Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

wohnt. -- "Langweilig wird's schon sein," sagte
Alpin. Arthur sah an der hohen, dunkelgrauen Wöl¬
bung hinauf; "ich bin gern allein," versetzte er dann.
"Da hast nun recht Zeit zum Brüten," meinte Alpin.
Arthur nickte lächelnd und striech ihm mit der Hand
über die blühende Wange. Eine dunkle Sorge kam
über Alpin, als man sich trennte, obwohl es für ihn
vorerst nicht auf lang war. Ungleich schwerer noch
lag es auf Sigunen. Wer weiß, wann im Leben man
sich wiedersehen wird? Ja wer weiß, ob? Es kamen
ihr Thränen. "Gieb ihm einen Kuß," sagte Alpin. Sie
reichte ihn, die gegenseitigen Lippen verweilten nicht
heiß, aber innig in sanfter Berührung. Man trennte
sich, der versöhnte Tyras sah wie fragend zu, als die
Beiden hinweggiengen.

Arm um Hüfte, Arm um Schulter geschlungen,
giengen Alpin und Sigune heimwärts durch den
Fichtenwald bis an die Lichtung des Eichenhains.
Jetzt erfuhr Alpin, wie die Dinge gekommen. Die
Herausforderung war aus Blick und dunklem Wort
leicht zu erschließen, Ort und Zeit blieben ihr ver¬
borgen. Was litt sie nun! Wie zerwühlte die Reue,
die Liebe, die Todesangst, die Höllenqual des Schuld¬
gefühls ihre Seele! Jetzt, jetzt fand sie Worte, und
doch weit, weit nicht genug Worte für die Ewigkeit
dieser fürchterlichen Stunde. Sie rennt im Dorf um,
sie fragt Alt und Jung, ob Niemand Alpin und

wohnt. — „Langweilig wird's ſchon ſein,“ ſagte
Alpin. Arthur ſah an der hohen, dunkelgrauen Wöl¬
bung hinauf; „ich bin gern allein,“ verſetzte er dann.
„Da haſt nun recht Zeit zum Brüten,“ meinte Alpin.
Arthur nickte lächelnd und ſtriech ihm mit der Hand
über die blühende Wange. Eine dunkle Sorge kam
über Alpin, als man ſich trennte, obwohl es für ihn
vorerſt nicht auf lang war. Ungleich ſchwerer noch
lag es auf Sigunen. Wer weiß, wann im Leben man
ſich wiederſehen wird? Ja wer weiß, ob? Es kamen
ihr Thränen. „Gieb ihm einen Kuß,“ ſagte Alpin. Sie
reichte ihn, die gegenſeitigen Lippen verweilten nicht
heiß, aber innig in ſanfter Berührung. Man trennte
ſich, der verſöhnte Tyras ſah wie fragend zu, als die
Beiden hinweggiengen.

Arm um Hüfte, Arm um Schulter geſchlungen,
giengen Alpin und Sigune heimwärts durch den
Fichtenwald bis an die Lichtung des Eichenhains.
Jetzt erfuhr Alpin, wie die Dinge gekommen. Die
Herausforderung war aus Blick und dunklem Wort
leicht zu erſchließen, Ort und Zeit blieben ihr ver¬
borgen. Was litt ſie nun! Wie zerwühlte die Reue,
die Liebe, die Todesangſt, die Höllenqual des Schuld¬
gefühls ihre Seele! Jetzt, jetzt fand ſie Worte, und
doch weit, weit nicht genug Worte für die Ewigkeit
dieſer fürchterlichen Stunde. Sie rennt im Dorf um,
ſie fragt Alt und Jung, ob Niemand Alpin und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0261" n="248"/>
wohnt. &#x2014; &#x201E;Langweilig wird's &#x017F;chon &#x017F;ein,&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
Alpin. Arthur &#x017F;ah an der hohen, dunkelgrauen Wöl¬<lb/>
bung hinauf; &#x201E;ich bin gern allein,&#x201C; ver&#x017F;etzte er dann.<lb/>
&#x201E;Da ha&#x017F;t nun recht Zeit zum Brüten,&#x201C; meinte Alpin.<lb/>
Arthur nickte lächelnd und &#x017F;triech ihm mit der Hand<lb/>
über die blühende Wange. Eine dunkle Sorge kam<lb/>
über Alpin, als man &#x017F;ich trennte, obwohl es für ihn<lb/>
vorer&#x017F;t nicht auf lang war. Ungleich &#x017F;chwerer noch<lb/>
lag es auf Sigunen. Wer weiß, wann im Leben man<lb/>
&#x017F;ich wieder&#x017F;ehen wird? Ja wer weiß, ob? Es kamen<lb/>
ihr Thränen. &#x201E;Gieb ihm einen Kuß,&#x201C; &#x017F;agte Alpin. Sie<lb/>
reichte ihn, die gegen&#x017F;eitigen Lippen verweilten nicht<lb/>
heiß, aber innig in &#x017F;anfter Berührung. Man trennte<lb/>
&#x017F;ich, der ver&#x017F;öhnte Tyras &#x017F;ah wie fragend zu, als die<lb/>
Beiden hinweggiengen.</p><lb/>
        <p>Arm um Hüfte, Arm um Schulter ge&#x017F;chlungen,<lb/>
giengen Alpin und Sigune heimwärts durch den<lb/>
Fichtenwald bis an die Lichtung des Eichenhains.<lb/>
Jetzt erfuhr Alpin, wie die Dinge gekommen. Die<lb/>
Herausforderung war aus Blick und dunklem Wort<lb/>
leicht zu er&#x017F;chließen, Ort und Zeit blieben ihr ver¬<lb/>
borgen. Was litt &#x017F;ie nun! Wie zerwühlte die Reue,<lb/>
die Liebe, die Todesang&#x017F;t, die Höllenqual des Schuld¬<lb/>
gefühls ihre Seele! Jetzt, jetzt fand &#x017F;ie Worte, und<lb/>
doch weit, weit nicht genug Worte für die Ewigkeit<lb/>
die&#x017F;er fürchterlichen Stunde. Sie rennt im Dorf um,<lb/>
&#x017F;ie fragt Alt und Jung, ob Niemand Alpin und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0261] wohnt. — „Langweilig wird's ſchon ſein,“ ſagte Alpin. Arthur ſah an der hohen, dunkelgrauen Wöl¬ bung hinauf; „ich bin gern allein,“ verſetzte er dann. „Da haſt nun recht Zeit zum Brüten,“ meinte Alpin. Arthur nickte lächelnd und ſtriech ihm mit der Hand über die blühende Wange. Eine dunkle Sorge kam über Alpin, als man ſich trennte, obwohl es für ihn vorerſt nicht auf lang war. Ungleich ſchwerer noch lag es auf Sigunen. Wer weiß, wann im Leben man ſich wiederſehen wird? Ja wer weiß, ob? Es kamen ihr Thränen. „Gieb ihm einen Kuß,“ ſagte Alpin. Sie reichte ihn, die gegenſeitigen Lippen verweilten nicht heiß, aber innig in ſanfter Berührung. Man trennte ſich, der verſöhnte Tyras ſah wie fragend zu, als die Beiden hinweggiengen. Arm um Hüfte, Arm um Schulter geſchlungen, giengen Alpin und Sigune heimwärts durch den Fichtenwald bis an die Lichtung des Eichenhains. Jetzt erfuhr Alpin, wie die Dinge gekommen. Die Herausforderung war aus Blick und dunklem Wort leicht zu erſchließen, Ort und Zeit blieben ihr ver¬ borgen. Was litt ſie nun! Wie zerwühlte die Reue, die Liebe, die Todesangſt, die Höllenqual des Schuld¬ gefühls ihre Seele! Jetzt, jetzt fand ſie Worte, und doch weit, weit nicht genug Worte für die Ewigkeit dieſer fürchterlichen Stunde. Sie rennt im Dorf um, ſie fragt Alt und Jung, ob Niemand Alpin und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/261
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/261>, abgerufen am 23.12.2024.