Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.
ist. Vielmehr im Drama gerade geht das tendenziös rhetorische Pathos und §. 849. Aus dem Verhältnisse der Prinzipien der directen und indirecten Ideali- Es muß hier nachdrücklich auf §. 676 verwiesen werden, wo das
iſt. Vielmehr im Drama gerade geht das tendenziös rhetoriſche Pathos und §. 849. Aus dem Verhältniſſe der Prinzipien der directen und indirecten Ideali- Es muß hier nachdrücklich auf §. 676 verwieſen werden, wo das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0075" n="1211"/> iſt. Vielmehr im Drama gerade geht das tendenziös rhetoriſche Pathos und<lb/> neben ihm die ſtoffartige Schwere des Hiſtoriſchen recht im Schwange. Dabei<lb/> bemerkt man doch auch, abgeſehen von dem pathetiſchen Peroriren hinter der<lb/> Maske, ein im engeren Sinne merkliches Selbſtſprechen des Dichters, und<lb/> dieß in allen Gattungen, auch im Luſtſpiel: es werden Entwicklungen von<lb/> Sachlagen, namentlich Expoſitionen im Anfang, Auseinanderſetzungen der<lb/> Stimmungen, Leidenſchaften gegeben, denen man augenblicklich anſieht,<lb/> daß die dramatiſche Perſon eigentlich nicht mit den andern auf der Bühne,<lb/> noch mit ſich ſelbſt, ſondern mit den Zuhörern ſpricht, alſo eigentlich der<lb/> Dichter. Das iſt zugleich ein Rückfall in die Kindheit des Drama, wo<lb/> Einer herauskam und dem Publikum direct erzählte, er ſei bös, zornig,<lb/> dieß und das verhalte ſich ſo und ſo. Auch die zu umſtändlichen Anwei-<lb/> ſungen für das Spiel beweiſen, daß dem Dichter das proſaiſche Wiſſen<lb/> um die Execution und das Publikum über die Schulter ſieht.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 849.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Aus dem Verhältniſſe der Prinzipien der directen und indirecten Ideali-<lb/> ſirung (§. 844) geht auch in der Poeſie ein Gegenſatz zweier Stylrichtungen<lb/> hervor. Die eine behandelt im Geiſte der Plaſtik die innere und äußere Welt<lb/> allgemeiner, einfacher, ungebrochener und regelmäßiger, die andere, dem ächt<lb/> maleriſchen Verfahren entſprechend, verfolgt eine buntere Welt in die tieferen<lb/> Brüche des Bewußtſeins und der Erſcheinung, in die härteren Bedingungen des<lb/> Daſeins und in die ſchärfſte Eigenheit der Individualität und ſchreitet bis zu<lb/> den kühnſten Verbindungen des Ernſten und Komiſchen fort. Jene wird, ver-<lb/> möge gegründeter Uebertragung des Geſchichtlichen auf einen bleibenden Unter-<lb/> ſchied, vorzüglich in der Poeſie die claſſiſche genannt (vergl. §. 438). In keiner<lb/> andern Kunſt iſt Kampf und Wechſelwirkung beider Style ſo durchgreifend und<lb/> befruchtend, wie in dieſer.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Es muß hier nachdrücklich auf §. 676 verwieſen werden, wo das<lb/> Weſen und die ganze Bedeutung der zwei entgegengeſetzten Style für die<lb/> Malerei auseinandergeſetzt iſt. Zwiſchen dieſer und der Poeſie beſteht, wie<lb/> ſich aus allem Bisherigen ergibt, die tiefſte Verwandtſchaft auch hierin, in<lb/> der letzteren behauptet jedoch (vergl. §. 844) das Prinzip der directen Ide-<lb/> aliſirung neben dem entgegengeſetzten, das entſchieden zur Herrſchaft gelangt<lb/> iſt, ſein Recht in ſtärkerem Maaße fort, daher es in der Geſchichte dieſer<lb/> Kunſt, in der Periode, deren Geiſt der plaſtiſche war, eine vollkommen<lb/> reife, den Bedingungen dieſes Kunſtgebiets rein entſprechende Poeſie ge-<lb/> geben hat, eine Poeſie, die auf dem Standpunct ihres Ideals ſo ganz<lb/> und aus Einem muſterhaften Guſſe war, daß von ihr der Name des<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1211/0075]
iſt. Vielmehr im Drama gerade geht das tendenziös rhetoriſche Pathos und
neben ihm die ſtoffartige Schwere des Hiſtoriſchen recht im Schwange. Dabei
bemerkt man doch auch, abgeſehen von dem pathetiſchen Peroriren hinter der
Maske, ein im engeren Sinne merkliches Selbſtſprechen des Dichters, und
dieß in allen Gattungen, auch im Luſtſpiel: es werden Entwicklungen von
Sachlagen, namentlich Expoſitionen im Anfang, Auseinanderſetzungen der
Stimmungen, Leidenſchaften gegeben, denen man augenblicklich anſieht,
daß die dramatiſche Perſon eigentlich nicht mit den andern auf der Bühne,
noch mit ſich ſelbſt, ſondern mit den Zuhörern ſpricht, alſo eigentlich der
Dichter. Das iſt zugleich ein Rückfall in die Kindheit des Drama, wo
Einer herauskam und dem Publikum direct erzählte, er ſei bös, zornig,
dieß und das verhalte ſich ſo und ſo. Auch die zu umſtändlichen Anwei-
ſungen für das Spiel beweiſen, daß dem Dichter das proſaiſche Wiſſen
um die Execution und das Publikum über die Schulter ſieht.
§. 849.
Aus dem Verhältniſſe der Prinzipien der directen und indirecten Ideali-
ſirung (§. 844) geht auch in der Poeſie ein Gegenſatz zweier Stylrichtungen
hervor. Die eine behandelt im Geiſte der Plaſtik die innere und äußere Welt
allgemeiner, einfacher, ungebrochener und regelmäßiger, die andere, dem ächt
maleriſchen Verfahren entſprechend, verfolgt eine buntere Welt in die tieferen
Brüche des Bewußtſeins und der Erſcheinung, in die härteren Bedingungen des
Daſeins und in die ſchärfſte Eigenheit der Individualität und ſchreitet bis zu
den kühnſten Verbindungen des Ernſten und Komiſchen fort. Jene wird, ver-
möge gegründeter Uebertragung des Geſchichtlichen auf einen bleibenden Unter-
ſchied, vorzüglich in der Poeſie die claſſiſche genannt (vergl. §. 438). In keiner
andern Kunſt iſt Kampf und Wechſelwirkung beider Style ſo durchgreifend und
befruchtend, wie in dieſer.
Es muß hier nachdrücklich auf §. 676 verwieſen werden, wo das
Weſen und die ganze Bedeutung der zwei entgegengeſetzten Style für die
Malerei auseinandergeſetzt iſt. Zwiſchen dieſer und der Poeſie beſteht, wie
ſich aus allem Bisherigen ergibt, die tiefſte Verwandtſchaft auch hierin, in
der letzteren behauptet jedoch (vergl. §. 844) das Prinzip der directen Ide-
aliſirung neben dem entgegengeſetzten, das entſchieden zur Herrſchaft gelangt
iſt, ſein Recht in ſtärkerem Maaße fort, daher es in der Geſchichte dieſer
Kunſt, in der Periode, deren Geiſt der plaſtiſche war, eine vollkommen
reife, den Bedingungen dieſes Kunſtgebiets rein entſprechende Poeſie ge-
geben hat, eine Poeſie, die auf dem Standpunct ihres Ideals ſo ganz
und aus Einem muſterhaften Guſſe war, daß von ihr der Name des
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