes Salz der trägen Masse des geschichtlichen Lebens unentbehrlich ist. Verdorbene Zustände wollen nicht mit der versteckt lachenden Ironie, sondern mit der äzenden Schärfe einer gründlichen Erbitterung bearbeitet, durchbohrt sein, der ästhetische Standpunct weicht dem ethischen, dem das Verhüllte zu matt, zu schwäch- lich ist. Fortgesetzte Ironie ist daher etwas Veraltetes, ist Rokoko, wir ertragen das schleppende Hinterhalten nicht mehr. Es versteht sich, daß, je mehr bei diesem positiv satyrischen Verhalten der ästhetische Standpunct hinter den ethischen zurücktritt, desto ausdrücklicher ein reiner Haß gefordert werden muß, der aus der Idee fließt: "die Abneigung könnte auch eine blos sinn- liche Quelle haben und lediglich in Bedürfniß gegründet sein, mit welchem die Wirklichkeit streitet, und häufig genug glauben wir einen moralischen Unwillen über die Welt zu empfinden, wenn uns blos der Widerstreit der- selben mit unserer Neigung erbittert; -- die pathetische Satyre muß jederzeit aus einem Gemüthe fließen, welches vom Ideale lebhaft durchdrungen ist" (Schiller Ueber naive und sentim. Dichtung. Werke B. 18, S. 252. 254). Die Satyre hat von einem durchaus persönlichen, wilden Schimpfen und
mehr ſich aber die Satyre zum eigentlichen Drama entwickelt, deſto mehr iſt ihr der Aufſchwung zum ächt Komiſchen geſichert, ja mehr noch, als im Epiſchen, weil die Selbſtverwandlung des Dichters in ſeine Perſonen ihn entſchiedener aus dem Standpuncte der Entgegenſetzung gegen die Welt, der ſeine Grundlage bildet, in die Trunkenheit des wirklichen Humors hinein- reißt. Auf Ariſtophanes haben wir in dieſer Beziehung ſchon öfters hin- gewieſen. —
Die directe oder poſitive Satyre hält das Ideal ausgeſprochener Maaßen an den Gegenſtand, zeigt deſſen Schlechtigkeit in offenem Angriff auf und gehört alſo entſchiedener dem Boden der proſaiſchen Trennung zwiſchen der Idee und der Welt an. Sie verfährt daher auch meiſt monologiſch, tritt in Briefen, Abhandlungsform u. dergl. in der eigenen Perſon auf. Es iſt damit zugleich geſagt, daß, wie in der Stimmung die freie Heiterkeit, welche ihre Narren liebt und geneigt iſt, das eigene Ich unter den komiſchen Widerſpruch zu ſubſumiren, ſo im poetiſchen Acte die Objectivirung nicht eintritt; daher in Vergleichung mit den Zweigen der Poeſie nur eine Ver- wandtſchaft mit dem Lyriſchen übrig bleibt. Die directe Satyre wäre daher überhaupt nicht äſthetiſch, ſondern ethiſch, wenn ſie nicht im Einzelnen komiſcher Mittel, natürlich im Weſentlichen des Witzes, ſich bediente, und da die objectivſte Form des Witzes die Ironie iſt (vergl. §. 201—204), ſo folgt, daß ihr Verfahren, wenn ſie zu dieſer greift, am nächſten an die höhere und freiere Natur der indirecten Satyre grenzt. Das Lob der Narr- heit von Erasmus und die ironiſchen Abhandlungen von Liscow mögen als Beiſpiele genannt werden. Allein hier ſchwächt ſich auch die praktiſche Gewalt einer Aeußerung des Geiſtes ab, die als beißendes Salz der trägen Maſſe des geſchichtlichen Lebens unentbehrlich iſt. Verdorbene Zuſtände wollen nicht mit der verſteckt lachenden Ironie, ſondern mit der äzenden Schärfe einer gründlichen Erbitterung bearbeitet, durchbohrt ſein, der äſthetiſche Standpunct weicht dem ethiſchen, dem das Verhüllte zu matt, zu ſchwäch- lich iſt. Fortgeſetzte Ironie iſt daher etwas Veraltetes, iſt Rokoko, wir ertragen das ſchleppende Hinterhalten nicht mehr. Es verſteht ſich, daß, je mehr bei dieſem poſitiv ſatyriſchen Verhalten der äſthetiſche Standpunct hinter den ethiſchen zurücktritt, deſto ausdrücklicher ein reiner Haß gefordert werden muß, der aus der Idee fließt: „die Abneigung könnte auch eine blos ſinn- liche Quelle haben und lediglich in Bedürfniß gegründet ſein, mit welchem die Wirklichkeit ſtreitet, und häufig genug glauben wir einen moraliſchen Unwillen über die Welt zu empfinden, wenn uns blos der Widerſtreit der- ſelben mit unſerer Neigung erbittert; — die pathetiſche Satyre muß jederzeit aus einem Gemüthe fließen, welches vom Ideale lebhaft durchdrungen iſt“ (Schiller Ueber naive und ſentim. Dichtung. Werke B. 18, S. 252. 254). Die Satyre hat von einem durchaus perſönlichen, wilden Schimpfen und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0325"n="1461"/>
mehr ſich aber die Satyre zum eigentlichen Drama entwickelt, deſto mehr<lb/>
iſt ihr der Aufſchwung zum ächt Komiſchen geſichert, ja mehr noch, als im<lb/>
Epiſchen, weil die Selbſtverwandlung des Dichters in ſeine Perſonen ihn<lb/>
entſchiedener aus dem Standpuncte der Entgegenſetzung gegen die Welt, der<lb/>ſeine Grundlage bildet, in die Trunkenheit des wirklichen Humors hinein-<lb/>
reißt. Auf Ariſtophanes haben wir in dieſer Beziehung ſchon öfters hin-<lb/>
gewieſen. —</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Die directe oder poſitive Satyre hält das Ideal ausgeſprochener Maaßen<lb/>
an den Gegenſtand, zeigt deſſen Schlechtigkeit in offenem Angriff auf und<lb/>
gehört alſo entſchiedener dem Boden der proſaiſchen Trennung zwiſchen der<lb/>
Idee und der Welt an. Sie verfährt daher auch meiſt monologiſch, tritt in<lb/>
Briefen, Abhandlungsform u. dergl. in der eigenen Perſon auf. Es iſt<lb/>
damit zugleich geſagt, daß, wie in der Stimmung die freie Heiterkeit, welche<lb/>
ihre Narren liebt und geneigt iſt, das eigene Ich unter den komiſchen<lb/>
Widerſpruch zu ſubſumiren, ſo im poetiſchen Acte die Objectivirung nicht<lb/>
eintritt; daher in Vergleichung mit den Zweigen der Poeſie nur eine Ver-<lb/>
wandtſchaft mit dem Lyriſchen übrig bleibt. Die directe Satyre wäre daher<lb/>
überhaupt nicht äſthetiſch, ſondern ethiſch, wenn ſie nicht im Einzelnen<lb/>
komiſcher Mittel, natürlich im Weſentlichen des Witzes, ſich bediente, und<lb/>
da die objectivſte Form des Witzes die Ironie iſt (vergl. §. 201—204), ſo<lb/>
folgt, daß ihr Verfahren, wenn ſie zu dieſer greift, am nächſten an die<lb/>
höhere und freiere Natur der indirecten Satyre grenzt. Das Lob der Narr-<lb/>
heit von Erasmus und die ironiſchen Abhandlungen von Liscow mögen<lb/>
als Beiſpiele genannt werden. Allein hier ſchwächt ſich auch die praktiſche<lb/>
Gewalt einer Aeußerung des Geiſtes ab, die als beißendes Salz der trägen<lb/>
Maſſe des geſchichtlichen Lebens unentbehrlich iſt. Verdorbene Zuſtände<lb/>
wollen nicht mit der verſteckt lachenden Ironie, ſondern mit der äzenden<lb/>
Schärfe einer gründlichen Erbitterung bearbeitet, durchbohrt ſein, der äſthetiſche<lb/>
Standpunct weicht dem ethiſchen, dem das Verhüllte zu matt, zu ſchwäch-<lb/>
lich iſt. Fortgeſetzte Ironie iſt daher etwas Veraltetes, iſt Rokoko, wir<lb/>
ertragen das ſchleppende Hinterhalten nicht mehr. Es verſteht ſich, daß, je<lb/>
mehr bei dieſem poſitiv ſatyriſchen Verhalten der äſthetiſche Standpunct hinter<lb/>
den ethiſchen zurücktritt, deſto ausdrücklicher ein reiner Haß gefordert werden<lb/>
muß, der aus der Idee fließt: „die Abneigung könnte auch eine blos ſinn-<lb/>
liche Quelle haben und lediglich in Bedürfniß gegründet ſein, mit welchem<lb/>
die Wirklichkeit ſtreitet, und häufig genug glauben wir einen moraliſchen<lb/>
Unwillen über die Welt zu empfinden, wenn uns blos der Widerſtreit der-<lb/>ſelben mit unſerer Neigung erbittert; — die pathetiſche Satyre muß jederzeit<lb/>
aus einem Gemüthe fließen, welches vom Ideale lebhaft durchdrungen iſt“<lb/>
(Schiller Ueber naive und ſentim. Dichtung. Werke B. 18, S. 252. 254).<lb/>
Die Satyre hat von einem durchaus perſönlichen, wilden Schimpfen und<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[1461/0325]
mehr ſich aber die Satyre zum eigentlichen Drama entwickelt, deſto mehr
iſt ihr der Aufſchwung zum ächt Komiſchen geſichert, ja mehr noch, als im
Epiſchen, weil die Selbſtverwandlung des Dichters in ſeine Perſonen ihn
entſchiedener aus dem Standpuncte der Entgegenſetzung gegen die Welt, der
ſeine Grundlage bildet, in die Trunkenheit des wirklichen Humors hinein-
reißt. Auf Ariſtophanes haben wir in dieſer Beziehung ſchon öfters hin-
gewieſen. —
Die directe oder poſitive Satyre hält das Ideal ausgeſprochener Maaßen
an den Gegenſtand, zeigt deſſen Schlechtigkeit in offenem Angriff auf und
gehört alſo entſchiedener dem Boden der proſaiſchen Trennung zwiſchen der
Idee und der Welt an. Sie verfährt daher auch meiſt monologiſch, tritt in
Briefen, Abhandlungsform u. dergl. in der eigenen Perſon auf. Es iſt
damit zugleich geſagt, daß, wie in der Stimmung die freie Heiterkeit, welche
ihre Narren liebt und geneigt iſt, das eigene Ich unter den komiſchen
Widerſpruch zu ſubſumiren, ſo im poetiſchen Acte die Objectivirung nicht
eintritt; daher in Vergleichung mit den Zweigen der Poeſie nur eine Ver-
wandtſchaft mit dem Lyriſchen übrig bleibt. Die directe Satyre wäre daher
überhaupt nicht äſthetiſch, ſondern ethiſch, wenn ſie nicht im Einzelnen
komiſcher Mittel, natürlich im Weſentlichen des Witzes, ſich bediente, und
da die objectivſte Form des Witzes die Ironie iſt (vergl. §. 201—204), ſo
folgt, daß ihr Verfahren, wenn ſie zu dieſer greift, am nächſten an die
höhere und freiere Natur der indirecten Satyre grenzt. Das Lob der Narr-
heit von Erasmus und die ironiſchen Abhandlungen von Liscow mögen
als Beiſpiele genannt werden. Allein hier ſchwächt ſich auch die praktiſche
Gewalt einer Aeußerung des Geiſtes ab, die als beißendes Salz der trägen
Maſſe des geſchichtlichen Lebens unentbehrlich iſt. Verdorbene Zuſtände
wollen nicht mit der verſteckt lachenden Ironie, ſondern mit der äzenden
Schärfe einer gründlichen Erbitterung bearbeitet, durchbohrt ſein, der äſthetiſche
Standpunct weicht dem ethiſchen, dem das Verhüllte zu matt, zu ſchwäch-
lich iſt. Fortgeſetzte Ironie iſt daher etwas Veraltetes, iſt Rokoko, wir
ertragen das ſchleppende Hinterhalten nicht mehr. Es verſteht ſich, daß, je
mehr bei dieſem poſitiv ſatyriſchen Verhalten der äſthetiſche Standpunct hinter
den ethiſchen zurücktritt, deſto ausdrücklicher ein reiner Haß gefordert werden
muß, der aus der Idee fließt: „die Abneigung könnte auch eine blos ſinn-
liche Quelle haben und lediglich in Bedürfniß gegründet ſein, mit welchem
die Wirklichkeit ſtreitet, und häufig genug glauben wir einen moraliſchen
Unwillen über die Welt zu empfinden, wenn uns blos der Widerſtreit der-
ſelben mit unſerer Neigung erbittert; — die pathetiſche Satyre muß jederzeit
aus einem Gemüthe fließen, welches vom Ideale lebhaft durchdrungen iſt“
(Schiller Ueber naive und ſentim. Dichtung. Werke B. 18, S. 252. 254).
Die Satyre hat von einem durchaus perſönlichen, wilden Schimpfen und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/325>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.