Schelten in der jambischen Poesie der Griechen (Archilochos) ihren Ausgang genommen; als eine Art von Vorübung für die Komödie hat das seine natürlichen Wege, aber fixirt, wie in den späteren Satyren der Italiener und in den Gemeinheiten eines Murner, wird es abscheulich. Nicht die Einzelheit, Persönlichkeit des Objects ist das Verwerfliche; was packen will, muß einen greiflichen Gegenstand haben, und soll der Gegenstand gründlich durchbeizt und durchpfeffert werden, so kann der Satyriker nicht genug spe- zialisiren, auch die Farben mögen grell sein, wenn nur das Häßliche nicht die furchtbare Erdenschwere behält, wie in einem Juvenal. Das Wesentliche aber ist, daß das nächste Object immer nur der Punct sein soll, an welchem ein allgemeines Uebel angefaßt wird, und wir werden den Satyriker um so mehr achten, wenn dieses Uebel zugleich mit Macht bekleidet ist, wenn es Muth fordert, es zu bekämpfen. -- Die Satyre fällt im Ganzen und Großen naturgemäß in Zeiten der Auflösung; die späte Zeit Roms und das sechszehnte Jahrhundert, dieses freilich so viel frischer und von Morgen- luft bewegt, waren ihre Blüthe-Perioden.
§. 925.
1.
Der eigentlich didaktischen Poesie gehen mit dem Charakter ungeschie- dener Ursprünglichkeit in Epos und Drama Erzeugnisse voran, welche den 2.Lehrgehalt als religiöse Thatsache aussprechen. In ausgebildeter Gestalt schließt sie sich an die epische Dichtung als Beispiel, Parabel, Fabel und be- schreibendes Gedicht. Die naivste unter diesen Formen, verwandt mit 3.dem Thier-Epos, ist die Fabel. Zu der lyrischen Dichtung gesellt sich die lehrende Ballade und Romanze, das Spruchgedicht oder die Gnome, Sprichwort, Näthsel, zu der dramatischen der lehrhafte Dialog und alle 4.die Formen, welche den Charakter pathetischer Monologe tragen. Daneben breitet sich ein unbestimmtes Gebiet aus, das bereits der prosaischen Abhand- lung verwandt ist und seinen Zusammenhang mit der Poesie nur durch Schil- derungen des Naturschönen rettet, durch die es mehr oder minder dem beschrei- benden Gedichte sich nähert: das eigentliche Lehrgedicht.
1. Wir haben die Theogonie und das ursprüngliche religiöse Epos, das vor der Ausbildung der Kunstpoesie liegt, nicht in der Lehre von der epischen Dichtung, die gottesdienstlichen Acte, aus denen das griechische Drama hervorgieng, die Mysterien des Mittelalters und die religiösen Dramen der Spanier, die zwar der Kunst- poesie angehören, aber doch von jenen naiven Anfängen sich ableiten, nicht in der Lehre von der dramatischen Dichtung als bleibende Arten aufgeführt. Darstellungen des absoluten Religions-Inhalts in Form von Ereigniß,
Schelten in der jambiſchen Poeſie der Griechen (Archilochos) ihren Ausgang genommen; als eine Art von Vorübung für die Komödie hat das ſeine natürlichen Wege, aber fixirt, wie in den ſpäteren Satyren der Italiener und in den Gemeinheiten eines Murner, wird es abſcheulich. Nicht die Einzelheit, Perſönlichkeit des Objects iſt das Verwerfliche; was packen will, muß einen greiflichen Gegenſtand haben, und ſoll der Gegenſtand gründlich durchbeizt und durchpfeffert werden, ſo kann der Satyriker nicht genug ſpe- zialiſiren, auch die Farben mögen grell ſein, wenn nur das Häßliche nicht die furchtbare Erdenſchwere behält, wie in einem Juvenal. Das Weſentliche aber iſt, daß das nächſte Object immer nur der Punct ſein ſoll, an welchem ein allgemeines Uebel angefaßt wird, und wir werden den Satyriker um ſo mehr achten, wenn dieſes Uebel zugleich mit Macht bekleidet iſt, wenn es Muth fordert, es zu bekämpfen. — Die Satyre fällt im Ganzen und Großen naturgemäß in Zeiten der Auflöſung; die ſpäte Zeit Roms und das ſechszehnte Jahrhundert, dieſes freilich ſo viel friſcher und von Morgen- luft bewegt, waren ihre Blüthe-Perioden.
§. 925.
1.
Der eigentlich didaktiſchen Poeſie gehen mit dem Charakter ungeſchie- dener Urſprünglichkeit in Epos und Drama Erzeugniſſe voran, welche den 2.Lehrgehalt als religiöſe Thatſache ausſprechen. In ausgebildeter Geſtalt ſchließt ſie ſich an die epiſche Dichtung als Beiſpiel, Parabel, Fabel und be- ſchreibendes Gedicht. Die naivſte unter dieſen Formen, verwandt mit 3.dem Thier-Epos, iſt die Fabel. Zu der lyriſchen Dichtung geſellt ſich die lehrende Ballade und Romanze, das Spruchgedicht oder die Gnome, Sprichwort, Näthſel, zu der dramatiſchen der lehrhafte Dialog und alle 4.die Formen, welche den Charakter pathetiſcher Monologe tragen. Daneben breitet ſich ein unbeſtimmtes Gebiet aus, das bereits der proſaiſchen Abhand- lung verwandt iſt und ſeinen Zuſammenhang mit der Poeſie nur durch Schil- derungen des Naturſchönen rettet, durch die es mehr oder minder dem beſchrei- benden Gedichte ſich nähert: das eigentliche Lehrgedicht.
1. Wir haben die Theogonie und das urſprüngliche religiöſe Epos, das vor der Ausbildung der Kunſtpoeſie liegt, nicht in der Lehre von der epiſchen Dichtung, die gottesdienſtlichen Acte, aus denen das griechiſche Drama hervorgieng, die Myſterien des Mittelalters und die religiöſen Dramen der Spanier, die zwar der Kunſt- poeſie angehören, aber doch von jenen naiven Anfängen ſich ableiten, nicht in der Lehre von der dramatiſchen Dichtung als bleibende Arten aufgeführt. Darſtellungen des abſoluten Religions-Inhalts in Form von Ereigniß,
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Schelten in der jambiſchen Poeſie der Griechen (Archilochos) ihren Ausgang
genommen; als eine Art von Vorübung für die Komödie hat das ſeine
natürlichen Wege, aber fixirt, wie in den ſpäteren Satyren der Italiener
und in den Gemeinheiten eines Murner, wird es abſcheulich. Nicht die
Einzelheit, Perſönlichkeit des Objects iſt das Verwerfliche; was packen will,
muß einen greiflichen Gegenſtand haben, und ſoll der Gegenſtand gründlich
durchbeizt und durchpfeffert werden, ſo kann der Satyriker nicht genug ſpe-
zialiſiren, auch die Farben mögen grell ſein, wenn nur das Häßliche nicht die
furchtbare Erdenſchwere behält, wie in einem Juvenal. Das Weſentliche
aber iſt, daß das nächſte Object immer nur der Punct ſein ſoll, an welchem
ein allgemeines Uebel angefaßt wird, und wir werden den Satyriker um
ſo mehr achten, wenn dieſes Uebel zugleich mit Macht bekleidet iſt, wenn
es Muth fordert, es zu bekämpfen. — Die Satyre fällt im Ganzen und
Großen naturgemäß in Zeiten der Auflöſung; die ſpäte Zeit Roms und
das ſechszehnte Jahrhundert, dieſes freilich ſo viel friſcher und von Morgen-
luft bewegt, waren ihre Blüthe-Perioden.
§. 925.
Der eigentlich didaktiſchen Poeſie gehen mit dem Charakter ungeſchie-
dener Urſprünglichkeit in Epos und Drama Erzeugniſſe voran, welche den
Lehrgehalt als religiöſe Thatſache ausſprechen. In ausgebildeter Geſtalt ſchließt
ſie ſich an die epiſche Dichtung als Beiſpiel, Parabel, Fabel und be-
ſchreibendes Gedicht. Die naivſte unter dieſen Formen, verwandt mit
dem Thier-Epos, iſt die Fabel. Zu der lyriſchen Dichtung geſellt ſich die
lehrende Ballade und Romanze, das Spruchgedicht oder die Gnome,
Sprichwort, Näthſel, zu der dramatiſchen der lehrhafte Dialog und alle
die Formen, welche den Charakter pathetiſcher Monologe tragen. Daneben
breitet ſich ein unbeſtimmtes Gebiet aus, das bereits der proſaiſchen Abhand-
lung verwandt iſt und ſeinen Zuſammenhang mit der Poeſie nur durch Schil-
derungen des Naturſchönen rettet, durch die es mehr oder minder dem beſchrei-
benden Gedichte ſich nähert: das eigentliche Lehrgedicht.
1. Wir haben die Theogonie und das urſprüngliche religiöſe
Epos, das vor der Ausbildung der Kunſtpoeſie liegt, nicht in der Lehre
von der epiſchen Dichtung, die gottesdienſtlichen Acte, aus
denen das griechiſche Drama hervorgieng, die Myſterien des
Mittelalters und die religiöſen Dramen der Spanier, die zwar der Kunſt-
poeſie angehören, aber doch von jenen naiven Anfängen ſich ableiten, nicht
in der Lehre von der dramatiſchen Dichtung als bleibende Arten aufgeführt.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/326>, abgerufen am 16.02.2025.
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