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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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Niemand deine Abwesenheit bemerken, und Nachts
hole ich dich ab und bringe dich fort." Rasch über¬
schlug er sich das Weitere. Wohin den gefährdeten
Gast zunächst bringen? Am besten nach Turik; denn
bei dem Stande der Dinge in der großen Wasser¬
gemeinde, wie wir ihn schon kennen, war schwerlich zu
erwarten, daß es der Druide versuchen werde, ihn dort
mit einer Anklage zu belangen. Wie aber auf dem
Wege bis dahin vor etwaiger Verfolgung sichern? Es
galt, ihn auf Richtpfaden zu führen. Auf einem Theil
des Weges konnte er diesen Dienst selbst übernehmen,
aber er durfte nicht zu lang abwesend sein. Er ge¬
dachte eines treuen, zuverlässigen Freundes auf dem
nahen Gripinsee, seine Hütte war die nächste am Ufer;
zu diesem wollte er ihn am Aaflüßchen hin, das sich
in den Robanussee ergießt, selber begleiten; er sollte
den Flüchtling noch in derselben Nacht über den See
setzen; alle nur Hirten bekannten Wege, die von da
durch Dick und Dünn nach Turik führten, waren dem
Manne bekannt und Alpin durfte vertrauen, daß der
längst Bewährte, durch manche Dienste und Gegen¬
dienste verbundene sich gerne bereit finden werde, seinen
Schützling auf diesen geheimen Pfaden sicher zum
Ziele zu geleiten. Den Tag über mußte er den theuern
Neugewonnenen leider allein lassen, man durfte ihn
im Dorfe nicht vermissen, die Bezwingung des Wisents
konnte nicht lang geheim bleiben, eine Fabel mußte

Niemand deine Abweſenheit bemerken, und Nachts
hole ich dich ab und bringe dich fort.“ Raſch über¬
ſchlug er ſich das Weitere. Wohin den gefährdeten
Gaſt zunächſt bringen? Am beſten nach Turik; denn
bei dem Stande der Dinge in der großen Waſſer¬
gemeinde, wie wir ihn ſchon kennen, war ſchwerlich zu
erwarten, daß es der Druide verſuchen werde, ihn dort
mit einer Anklage zu belangen. Wie aber auf dem
Wege bis dahin vor etwaiger Verfolgung ſichern? Es
galt, ihn auf Richtpfaden zu führen. Auf einem Theil
des Weges konnte er dieſen Dienſt ſelbſt übernehmen,
aber er durfte nicht zu lang abweſend ſein. Er ge¬
dachte eines treuen, zuverläſſigen Freundes auf dem
nahen Gripinſee, ſeine Hütte war die nächſte am Ufer;
zu dieſem wollte er ihn am Aaflüßchen hin, das ſich
in den Robanusſee ergießt, ſelber begleiten; er ſollte
den Flüchtling noch in derſelben Nacht über den See
ſetzen; alle nur Hirten bekannten Wege, die von da
durch Dick und Dünn nach Turik führten, waren dem
Manne bekannt und Alpin durfte vertrauen, daß der
längſt Bewährte, durch manche Dienſte und Gegen¬
dienſte verbundene ſich gerne bereit finden werde, ſeinen
Schützling auf dieſen geheimen Pfaden ſicher zum
Ziele zu geleiten. Den Tag über mußte er den theuern
Neugewonnenen leider allein laſſen, man durfte ihn
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[243/0256] Niemand deine Abweſenheit bemerken, und Nachts hole ich dich ab und bringe dich fort.“ Raſch über¬ ſchlug er ſich das Weitere. Wohin den gefährdeten Gaſt zunächſt bringen? Am beſten nach Turik; denn bei dem Stande der Dinge in der großen Waſſer¬ gemeinde, wie wir ihn ſchon kennen, war ſchwerlich zu erwarten, daß es der Druide verſuchen werde, ihn dort mit einer Anklage zu belangen. Wie aber auf dem Wege bis dahin vor etwaiger Verfolgung ſichern? Es galt, ihn auf Richtpfaden zu führen. Auf einem Theil des Weges konnte er dieſen Dienſt ſelbſt übernehmen, aber er durfte nicht zu lang abweſend ſein. Er ge¬ dachte eines treuen, zuverläſſigen Freundes auf dem nahen Gripinſee, ſeine Hütte war die nächſte am Ufer; zu dieſem wollte er ihn am Aaflüßchen hin, das ſich in den Robanusſee ergießt, ſelber begleiten; er ſollte den Flüchtling noch in derſelben Nacht über den See ſetzen; alle nur Hirten bekannten Wege, die von da durch Dick und Dünn nach Turik führten, waren dem Manne bekannt und Alpin durfte vertrauen, daß der längſt Bewährte, durch manche Dienſte und Gegen¬ dienſte verbundene ſich gerne bereit finden werde, ſeinen Schützling auf dieſen geheimen Pfaden ſicher zum Ziele zu geleiten. Den Tag über mußte er den theuern Neugewonnenen leider allein laſſen, man durfte ihn im Dorfe nicht vermiſſen, die Bezwingung des Wiſents konnte nicht lang geheim bleiben, eine Fabel mußte

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/256>, abgerufen am 23.12.2024.