Sigune saß nachdenklich, die Halsschnur in der Hand wiegend. Es war eben so eine Sache. Alpin war ihr lieb, aber -- Man wußte damals noch nichts von Ideal und Bauernmädchen pflegen heute noch nichts davon zu wissen, sonst würden wir sagen: es schwebte ihr eben ein anderes Ideal vor. Sie hatte dem guten Alpin noch nie bestimmten Anlaß zur Eifer¬ sucht gegeben, aber so viel neckische Bosheit war aller¬ dings in ihr, daß sie ihn oft genug in ihre Gedanken hineinsehen ließ, und diese lauteten: schlank, behend, schwarzbraun, blitzende dunkle Augen, Kraushaar, hübscher Schnurrbart, wo möglich an den Spitzen in die Höhe gestrichen, überhaupt keck, flott, jägerartig. Alpin aber war stämmig, langsam, hatte Augen, die wir als hellblau schon kennen und die gewöhnlich sanft und nachdenklich blickten, glattes Flachshaar und -- was ihm besonders im Wege stand und allerdings ihm selbst auch Kummer machte: der Schnurrbart wollte, obwohl es längst, längst Zeit war, nicht recht kommen, sondern beharrte darauf, dem dünn bewachsenen Korn¬ feld nach langer Trockenheit gleich zu sehen. Man hörte jetzt unten einen Kahn anfahren, anlegen, der Vater kam zurück, brachte in einem Schaff seinen Fang, einen fetten Karpfen und ein Prachtexemplar der Forelle-verwandten Asche nebst einigem Volke niedri¬ geren Schlags; Sigune halte nicht Zeit, ihren Gedanken nachzuhängen, Odgal mochte sich den Karpfen heut
Sigune ſaß nachdenklich, die Halsſchnur in der Hand wiegend. Es war eben ſo eine Sache. Alpin war ihr lieb, aber — Man wußte damals noch nichts von Ideal und Bauernmädchen pflegen heute noch nichts davon zu wiſſen, ſonſt würden wir ſagen: es ſchwebte ihr eben ein anderes Ideal vor. Sie hatte dem guten Alpin noch nie beſtimmten Anlaß zur Eifer¬ ſucht gegeben, aber ſo viel neckiſche Bosheit war aller¬ dings in ihr, daß ſie ihn oft genug in ihre Gedanken hineinſehen ließ, und dieſe lauteten: ſchlank, behend, ſchwarzbraun, blitzende dunkle Augen, Kraushaar, hübſcher Schnurrbart, wo möglich an den Spitzen in die Höhe geſtrichen, überhaupt keck, flott, jägerartig. Alpin aber war ſtämmig, langſam, hatte Augen, die wir als hellblau ſchon kennen und die gewöhnlich ſanft und nachdenklich blickten, glattes Flachshaar und — was ihm beſonders im Wege ſtand und allerdings ihm ſelbſt auch Kummer machte: der Schnurrbart wollte, obwohl es längſt, längſt Zeit war, nicht recht kommen, ſondern beharrte darauf, dem dünn bewachſenen Korn¬ feld nach langer Trockenheit gleich zu ſehen. Man hörte jetzt unten einen Kahn anfahren, anlegen, der Vater kam zurück, brachte in einem Schaff ſeinen Fang, einen fetten Karpfen und ein Prachtexemplar der Forelle-verwandten Aſche nebſt einigem Volke niedri¬ geren Schlags; Sigune halte nicht Zeit, ihren Gedanken nachzuhängen, Odgal mochte ſich den Karpfen heut
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0152"n="139"/><p>Sigune ſaß nachdenklich, die Halsſchnur in der<lb/>
Hand wiegend. Es war eben ſo eine Sache. Alpin<lb/>
war ihr lieb, aber — Man wußte damals noch nichts<lb/>
von Ideal und Bauernmädchen pflegen heute noch<lb/>
nichts davon zu wiſſen, ſonſt würden wir ſagen: es<lb/>ſchwebte ihr eben ein anderes Ideal vor. Sie hatte<lb/>
dem guten Alpin noch nie beſtimmten Anlaß zur Eifer¬<lb/>ſucht gegeben, aber ſo viel neckiſche Bosheit war aller¬<lb/>
dings in ihr, daß ſie ihn oft genug in ihre Gedanken<lb/>
hineinſehen ließ, und dieſe lauteten: ſchlank, behend,<lb/>ſchwarzbraun, blitzende dunkle Augen, Kraushaar,<lb/>
hübſcher Schnurrbart, wo möglich an den Spitzen in<lb/>
die Höhe geſtrichen, überhaupt keck, flott, jägerartig.<lb/>
Alpin aber war ſtämmig, langſam, hatte Augen, die<lb/>
wir als hellblau ſchon kennen und die gewöhnlich ſanft<lb/>
und nachdenklich blickten, glattes Flachshaar und —<lb/>
was ihm beſonders im Wege ſtand und allerdings ihm<lb/>ſelbſt auch Kummer machte: der Schnurrbart wollte,<lb/>
obwohl es längſt, längſt Zeit war, nicht recht kommen,<lb/>ſondern beharrte darauf, dem dünn bewachſenen Korn¬<lb/>
feld nach langer Trockenheit gleich zu ſehen. Man<lb/>
hörte jetzt unten einen Kahn anfahren, anlegen, der<lb/>
Vater kam zurück, brachte in einem Schaff ſeinen<lb/>
Fang, einen fetten Karpfen und ein Prachtexemplar<lb/>
der Forelle-verwandten Aſche nebſt einigem Volke niedri¬<lb/>
geren Schlags; Sigune halte nicht Zeit, ihren Gedanken<lb/>
nachzuhängen, Odgal mochte ſich den Karpfen heut<lb/></p></div></body></text></TEI>
[139/0152]
Sigune ſaß nachdenklich, die Halsſchnur in der
Hand wiegend. Es war eben ſo eine Sache. Alpin
war ihr lieb, aber — Man wußte damals noch nichts
von Ideal und Bauernmädchen pflegen heute noch
nichts davon zu wiſſen, ſonſt würden wir ſagen: es
ſchwebte ihr eben ein anderes Ideal vor. Sie hatte
dem guten Alpin noch nie beſtimmten Anlaß zur Eifer¬
ſucht gegeben, aber ſo viel neckiſche Bosheit war aller¬
dings in ihr, daß ſie ihn oft genug in ihre Gedanken
hineinſehen ließ, und dieſe lauteten: ſchlank, behend,
ſchwarzbraun, blitzende dunkle Augen, Kraushaar,
hübſcher Schnurrbart, wo möglich an den Spitzen in
die Höhe geſtrichen, überhaupt keck, flott, jägerartig.
Alpin aber war ſtämmig, langſam, hatte Augen, die
wir als hellblau ſchon kennen und die gewöhnlich ſanft
und nachdenklich blickten, glattes Flachshaar und —
was ihm beſonders im Wege ſtand und allerdings ihm
ſelbſt auch Kummer machte: der Schnurrbart wollte,
obwohl es längſt, längſt Zeit war, nicht recht kommen,
ſondern beharrte darauf, dem dünn bewachſenen Korn¬
feld nach langer Trockenheit gleich zu ſehen. Man
hörte jetzt unten einen Kahn anfahren, anlegen, der
Vater kam zurück, brachte in einem Schaff ſeinen
Fang, einen fetten Karpfen und ein Prachtexemplar
der Forelle-verwandten Aſche nebſt einigem Volke niedri¬
geren Schlags; Sigune halte nicht Zeit, ihren Gedanken
nachzuhängen, Odgal mochte ſich den Karpfen heut
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/152>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.