war unsichtbar, ganz, wiewohl ungern, Köchin für das große Bewirthungswerk, und den Leuten der Ge¬ meinde gegenüber durfte Alpin doch wenigstens nur ein Stück der Thatsache weglassen, brauchte kaum eigentlich zu lügen. So völlig hatte man nun aller¬ dings nicht bloß für die Barden Sinn und Ohr, daß man nicht mächtig aufgeschaut hätte bei der Kunde von der Erlegung des gefährlichen Wilds und daß sie nicht wie ein Lauffeuer sich verbreitete. Zwar der Genickstich war keine unbekannte Tödtungs¬ art, zufällige Erfahrung ersetzte die anatomische Kennt¬ niß, aber man wußte nicht anders, als daß so ge¬ waltige Thiere wie Ur und Wisent erst in Gruben gefangen, mit Stricken geknebelt sein müßten, ehe an der Stelle der langsamen Vernichtung ihres zähen Lebens durch Axtschläge und Speerstiche diese rasche Abschneidung seines Fadens durch eine ungewöhnlich starke Faust mit Nachhülfe eines Schlegels zum Ein¬ treiben des Horndolchs versucht werden könnte. Alpin wurde angestaunt; "da haben wir ja zum Voraus den Schützenkönig für morgen, so trifft doch Keiner in's Schwarze!" hieß es, denn der Morgen des ersehnten hohen Freudentags war dem jährlichen Schützenfeste bestimmt. Für Sigunen aber war der allgemeine Jubel kein kleiner Zuwachs zu dem innern, mit Angst um Arthur wunderbar verwobenen Jubel ihrer Seele; wohl kein Jäger, aber doch ein von der ganzen Ge¬
war unſichtbar, ganz, wiewohl ungern, Köchin für das große Bewirthungswerk, und den Leuten der Ge¬ meinde gegenüber durfte Alpin doch wenigſtens nur ein Stück der Thatſache weglaſſen, brauchte kaum eigentlich zu lügen. So völlig hatte man nun aller¬ dings nicht bloß für die Barden Sinn und Ohr, daß man nicht mächtig aufgeſchaut hätte bei der Kunde von der Erlegung des gefährlichen Wilds und daß ſie nicht wie ein Lauffeuer ſich verbreitete. Zwar der Genickſtich war keine unbekannte Tödtungs¬ art, zufällige Erfahrung erſetzte die anatomiſche Kennt¬ niß, aber man wußte nicht anders, als daß ſo ge¬ waltige Thiere wie Ur und Wiſent erſt in Gruben gefangen, mit Stricken geknebelt ſein müßten, ehe an der Stelle der langſamen Vernichtung ihres zähen Lebens durch Axtſchläge und Speerſtiche dieſe raſche Abſchneidung ſeines Fadens durch eine ungewöhnlich ſtarke Fauſt mit Nachhülfe eines Schlegels zum Ein¬ treiben des Horndolchs verſucht werden könnte. Alpin wurde angeſtaunt; „da haben wir ja zum Voraus den Schützenkönig für morgen, ſo trifft doch Keiner in's Schwarze!“ hieß es, denn der Morgen des erſehnten hohen Freudentags war dem jährlichen Schützenfeſte beſtimmt. Für Sigunen aber war der allgemeine Jubel kein kleiner Zuwachs zu dem innern, mit Angſt um Arthur wunderbar verwobenen Jubel ihrer Seele; wohl kein Jäger, aber doch ein von der ganzen Ge¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0263"n="250"/>
war unſichtbar, ganz, wiewohl ungern, Köchin für<lb/>
das große Bewirthungswerk, und den Leuten der Ge¬<lb/>
meinde gegenüber durfte Alpin doch wenigſtens nur<lb/>
ein Stück der Thatſache weglaſſen, brauchte kaum<lb/>
eigentlich zu lügen. So völlig hatte man nun aller¬<lb/>
dings nicht bloß für die Barden Sinn und Ohr,<lb/>
daß man nicht mächtig aufgeſchaut hätte bei der<lb/>
Kunde von der Erlegung des gefährlichen Wilds<lb/>
und daß ſie nicht wie ein Lauffeuer ſich verbreitete.<lb/>
Zwar der Genickſtich war keine unbekannte Tödtungs¬<lb/>
art, zufällige Erfahrung erſetzte die anatomiſche Kennt¬<lb/>
niß, aber man wußte nicht anders, als daß ſo ge¬<lb/>
waltige Thiere wie Ur und Wiſent erſt in Gruben<lb/>
gefangen, mit Stricken geknebelt ſein müßten, ehe an<lb/>
der Stelle der langſamen Vernichtung ihres zähen<lb/>
Lebens durch Axtſchläge und Speerſtiche dieſe raſche<lb/>
Abſchneidung ſeines Fadens durch eine ungewöhnlich<lb/>ſtarke Fauſt mit Nachhülfe eines Schlegels zum Ein¬<lb/>
treiben des Horndolchs verſucht werden könnte. Alpin<lb/>
wurde angeſtaunt; „da haben wir ja zum Voraus den<lb/>
Schützenkönig für morgen, ſo trifft doch Keiner in's<lb/>
Schwarze!“ hieß es, denn der Morgen des erſehnten<lb/>
hohen Freudentags war dem jährlichen Schützenfeſte<lb/>
beſtimmt. Für Sigunen aber war der allgemeine<lb/>
Jubel kein kleiner Zuwachs zu dem innern, mit Angſt<lb/>
um Arthur wunderbar verwobenen Jubel ihrer Seele;<lb/>
wohl kein Jäger, aber doch ein von der ganzen Ge¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[250/0263]
war unſichtbar, ganz, wiewohl ungern, Köchin für
das große Bewirthungswerk, und den Leuten der Ge¬
meinde gegenüber durfte Alpin doch wenigſtens nur
ein Stück der Thatſache weglaſſen, brauchte kaum
eigentlich zu lügen. So völlig hatte man nun aller¬
dings nicht bloß für die Barden Sinn und Ohr,
daß man nicht mächtig aufgeſchaut hätte bei der
Kunde von der Erlegung des gefährlichen Wilds
und daß ſie nicht wie ein Lauffeuer ſich verbreitete.
Zwar der Genickſtich war keine unbekannte Tödtungs¬
art, zufällige Erfahrung erſetzte die anatomiſche Kennt¬
niß, aber man wußte nicht anders, als daß ſo ge¬
waltige Thiere wie Ur und Wiſent erſt in Gruben
gefangen, mit Stricken geknebelt ſein müßten, ehe an
der Stelle der langſamen Vernichtung ihres zähen
Lebens durch Axtſchläge und Speerſtiche dieſe raſche
Abſchneidung ſeines Fadens durch eine ungewöhnlich
ſtarke Fauſt mit Nachhülfe eines Schlegels zum Ein¬
treiben des Horndolchs verſucht werden könnte. Alpin
wurde angeſtaunt; „da haben wir ja zum Voraus den
Schützenkönig für morgen, ſo trifft doch Keiner in's
Schwarze!“ hieß es, denn der Morgen des erſehnten
hohen Freudentags war dem jährlichen Schützenfeſte
beſtimmt. Für Sigunen aber war der allgemeine
Jubel kein kleiner Zuwachs zu dem innern, mit Angſt
um Arthur wunderbar verwobenen Jubel ihrer Seele;
wohl kein Jäger, aber doch ein von der ganzen Ge¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/263>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.