in den sog. Moralitäten, welche mit der größten Keckheit jeden moralischen Begriff als dramatische Person einzuführen pflegten. Es war dieß freilich, da es ohne mythischen Glauben geschah, zunächst Allegorie; allein die dramatische Aufführung gab dem persönlichen Bild etwas Ueberzeugendes, die Geläufigkeit etwas Haltbares und es durfte nur die Zauberkraft des Genius dazu kommen, so sprang statt der Allegorie ein Wesen hervor, das wenigstens im Augenblicke der poetischen Anschauung wahres Leben hat, kein Gott, aber etwas wie eine Geister-Erscheinung. So zur Kühnheit gewöhnt und durch die entsprechende Gewohnheit seines Publikums gehalten konnte Shakespeare es wagen, sogar die Luft einen ungebundenen Wüstling, den Wind einen Buhler, das Gelächter einen Geck zu nennen, das Mitleid als nacktes Kind auf Wolken einherfahren zu lassen, den Ariel anzureden: mein schöner kleiner Fleiß (als ob der Fleiß ein persönlicher Geist und dieser Ariel wäre) und -- wunderbar schön -- von der Zeit zu sagen: der alte Glöckner, der kahle Küster. Es sind dieß nicht eigentlich Metaphern, der Dichter vergleicht nicht, er beseelt den Begriff in sich und aus sich zur Person. Doch werden wir sehen, daß in der Metapher, die das Vergleichen verschweigt, mehr oder weniger von solcher Innigkeit des immanenten Be- seelens liegt.
Zu diesem Gipfel der belebenden Veranschaulichung, der Personification, dringen nun die Formen des poetischen Ausdrucks, und zwar eben auch die bisher betrachteten einfacheren, überhaupt mit aller Gewalt hin. Es handelt sich jetzt nicht mehr blos von abstracten Begriffen, auch das Sinnliche, jede Erscheinung, die kein oder für sich kein besonderes Leben hat, wird so be- handelt, daß ein eigener Geist in sie zu fahren scheint. Da Brutus Dolch den Cäsar durchbohrt, folgt ihm das Blut, als stürzt' es vor die Thür', um zu erfahren, ob wirklich Brutus so unfreundlich klopfte; dieß ist wie eine Vergleichung ausgedrückt, wir dürfen aber das kühne Bild von der Erörterung des Gleichnisses und der Metapher getrennt betrachten, weil es so schlagartig wirkt, daß das Blut eine fühlende Seele für sich zu haben scheint. Wenn bei Homer die Lanze hastig stürmt, wenn der Pfeil mit Begierde fliegt, im Fleische zu schwelgen, so ist dieß ebenfalls solche un- mittelbare Beseelung. Die Alten sind auch hierin nicht weniger kühn, als ein Shakespeare; Erz, Helm, Feuer, Fackel, Licht, Tag, Wolke, Pflanze, selbst der glänzende Tisch haben Augen, die Felskluft ist hohläugig, ja sogar das nur Hörbare, der Ruf der Stimme heißt bei Sophokles fern- sehend oder ferngesehen (vergl. Hense a. a. O.) Das ist durchaus nicht ein mühsames Herbeiziehen, sondern ein sehr phantasiereiches Schauen, wie die frische Einbildungskraft des Kindes in Allem Gesichter sieht, und daraus erwächst eine allgemeine Belebung der Natur.
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in den ſog. Moralitäten, welche mit der größten Keckheit jeden moraliſchen Begriff als dramatiſche Perſon einzuführen pflegten. Es war dieß freilich, da es ohne mythiſchen Glauben geſchah, zunächſt Allegorie; allein die dramatiſche Aufführung gab dem perſönlichen Bild etwas Ueberzeugendes, die Geläufigkeit etwas Haltbares und es durfte nur die Zauberkraft des Genius dazu kommen, ſo ſprang ſtatt der Allegorie ein Weſen hervor, das wenigſtens im Augenblicke der poetiſchen Anſchauung wahres Leben hat, kein Gott, aber etwas wie eine Geiſter-Erſcheinung. So zur Kühnheit gewöhnt und durch die entſprechende Gewohnheit ſeines Publikums gehalten konnte Shakespeare es wagen, ſogar die Luft einen ungebundenen Wüſtling, den Wind einen Buhler, das Gelächter einen Geck zu nennen, das Mitleid als nacktes Kind auf Wolken einherfahren zu laſſen, den Ariel anzureden: mein ſchöner kleiner Fleiß (als ob der Fleiß ein perſönlicher Geiſt und dieſer Ariel wäre) und — wunderbar ſchön — von der Zeit zu ſagen: der alte Glöckner, der kahle Küſter. Es ſind dieß nicht eigentlich Metaphern, der Dichter vergleicht nicht, er beſeelt den Begriff in ſich und aus ſich zur Perſon. Doch werden wir ſehen, daß in der Metapher, die das Vergleichen verſchweigt, mehr oder weniger von ſolcher Innigkeit des immanenten Be- ſeelens liegt.
Zu dieſem Gipfel der belebenden Veranſchaulichung, der Perſonification, dringen nun die Formen des poetiſchen Ausdrucks, und zwar eben auch die bisher betrachteten einfacheren, überhaupt mit aller Gewalt hin. Es handelt ſich jetzt nicht mehr blos von abſtracten Begriffen, auch das Sinnliche, jede Erſcheinung, die kein oder für ſich kein beſonderes Leben hat, wird ſo be- handelt, daß ein eigener Geiſt in ſie zu fahren ſcheint. Da Brutus Dolch den Cäſar durchbohrt, folgt ihm das Blut, als ſtürzt’ es vor die Thür’, um zu erfahren, ob wirklich Brutus ſo unfreundlich klopfte; dieß iſt wie eine Vergleichung ausgedrückt, wir dürfen aber das kühne Bild von der Erörterung des Gleichniſſes und der Metapher getrennt betrachten, weil es ſo ſchlagartig wirkt, daß das Blut eine fühlende Seele für ſich zu haben ſcheint. Wenn bei Homer die Lanze haſtig ſtürmt, wenn der Pfeil mit Begierde fliegt, im Fleiſche zu ſchwelgen, ſo iſt dieß ebenfalls ſolche un- mittelbare Beſeelung. Die Alten ſind auch hierin nicht weniger kühn, als ein Shakespeare; Erz, Helm, Feuer, Fackel, Licht, Tag, Wolke, Pflanze, ſelbſt der glänzende Tiſch haben Augen, die Felskluft iſt hohläugig, ja ſogar das nur Hörbare, der Ruf der Stimme heißt bei Sophokles fern- ſehend oder ferngeſehen (vergl. Henſe a. a. O.) Das iſt durchaus nicht ein mühſames Herbeiziehen, ſondern ein ſehr phantaſiereiches Schauen, wie die friſche Einbildungskraft des Kindes in Allem Geſichter ſieht, und daraus erwächst eine allgemeine Belebung der Natur.
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in den ſog. Moralitäten, welche mit der größten Keckheit jeden moraliſchen
Begriff als dramatiſche Perſon einzuführen pflegten. Es war dieß freilich,
da es ohne mythiſchen Glauben geſchah, zunächſt Allegorie; allein die
dramatiſche Aufführung gab dem perſönlichen Bild etwas Ueberzeugendes,
die Geläufigkeit etwas Haltbares und es durfte nur die Zauberkraft des
Genius dazu kommen, ſo ſprang ſtatt der Allegorie ein Weſen hervor, das
wenigſtens im Augenblicke der poetiſchen Anſchauung wahres Leben hat,
kein Gott, aber etwas wie eine Geiſter-Erſcheinung. So zur Kühnheit
gewöhnt und durch die entſprechende Gewohnheit ſeines Publikums gehalten
konnte Shakespeare es wagen, ſogar die Luft einen ungebundenen Wüſtling,
den Wind einen Buhler, das Gelächter einen Geck zu nennen, das Mitleid
als nacktes Kind auf Wolken einherfahren zu laſſen, den Ariel anzureden:
mein ſchöner kleiner Fleiß (als ob der Fleiß ein perſönlicher Geiſt und dieſer
Ariel wäre) und — wunderbar ſchön — von der Zeit zu ſagen: der alte
Glöckner, der kahle Küſter. Es ſind dieß nicht eigentlich Metaphern, der
Dichter vergleicht nicht, er beſeelt den Begriff in ſich und aus ſich zur
Perſon. Doch werden wir ſehen, daß in der Metapher, die das Vergleichen
verſchweigt, mehr oder weniger von ſolcher Innigkeit des immanenten Be-
ſeelens liegt.
Zu dieſem Gipfel der belebenden Veranſchaulichung, der Perſonification,
dringen nun die Formen des poetiſchen Ausdrucks, und zwar eben auch die
bisher betrachteten einfacheren, überhaupt mit aller Gewalt hin. Es handelt
ſich jetzt nicht mehr blos von abſtracten Begriffen, auch das Sinnliche, jede
Erſcheinung, die kein oder für ſich kein beſonderes Leben hat, wird ſo be-
handelt, daß ein eigener Geiſt in ſie zu fahren ſcheint. Da Brutus Dolch
den Cäſar durchbohrt, folgt ihm das Blut, als ſtürzt’ es vor die Thür’,
um zu erfahren, ob wirklich Brutus ſo unfreundlich klopfte; dieß iſt wie
eine Vergleichung ausgedrückt, wir dürfen aber das kühne Bild von der
Erörterung des Gleichniſſes und der Metapher getrennt betrachten, weil es
ſo ſchlagartig wirkt, daß das Blut eine fühlende Seele für ſich zu haben
ſcheint. Wenn bei Homer die Lanze haſtig ſtürmt, wenn der Pfeil mit
Begierde fliegt, im Fleiſche zu ſchwelgen, ſo iſt dieß ebenfalls ſolche un-
mittelbare Beſeelung. Die Alten ſind auch hierin nicht weniger kühn, als
ein Shakespeare; Erz, Helm, Feuer, Fackel, Licht, Tag, Wolke, Pflanze,
ſelbſt der glänzende Tiſch haben Augen, die Felskluft iſt hohläugig, ja
ſogar das nur Hörbare, der Ruf der Stimme heißt bei Sophokles fern-
ſehend oder ferngeſehen (vergl. Henſe a. a. O.) Das iſt durchaus nicht
ein mühſames Herbeiziehen, ſondern ein ſehr phantaſiereiches Schauen,
wie die friſche Einbildungskraft des Kindes in Allem Geſichter ſieht, und
daraus erwächst eine allgemeine Belebung der Natur.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/89>, abgerufen am 16.02.2025.
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