des Dorfes, das sich über dem Spiegel des Sees Robanus, wenige Meilen entfernt von der größeren Wassergemeinde Turit, erhebt. Er heißt Odgal und ist augenblicklich abwesend; einige hundert Schritte entfernt sitzt er in einem Einbaum auf dem Wasser und ist mit seinen Fischernetzen beschäftigt. Dem Ge¬ mach aber fehlt es nicht an einem lebendigen Schmuck. Eine rüstige, rothbackige Dirne, von munteren Kindern umgeben, hantirt mit einem schweren runden Stein auf einer größeren Steinplatte, auf welche sie einen Haufen von Waizenkörnern geschüttet hat: sie mahlt. Die Arbeit ist nicht leicht, schwerlich würde auch eine starke Bauerntochter unserer Zeit die Last des Korn¬ quetschers so leicht heben, so geschickt und leicht hand¬ haben, und wir bewundern dabei ein paar prächtige Arme, die aus den aufgestreiften Aermeln des ein¬ fachen Bastkleids ebenso wohlgebildet als muskulös hervorglänzen. Etwas Sonderbares erblicken wir frei¬ lich auf dem linken Oberarm: ein seltsames Bild, das ebensowohl einen Kuhkopf, als einen Halbmond vor¬ stellen kann, ist hier mit blauer Farbe eingeritzt und längst mit der Haut verwachsen. Niemand jedoch wird sagen, daß es den schönen Arm entstellt! es sieht eben aus, als hätten die blauen Aederchen, die diese schimmernd klare Haut durchrieseln, den Ein¬ fall gehabt, sich gelegentlich zu einer Art von Ver¬ zierung zu gestalten. Also lassen wir uns die täto¬
des Dorfes, das ſich über dem Spiegel des Sees Robanus, wenige Meilen entfernt von der größeren Waſſergemeinde Turit, erhebt. Er heißt Odgal und iſt augenblicklich abweſend; einige hundert Schritte entfernt ſitzt er in einem Einbaum auf dem Waſſer und iſt mit ſeinen Fiſchernetzen beſchäftigt. Dem Ge¬ mach aber fehlt es nicht an einem lebendigen Schmuck. Eine rüſtige, rothbackige Dirne, von munteren Kindern umgeben, hantirt mit einem ſchweren runden Stein auf einer größeren Steinplatte, auf welche ſie einen Haufen von Waizenkörnern geſchüttet hat: ſie mahlt. Die Arbeit iſt nicht leicht, ſchwerlich würde auch eine ſtarke Bauerntochter unſerer Zeit die Laſt des Korn¬ quetſchers ſo leicht heben, ſo geſchickt und leicht hand¬ haben, und wir bewundern dabei ein paar prächtige Arme, die aus den aufgeſtreiften Aermeln des ein¬ fachen Baſtkleids ebenſo wohlgebildet als muskulös hervorglänzen. Etwas Sonderbares erblicken wir frei¬ lich auf dem linken Oberarm: ein ſeltſames Bild, das ebenſowohl einen Kuhkopf, als einen Halbmond vor¬ ſtellen kann, iſt hier mit blauer Farbe eingeritzt und längſt mit der Haut verwachſen. Niemand jedoch wird ſagen, daß es den ſchönen Arm entſtellt! es ſieht eben aus, als hätten die blauen Aederchen, die dieſe ſchimmernd klare Haut durchrieſeln, den Ein¬ fall gehabt, ſich gelegentlich zu einer Art von Ver¬ zierung zu geſtalten. Alſo laſſen wir uns die täto¬
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des Dorfes, das ſich über dem Spiegel des Sees
Robanus, wenige Meilen entfernt von der größeren
Waſſergemeinde Turit, erhebt. Er heißt Odgal und
iſt augenblicklich abweſend; einige hundert Schritte
entfernt ſitzt er in einem Einbaum auf dem Waſſer
und iſt mit ſeinen Fiſchernetzen beſchäftigt. Dem Ge¬
mach aber fehlt es nicht an einem lebendigen Schmuck.
Eine rüſtige, rothbackige Dirne, von munteren Kindern
umgeben, hantirt mit einem ſchweren runden Stein
auf einer größeren Steinplatte, auf welche ſie einen
Haufen von Waizenkörnern geſchüttet hat: ſie mahlt.
Die Arbeit iſt nicht leicht, ſchwerlich würde auch eine
ſtarke Bauerntochter unſerer Zeit die Laſt des Korn¬
quetſchers ſo leicht heben, ſo geſchickt und leicht hand¬
haben, und wir bewundern dabei ein paar prächtige
Arme, die aus den aufgeſtreiften Aermeln des ein¬
fachen Baſtkleids ebenſo wohlgebildet als muskulös
hervorglänzen. Etwas Sonderbares erblicken wir frei¬
lich auf dem linken Oberarm: ein ſeltſames Bild, das
ebenſowohl einen Kuhkopf, als einen Halbmond vor¬
ſtellen kann, iſt hier mit blauer Farbe eingeritzt und
längſt mit der Haut verwachſen. Niemand jedoch
wird ſagen, daß es den ſchönen Arm entſtellt! es
ſieht eben aus, als hätten die blauen Aederchen, die
dieſe ſchimmernd klare Haut durchrieſeln, den Ein¬
fall gehabt, ſich gelegentlich zu einer Art von Ver¬
zierung zu geſtalten. Alſo laſſen wir uns die täto¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/141>, abgerufen am 22.12.2024.
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