"Fa niente," rief er jetzt, schloß sie in die Arme und drückte der Ueberraschten, die kaum sich sträubte, einen feurigen Kuß auf die Lippen. Der Wirth sah verwundert, halb ärgerlich, halb lachend zu dieser Szene, ließ jedoch geschehen. Man konnte ihm auf dem Gesichte lesen, daß in seinem Gemüthe zwei Mächte sich eine ordentliche Schlacht lieferten: das Ge¬ fühl der Zweckwidrigkeit des erst Vorgefallenen, der Unmuth über so verkehrtes Handeln und über die jetzige Dreistigkeit auf der einen und auf der andern Seite der Respekt vor Fremden, die sich eine so großartige Verschwendung erlaubten, und die Lust am Spaße, den eine Szene, wie die letzte, denn doch jedem Zu¬ schauer bereiten mußte. A. E. wandte sich jetzt mit der Geberde eines Mannes, dem etwas Vergessenes einfällt, plötzlich zu ihm, nahm ihn beiseite, fragte ihn leise etwas, die Antwort des Wirths, der seine Stimme zum Flüstern nicht gebildet hatte, verrieth,
„Cornelia.“
„Siete da Perugia?“
„No, Signore.“
„Da Assisi?“
„No, Signore.“
„Da Arezzo?“
„No, Signore.“
„No, Signore. Io sono da Bellinzona.“
„Fa niente,“ rief er jetzt, ſchloß ſie in die Arme und drückte der Ueberraſchten, die kaum ſich ſträubte, einen feurigen Kuß auf die Lippen. Der Wirth ſah verwundert, halb ärgerlich, halb lachend zu dieſer Szene, ließ jedoch geſchehen. Man konnte ihm auf dem Geſichte leſen, daß in ſeinem Gemüthe zwei Mächte ſich eine ordentliche Schlacht lieferten: das Ge¬ fühl der Zweckwidrigkeit des erſt Vorgefallenen, der Unmuth über ſo verkehrtes Handeln und über die jetzige Dreiſtigkeit auf der einen und auf der andern Seite der Reſpekt vor Fremden, die ſich eine ſo großartige Verſchwendung erlaubten, und die Luſt am Spaße, den eine Szene, wie die letzte, denn doch jedem Zu¬ ſchauer bereiten mußte. A. E. wandte ſich jetzt mit der Geberde eines Mannes, dem etwas Vergeſſenes einfällt, plötzlich zu ihm, nahm ihn beiſeite, fragte ihn leiſe etwas, die Antwort des Wirths, der ſeine Stimme zum Flüſtern nicht gebildet hatte, verrieth,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0132"n="119"/><p>„<hirendition="#aq">Cornelia</hi>.“</p><lb/><p>„<hirendition="#aq">Siete da Perugia</hi>?“</p><lb/><p>„<hirendition="#aq">No, Signore</hi>.“</p><lb/><p>„<hirendition="#aq">Da Assisi</hi>?“</p><lb/><p>„<hirendition="#aq">No</hi>, <hirendition="#aq">Signore</hi>.“</p><lb/><p>„<hirendition="#aq">Da Arezzo</hi>?“</p><lb/><p>„<hirendition="#aq">No, Signore</hi>.“</p><lb/><p>„<hirendition="#aq">No, Signore</hi>. <hirendition="#aq">Io sono da Bellinzona</hi>.“</p><lb/><p>„<hirendition="#aq">Fa niente</hi>,“ rief er jetzt, ſchloß ſie in die Arme<lb/>
und drückte der Ueberraſchten, die kaum ſich ſträubte,<lb/>
einen feurigen Kuß auf die Lippen. Der Wirth ſah<lb/>
verwundert, halb ärgerlich, halb lachend zu dieſer<lb/>
Szene, ließ jedoch geſchehen. Man konnte ihm auf<lb/>
dem Geſichte leſen, daß in ſeinem Gemüthe zwei<lb/>
Mächte ſich eine ordentliche Schlacht lieferten: das Ge¬<lb/>
fühl der Zweckwidrigkeit des erſt Vorgefallenen, der<lb/>
Unmuth über ſo verkehrtes Handeln und über die jetzige<lb/>
Dreiſtigkeit auf der einen und auf der andern Seite<lb/>
der Reſpekt vor Fremden, die ſich eine ſo großartige<lb/>
Verſchwendung erlaubten, und die Luſt am Spaße,<lb/>
den eine Szene, wie die letzte, denn doch jedem Zu¬<lb/>ſchauer bereiten mußte. A. E. wandte ſich jetzt mit<lb/>
der Geberde eines Mannes, dem etwas Vergeſſenes<lb/>
einfällt, plötzlich zu ihm, nahm ihn beiſeite, fragte<lb/>
ihn leiſe etwas, die Antwort des Wirths, der ſeine<lb/>
Stimme zum Flüſtern nicht gebildet hatte, verrieth,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[119/0132]
„Cornelia.“
„Siete da Perugia?“
„No, Signore.“
„Da Assisi?“
„No, Signore.“
„Da Arezzo?“
„No, Signore.“
„No, Signore. Io sono da Bellinzona.“
„Fa niente,“ rief er jetzt, ſchloß ſie in die Arme
und drückte der Ueberraſchten, die kaum ſich ſträubte,
einen feurigen Kuß auf die Lippen. Der Wirth ſah
verwundert, halb ärgerlich, halb lachend zu dieſer
Szene, ließ jedoch geſchehen. Man konnte ihm auf
dem Geſichte leſen, daß in ſeinem Gemüthe zwei
Mächte ſich eine ordentliche Schlacht lieferten: das Ge¬
fühl der Zweckwidrigkeit des erſt Vorgefallenen, der
Unmuth über ſo verkehrtes Handeln und über die jetzige
Dreiſtigkeit auf der einen und auf der andern Seite
der Reſpekt vor Fremden, die ſich eine ſo großartige
Verſchwendung erlaubten, und die Luſt am Spaße,
den eine Szene, wie die letzte, denn doch jedem Zu¬
ſchauer bereiten mußte. A. E. wandte ſich jetzt mit
der Geberde eines Mannes, dem etwas Vergeſſenes
einfällt, plötzlich zu ihm, nahm ihn beiſeite, fragte
ihn leiſe etwas, die Antwort des Wirths, der ſeine
Stimme zum Flüſtern nicht gebildet hatte, verrieth,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/132>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.