zu bemerken, wie erbärmlich die Uebersetzer verflachen: ,Widerwärt'ger!' Salt sagt Shakespeare: salzig; o, Shakespeare ist konkret, nie abstrakt allgemein! o, der kennt es! -- Nun meinen die seichten Köpfe, das sei bloß Vorwand von Othello, um herauszubringen, ob Desdemona das Schnupftuch noch habe. Schnupftuch! Handkerchief! Worüber die gemeinen Seelen noch lachen! Als ob Shakespeare nicht leicht sonst ein Tuch hätte setzen können, wenn nicht tiefere Absicht gerade dieß verlangt hätte! Meint man denn, eine Wuth, eine That wie des Othello sei aus moralischer Ver¬ finsterung allein zu erklären? Nimmermehr! Der Schauspieler, der sich ganz in die Tiefe des Dichter¬ geistes versetzt, wird schon im zweiten Akte bei der Ankunft auf Cypern durch eine gewisse Dumpfheit, eine nasale Färbung des Tons fein andeuten, daß sich Othello auf der stürmischen Seefahrt bedenklich verkältet hat; nun erwäge man, daß es ihm, schon angeschnupft, wie er ist, unmöglich gut sein kann, daß er bei dem nächtlichen Skandal auf der Wache schnell das Bett verlassen muß; der darstellende Künstler wird also vom dritten Akt an die Symptome etwas steigern, etwa auch durch Auftragung von etwas Roth auf dem Nasenzipfel -- (hier fühlte A. E. nachdenklich an seinen eigenen) -- oder, als Mohr, -- von etwas Dunkelblau -- oder Grün? -- er wird beim ersten Ausbruch von Heftigkeit gegen Desdemona durch
Vischer, Auch Einer. I. 7
zu bemerken, wie erbärmlich die Ueberſetzer verflachen: ‚Widerwärt'ger!‘ Salt ſagt Shakeſpeare: ſalzig; o, Shakeſpeare iſt konkret, nie abſtrakt allgemein! o, der kennt es! — Nun meinen die ſeichten Köpfe, das ſei bloß Vorwand von Othello, um herauszubringen, ob Desdemona das Schnupftuch noch habe. Schnupftuch! Handkerchief! Worüber die gemeinen Seelen noch lachen! Als ob Shakeſpeare nicht leicht ſonſt ein Tuch hätte ſetzen können, wenn nicht tiefere Abſicht gerade dieß verlangt hätte! Meint man denn, eine Wuth, eine That wie des Othello ſei aus moraliſcher Ver¬ finſterung allein zu erklären? Nimmermehr! Der Schauſpieler, der ſich ganz in die Tiefe des Dichter¬ geiſtes verſetzt, wird ſchon im zweiten Akte bei der Ankunft auf Cypern durch eine gewiſſe Dumpfheit, eine naſale Färbung des Tons fein andeuten, daß ſich Othello auf der ſtürmiſchen Seefahrt bedenklich verkältet hat; nun erwäge man, daß es ihm, ſchon angeſchnupft, wie er iſt, unmöglich gut ſein kann, daß er bei dem nächtlichen Skandal auf der Wache ſchnell das Bett verlaſſen muß; der darſtellende Künſtler wird alſo vom dritten Akt an die Symptome etwas ſteigern, etwa auch durch Auftragung von etwas Roth auf dem Naſenzipfel — (hier fühlte A. E. nachdenklich an ſeinen eigenen) — oder, als Mohr, — von etwas Dunkelblau — oder Grün? — er wird beim erſten Ausbruch von Heftigkeit gegen Desdemona durch
Viſcher, Auch Einer. I. 7
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zu bemerken, wie erbärmlich die Ueberſetzer verflachen:
‚Widerwärt'ger!‘ Salt ſagt Shakeſpeare: ſalzig;
o, Shakeſpeare iſt konkret, nie abſtrakt allgemein! o, der
kennt es! — Nun meinen die ſeichten Köpfe, das ſei
bloß Vorwand von Othello, um herauszubringen, ob
Desdemona das Schnupftuch noch habe. Schnupftuch!
Handkerchief! Worüber die gemeinen Seelen noch
lachen! Als ob Shakeſpeare nicht leicht ſonſt ein Tuch
hätte ſetzen können, wenn nicht tiefere Abſicht gerade
dieß verlangt hätte! Meint man denn, eine Wuth,
eine That wie des Othello ſei aus moraliſcher Ver¬
finſterung allein zu erklären? Nimmermehr! Der
Schauſpieler, der ſich ganz in die Tiefe des Dichter¬
geiſtes verſetzt, wird ſchon im zweiten Akte bei der
Ankunft auf Cypern durch eine gewiſſe Dumpfheit,
eine naſale Färbung des Tons fein andeuten, daß ſich
Othello auf der ſtürmiſchen Seefahrt bedenklich verkältet
hat; nun erwäge man, daß es ihm, ſchon angeſchnupft,
wie er iſt, unmöglich gut ſein kann, daß er bei dem
nächtlichen Skandal auf der Wache ſchnell das Bett
verlaſſen muß; der darſtellende Künſtler wird alſo vom
dritten Akt an die Symptome etwas ſteigern, etwa
auch durch Auftragung von etwas Roth auf dem
Naſenzipfel — (hier fühlte A. E. nachdenklich an
ſeinen eigenen) — oder, als Mohr, — von etwas
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/110>, abgerufen am 23.12.2024.
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