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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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wirte Schöne gefallen und sehen uns weiter um in
diesem Raume. Drei Kinder, ein Knabe und zwei
Mädchen, treiben ihr Spiel mit einem Eichhörnchen;
das kleinere ist seit einem Jahr erst aus den Windeln
und erfreut sich jetzt zugleich seiner Freiheit; neben
ihm liegt ein Ding, etwas wie ein eigenthümliches
Zaumgebilde, am Boden: es ist der Halfter, womit
der arme Wurm an einem Pfosten festgebunden wird,
wenn die Fallthüre offen ist, die wir jetzt niederge¬
lassen sehen; sie deckt eine Oeffnung, die sich ein¬
fach über dem Seespiegel befindet und ursprünglich
zum Fischfang bestimmt war. Man ließ durch sie
einen Korb in's Wasser hinab und durfte sicher
sein, daß er zappelnde Beute mitbrachte, wenn man
ihn nach einiger Zeit aufzog. Seit die Gemeinde stark
über zweihundert Bürger zählt, ist der See so er¬
giebig nicht mehr, die Oeffnungen aber sind geblieben,
eine Treppe führt hier in's Wasser, um schneller
zum Kahn zu gelangen, als durch die spärlichen und
engen Durchgänge zwischen den Häusern, die man mit
wenig Recht Gassen zu nennen beliebt, und über die
einzige Brücke des Dorfes. Einen eigenthümlichen
Gegensatz zu den Erscheinungen der blühenden Kinder
und der schönen, rüstigen Jungfrau bildet eine un¬
heimliche Alte, runzlich, von gelber Farbe, die grauen
Haare hängen ihr fast ungeordnet über die Stirne;
sie sitzt in einer Ecke und spinnt. Dazu singt sie

Vischer, Auch Einer. I 9

wirte Schöne gefallen und ſehen uns weiter um in
dieſem Raume. Drei Kinder, ein Knabe und zwei
Mädchen, treiben ihr Spiel mit einem Eichhörnchen;
das kleinere iſt ſeit einem Jahr erſt aus den Windeln
und erfreut ſich jetzt zugleich ſeiner Freiheit; neben
ihm liegt ein Ding, etwas wie ein eigenthümliches
Zaumgebilde, am Boden: es iſt der Halfter, womit
der arme Wurm an einem Pfoſten feſtgebunden wird,
wenn die Fallthüre offen iſt, die wir jetzt niederge¬
laſſen ſehen; ſie deckt eine Oeffnung, die ſich ein¬
fach über dem Seeſpiegel befindet und urſprünglich
zum Fiſchfang beſtimmt war. Man ließ durch ſie
einen Korb in's Waſſer hinab und durfte ſicher
ſein, daß er zappelnde Beute mitbrachte, wenn man
ihn nach einiger Zeit aufzog. Seit die Gemeinde ſtark
über zweihundert Bürger zählt, iſt der See ſo er¬
giebig nicht mehr, die Oeffnungen aber ſind geblieben,
eine Treppe führt hier in's Waſſer, um ſchneller
zum Kahn zu gelangen, als durch die ſpärlichen und
engen Durchgänge zwiſchen den Häuſern, die man mit
wenig Recht Gaſſen zu nennen beliebt, und über die
einzige Brücke des Dorfes. Einen eigenthümlichen
Gegenſatz zu den Erſcheinungen der blühenden Kinder
und der ſchönen, rüſtigen Jungfrau bildet eine un¬
heimliche Alte, runzlich, von gelber Farbe, die grauen
Haare hängen ihr faſt ungeordnet über die Stirne;
ſie ſitzt in einer Ecke und ſpinnt. Dazu ſingt ſie

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[129/0142] wirte Schöne gefallen und ſehen uns weiter um in dieſem Raume. Drei Kinder, ein Knabe und zwei Mädchen, treiben ihr Spiel mit einem Eichhörnchen; das kleinere iſt ſeit einem Jahr erſt aus den Windeln und erfreut ſich jetzt zugleich ſeiner Freiheit; neben ihm liegt ein Ding, etwas wie ein eigenthümliches Zaumgebilde, am Boden: es iſt der Halfter, womit der arme Wurm an einem Pfoſten feſtgebunden wird, wenn die Fallthüre offen iſt, die wir jetzt niederge¬ laſſen ſehen; ſie deckt eine Oeffnung, die ſich ein¬ fach über dem Seeſpiegel befindet und urſprünglich zum Fiſchfang beſtimmt war. Man ließ durch ſie einen Korb in's Waſſer hinab und durfte ſicher ſein, daß er zappelnde Beute mitbrachte, wenn man ihn nach einiger Zeit aufzog. Seit die Gemeinde ſtark über zweihundert Bürger zählt, iſt der See ſo er¬ giebig nicht mehr, die Oeffnungen aber ſind geblieben, eine Treppe führt hier in's Waſſer, um ſchneller zum Kahn zu gelangen, als durch die ſpärlichen und engen Durchgänge zwiſchen den Häuſern, die man mit wenig Recht Gaſſen zu nennen beliebt, und über die einzige Brücke des Dorfes. Einen eigenthümlichen Gegenſatz zu den Erſcheinungen der blühenden Kinder und der ſchönen, rüſtigen Jungfrau bildet eine un¬ heimliche Alte, runzlich, von gelber Farbe, die grauen Haare hängen ihr faſt ungeordnet über die Stirne; ſie ſitzt in einer Ecke und ſpinnt. Dazu ſingt ſie Viſcher, Auch Einer. I 9

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/142>, abgerufen am 24.05.2024.