schien nachgerade doch zu bedenken, daß hier kein Un¬ recht geschehen war.
"Auf Wiedersehen!" sagte Alpin, freilich in einem dumpfen Tone, der nichts Gutes versprach, wandte sich und gieng hinweg. Er schritt der Brücke zu, erst jenseits derselben fiel ihm sein Ryno wieder ein, er that einen schrillen Pfiff, nach kurzer Zeit erschien das treue Thier, keuchend, pudelnaß, ganz erschöpft, wollte am wiedergefundenen Herrn hinaufspringen und mußte, elend zugerichtet, am Nacken blutend, von dem Ver¬ suche abstehen. "Armes Thier!" er sagte das mit wenig fester Stimme und es war ihm, als käme ihm die Nässe aus dem zottigen Fell in die Augen. Lang¬ sam zog er mit dem matten Begleiter hinaus seiner Heerde zu; als er sie erreicht hatte, war sein Erstes, eine Kuh zu melken und die Wunde des Thieres mit warmer Milch zu waschen, dann mit welkem Moos sein Fell zu trocknen; als dieß geschehen, legte er es wie ein krankes Kind auf ein Rehfell und nun -- dachte er an sich. An wen? An den armen, ver¬ lassenen, verrathenen Alpin. Er schliech weg ins Dunkel eines Gehölzes, warf sich in's hohe Gras, wälzte sich links und rechts, wie glühende Nadeln arbeitete es in ihm, ein Schweiß brach ihm aus, er fuhr in Wuth empor, warf sich wieder zu Boden, betrachtete sich selbst, wie er so hingestreckt lag, und zu neuer Qual tauchte jetzt plötzlich das Erinnern einer Wahrnehmung in
ſchien nachgerade doch zu bedenken, daß hier kein Un¬ recht geſchehen war.
„Auf Wiederſehen!“ ſagte Alpin, freilich in einem dumpfen Tone, der nichts Gutes verſprach, wandte ſich und gieng hinweg. Er ſchritt der Brücke zu, erſt jenſeits derſelben fiel ihm ſein Ryno wieder ein, er that einen ſchrillen Pfiff, nach kurzer Zeit erſchien das treue Thier, keuchend, pudelnaß, ganz erſchöpft, wollte am wiedergefundenen Herrn hinaufſpringen und mußte, elend zugerichtet, am Nacken blutend, von dem Ver¬ ſuche abſtehen. „Armes Thier!“ er ſagte das mit wenig feſter Stimme und es war ihm, als käme ihm die Näſſe aus dem zottigen Fell in die Augen. Lang¬ ſam zog er mit dem matten Begleiter hinaus ſeiner Heerde zu; als er ſie erreicht hatte, war ſein Erſtes, eine Kuh zu melken und die Wunde des Thieres mit warmer Milch zu waſchen, dann mit welkem Moos ſein Fell zu trocknen; als dieß geſchehen, legte er es wie ein krankes Kind auf ein Rehfell und nun — dachte er an ſich. An wen? An den armen, ver¬ laſſenen, verrathenen Alpin. Er ſchliech weg ins Dunkel eines Gehölzes, warf ſich in's hohe Gras, wälzte ſich links und rechts, wie glühende Nadeln arbeitete es in ihm, ein Schweiß brach ihm aus, er fuhr in Wuth empor, warf ſich wieder zu Boden, betrachtete ſich ſelbſt, wie er ſo hingeſtreckt lag, und zu neuer Qual tauchte jetzt plötzlich das Erinnern einer Wahrnehmung in
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ſchien nachgerade doch zu bedenken, daß hier kein Un¬
recht geſchehen war.
„Auf Wiederſehen!“ ſagte Alpin, freilich in einem
dumpfen Tone, der nichts Gutes verſprach, wandte
ſich und gieng hinweg. Er ſchritt der Brücke zu, erſt
jenſeits derſelben fiel ihm ſein Ryno wieder ein, er
that einen ſchrillen Pfiff, nach kurzer Zeit erſchien das
treue Thier, keuchend, pudelnaß, ganz erſchöpft, wollte
am wiedergefundenen Herrn hinaufſpringen und mußte,
elend zugerichtet, am Nacken blutend, von dem Ver¬
ſuche abſtehen. „Armes Thier!“ er ſagte das mit
wenig feſter Stimme und es war ihm, als käme ihm
die Näſſe aus dem zottigen Fell in die Augen. Lang¬
ſam zog er mit dem matten Begleiter hinaus ſeiner
Heerde zu; als er ſie erreicht hatte, war ſein Erſtes,
eine Kuh zu melken und die Wunde des Thieres mit
warmer Milch zu waſchen, dann mit welkem Moos
ſein Fell zu trocknen; als dieß geſchehen, legte er es
wie ein krankes Kind auf ein Rehfell und nun —
dachte er an ſich. An wen? An den armen, ver¬
laſſenen, verrathenen Alpin. Er ſchliech weg ins Dunkel
eines Gehölzes, warf ſich in's hohe Gras, wälzte ſich
links und rechts, wie glühende Nadeln arbeitete es in
ihm, ein Schweiß brach ihm aus, er fuhr in Wuth
empor, warf ſich wieder zu Boden, betrachtete ſich
ſelbſt, wie er ſo hingeſtreckt lag, und zu neuer Qual
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/183>, abgerufen am 22.12.2024.
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