wollte nirgends recht Platz finden: auch A. E., wie ich wohl bemerkt hatte, war schon lang von ihm belästigt. Was kann gleichgültiger, nennensunwerther sein? Aber -- auf unbewußten Stufen vorbereitet -- sprang plötzlich ein Etwas in mir empor, eine gewisse Art von zweitem Gesicht, oder wie soll ich es nennen? Der Krug war mir kein Krug mehr, sondern ein be¬ seeltes, unverschämtes Wesen, ein Geisterlümmel oder Lümmelgeist; seine Schnauze war ein unverschämtes Maul, der erhöhte zinnerne Deckel ein freches Gesicht, der Griff ein trotzig eingestemmter Arm, dieses Wesen kroch von Stelle zu Stelle immer dahin, wo es für uns unbequem stand. Und das Schlimmste war, daß ich über diesen unseligen neuen Sinn, der mir ange¬ hext war, nicht einmal erschrack, wie gestern über die andern bedenklichen Symptome, sondern ganz mit mir eins, ganz sicher war und voll Begierde, das un¬ zweifelhaft schuldvolle Wesen nach Recht und Gerechtig¬ keit zu behandeln: ein Beweis, daß der Prozeß der Ansteckung sich gänzlich in mir vollzogen hatte. Ich fuhr auf, ergriff den Sünder, stürzte an's Fenster, rieß es auf, -- aber schnell fiel A. E. mir in den Arm: "Noch nicht, mein Lieber! Ich weiß schon, daß Sie schöne Fortschritte gemacht haben in der Bildung, aber es ist noch nicht ganz reif, vielleicht sogar noch etwas Schmeichelei dahinter. Warten Sie! Wenn es Zeit, werde ich das Zeichen geben!"
wollte nirgends recht Platz finden: auch A. E., wie ich wohl bemerkt hatte, war ſchon lang von ihm beläſtigt. Was kann gleichgültiger, nennensunwerther ſein? Aber — auf unbewußten Stufen vorbereitet — ſprang plötzlich ein Etwas in mir empor, eine gewiſſe Art von zweitem Geſicht, oder wie ſoll ich es nennen? Der Krug war mir kein Krug mehr, ſondern ein be¬ ſeeltes, unverſchämtes Weſen, ein Geiſterlümmel oder Lümmelgeiſt; ſeine Schnauze war ein unverſchämtes Maul, der erhöhte zinnerne Deckel ein freches Geſicht, der Griff ein trotzig eingeſtemmter Arm, dieſes Weſen kroch von Stelle zu Stelle immer dahin, wo es für uns unbequem ſtand. Und das Schlimmſte war, daß ich über dieſen unſeligen neuen Sinn, der mir ange¬ hext war, nicht einmal erſchrack, wie geſtern über die andern bedenklichen Symptome, ſondern ganz mit mir eins, ganz ſicher war und voll Begierde, das un¬ zweifelhaft ſchuldvolle Weſen nach Recht und Gerechtig¬ keit zu behandeln: ein Beweis, daß der Prozeß der Anſteckung ſich gänzlich in mir vollzogen hatte. Ich fuhr auf, ergriff den Sünder, ſtürzte an's Fenſter, rieß es auf, — aber ſchnell fiel A. E. mir in den Arm: „Noch nicht, mein Lieber! Ich weiß ſchon, daß Sie ſchöne Fortſchritte gemacht haben in der Bildung, aber es iſt noch nicht ganz reif, vielleicht ſogar noch etwas Schmeichelei dahinter. Warten Sie! Wenn es Zeit, werde ich das Zeichen geben!“
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wollte nirgends recht Platz finden: auch A. E., wie ich
wohl bemerkt hatte, war ſchon lang von ihm beläſtigt.
Was kann gleichgültiger, nennensunwerther ſein?
Aber — auf unbewußten Stufen vorbereitet — ſprang
plötzlich ein Etwas in mir empor, eine gewiſſe Art
von zweitem Geſicht, oder wie ſoll ich es nennen?
Der Krug war mir kein Krug mehr, ſondern ein be¬
ſeeltes, unverſchämtes Weſen, ein Geiſterlümmel oder
Lümmelgeiſt; ſeine Schnauze war ein unverſchämtes
Maul, der erhöhte zinnerne Deckel ein freches Geſicht,
der Griff ein trotzig eingeſtemmter Arm, dieſes Weſen
kroch von Stelle zu Stelle immer dahin, wo es für
uns unbequem ſtand. Und das Schlimmſte war, daß
ich über dieſen unſeligen neuen Sinn, der mir ange¬
hext war, nicht einmal erſchrack, wie geſtern über die
andern bedenklichen Symptome, ſondern ganz mit mir
eins, ganz ſicher war und voll Begierde, das un¬
zweifelhaft ſchuldvolle Weſen nach Recht und Gerechtig¬
keit zu behandeln: ein Beweis, daß der Prozeß der
Anſteckung ſich gänzlich in mir vollzogen hatte. Ich
fuhr auf, ergriff den Sünder, ſtürzte an's Fenſter,
rieß es auf, — aber ſchnell fiel A. E. mir in den
Arm: „Noch nicht, mein Lieber! Ich weiß ſchon, daß
Sie ſchöne Fortſchritte gemacht haben in der Bildung,
aber es iſt noch nicht ganz reif, vielleicht ſogar noch
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/117>, abgerufen am 22.12.2024.
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