Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

eine Jagd -- ich werde jagen, nach Menschen jagen
und gejagt werden -- und --, glaub' mir, Alpin,
zur Liebe hab' ich keine Zeit mehr, auch wenn ich
wollte." Die Worte blieben unerläutert und waren
dem Sprecher vielleicht selbst nicht so klar, daß er die
Erklärung dazu hätte geben können. Und nun war
unter all' dem das übervolle Herz noch nicht dazu
gelangt, die Hauptsache, den Dank auszusprechen. Es
geschah erst, als man am Eingang der Höhle ange¬
langt war. Nur erwarte der Leser keinen stürmischen
Gefühlsauftritt. Daß auch Männer sich umarmen
und küssen können, war den Pfahlbewohnern noch rein
unbekannt; hätten sie sehen können, wie das betrieben
wurde zu den Zeiten Vaters Gleim und wie noch
heutiges Tags da und dort Männer sich abschmatzen:
man darf wohl annehmen, sie hätten sich mit Scham
und Schauer abgewendet. Arthur sagte einfach: "Ich
danke dir, dem Feind, mein Leben!" und begleitete
die Worte mit einem Druck der Rechten, worüber unser¬
einem das Blut aus den Fingern spritzen würde und
den nur eine Hand aushielt, die fähig war, einen
Wisent mit einem Horndolchstoß niederzustrecken.

Die Höhle war tief und weit und enthielt Neben¬
höhlen in sich, die aussahen, als hätte Menschenhand
nachgeholfen, sie zu Wohnungsstätten herzustellen.
Einzelne Thierknochen und Scherben lagen umher; es
gieng eine alte Sage, dort hätten einst Menschen ge¬

eine Jagd — ich werde jagen, nach Menſchen jagen
und gejagt werden — und —, glaub' mir, Alpin,
zur Liebe hab' ich keine Zeit mehr, auch wenn ich
wollte.“ Die Worte blieben unerläutert und waren
dem Sprecher vielleicht ſelbſt nicht ſo klar, daß er die
Erklärung dazu hätte geben können. Und nun war
unter all' dem das übervolle Herz noch nicht dazu
gelangt, die Hauptſache, den Dank auszuſprechen. Es
geſchah erſt, als man am Eingang der Höhle ange¬
langt war. Nur erwarte der Leſer keinen ſtürmiſchen
Gefühlsauftritt. Daß auch Männer ſich umarmen
und küſſen können, war den Pfahlbewohnern noch rein
unbekannt; hätten ſie ſehen können, wie das betrieben
wurde zu den Zeiten Vaters Gleim und wie noch
heutiges Tags da und dort Männer ſich abſchmatzen:
man darf wohl annehmen, ſie hätten ſich mit Scham
und Schauer abgewendet. Arthur ſagte einfach: „Ich
danke dir, dem Feind, mein Leben!“ und begleitete
die Worte mit einem Druck der Rechten, worüber unſer¬
einem das Blut aus den Fingern ſpritzen würde und
den nur eine Hand aushielt, die fähig war, einen
Wiſent mit einem Horndolchſtoß niederzuſtrecken.

Die Höhle war tief und weit und enthielt Neben¬
höhlen in ſich, die ausſahen, als hätte Menſchenhand
nachgeholfen, ſie zu Wohnungsſtätten herzuſtellen.
Einzelne Thierknochen und Scherben lagen umher; es
gieng eine alte Sage, dort hätten einſt Menſchen ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0260" n="247"/>
eine Jagd &#x2014; ich werde jagen, nach Men&#x017F;chen jagen<lb/>
und gejagt werden &#x2014; und &#x2014;, glaub' mir, Alpin,<lb/>
zur Liebe hab' ich keine Zeit mehr, auch wenn ich<lb/>
wollte.&#x201C; Die Worte blieben unerläutert und waren<lb/>
dem Sprecher vielleicht &#x017F;elb&#x017F;t nicht &#x017F;o klar, daß er die<lb/>
Erklärung dazu hätte geben können. Und nun war<lb/>
unter all' dem das übervolle Herz noch nicht dazu<lb/>
gelangt, die Haupt&#x017F;ache, den Dank auszu&#x017F;prechen. Es<lb/>
ge&#x017F;chah er&#x017F;t, als man am Eingang der Höhle ange¬<lb/>
langt war. Nur erwarte der Le&#x017F;er keinen &#x017F;türmi&#x017F;chen<lb/>
Gefühlsauftritt. Daß auch Männer &#x017F;ich umarmen<lb/>
und kü&#x017F;&#x017F;en können, war den Pfahlbewohnern noch rein<lb/>
unbekannt; hätten &#x017F;ie &#x017F;ehen können, wie das betrieben<lb/>
wurde zu den Zeiten Vaters Gleim und wie noch<lb/>
heutiges Tags da und dort Männer &#x017F;ich ab&#x017F;chmatzen:<lb/>
man darf wohl annehmen, &#x017F;ie hätten &#x017F;ich mit Scham<lb/>
und Schauer abgewendet. Arthur &#x017F;agte einfach: &#x201E;Ich<lb/>
danke dir, dem Feind, mein Leben!&#x201C; und begleitete<lb/>
die Worte mit einem Druck der Rechten, worüber un&#x017F;er¬<lb/>
einem das Blut aus den Fingern &#x017F;pritzen würde und<lb/>
den nur eine Hand aushielt, die fähig war, einen<lb/>
Wi&#x017F;ent mit einem Horndolch&#x017F;toß niederzu&#x017F;trecken.</p><lb/>
        <p>Die Höhle war tief und weit und enthielt Neben¬<lb/>
höhlen in &#x017F;ich, die aus&#x017F;ahen, als hätte Men&#x017F;chenhand<lb/>
nachgeholfen, &#x017F;ie zu Wohnungs&#x017F;tätten herzu&#x017F;tellen.<lb/>
Einzelne Thierknochen und Scherben lagen umher; es<lb/>
gieng eine alte Sage, dort hätten ein&#x017F;t Men&#x017F;chen ge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0260] eine Jagd — ich werde jagen, nach Menſchen jagen und gejagt werden — und —, glaub' mir, Alpin, zur Liebe hab' ich keine Zeit mehr, auch wenn ich wollte.“ Die Worte blieben unerläutert und waren dem Sprecher vielleicht ſelbſt nicht ſo klar, daß er die Erklärung dazu hätte geben können. Und nun war unter all' dem das übervolle Herz noch nicht dazu gelangt, die Hauptſache, den Dank auszuſprechen. Es geſchah erſt, als man am Eingang der Höhle ange¬ langt war. Nur erwarte der Leſer keinen ſtürmiſchen Gefühlsauftritt. Daß auch Männer ſich umarmen und küſſen können, war den Pfahlbewohnern noch rein unbekannt; hätten ſie ſehen können, wie das betrieben wurde zu den Zeiten Vaters Gleim und wie noch heutiges Tags da und dort Männer ſich abſchmatzen: man darf wohl annehmen, ſie hätten ſich mit Scham und Schauer abgewendet. Arthur ſagte einfach: „Ich danke dir, dem Feind, mein Leben!“ und begleitete die Worte mit einem Druck der Rechten, worüber unſer¬ einem das Blut aus den Fingern ſpritzen würde und den nur eine Hand aushielt, die fähig war, einen Wiſent mit einem Horndolchſtoß niederzuſtrecken. Die Höhle war tief und weit und enthielt Neben¬ höhlen in ſich, die ausſahen, als hätte Menſchenhand nachgeholfen, ſie zu Wohnungsſtätten herzuſtellen. Einzelne Thierknochen und Scherben lagen umher; es gieng eine alte Sage, dort hätten einſt Menſchen ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/260
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/260>, abgerufen am 23.12.2024.