billig, daß die helle, jugendliche Dichtung den Reigen führe, daß sie in den Seelen den schönen Stimmungs¬ grund für die ernsten Wahrheiten lege, welche die Wissenschaft vorzutragen hat." Nach kurzem Wider¬ streben gegen die Ehre, die ihm der ältere Freund erwies, trat ein jugendlicher Mann vor und bestieg die Kanzel. Sie war vor dem Dolmen errichtet, ihre Brüstung mit Tannenreisern geschmückt, darin war eine Oeffnung gelassen für eine Harfe. Ein Diener trug das hochgebaute Instrument, die Telyn, hinauf und stellte sie zurecht. Mit feierlicher Verbeugung, die Hand auf die Brust gelegt, begrüßte der Dichter die Versammlung. Erwartungsvolles Flüstern gieng durch die Reihen. "Groß ist er nicht," sagte Bürger Porrex zum Nachbar Ferrex. "Aber sieh', was für ein edles Haupt," erwiderte dieser und hatte Recht, denn unter der klaren Stirne wölbten sich in feinem Bogen die Brauen über den lichtvollen dunklen Augen, die Adler¬ nase deutete auf Feuer und Schwung, und auf die süße Gabe des rhythmischen Wortes die wohlgeformten, nur leicht geschlossenen Lippen. "Und wie schön er den Kopf trägt," ergänzte Bürger Liwarch die beiden An¬ dern, denn ungesucht stolz aufrecht stand das bärtige Haupt auf dem schwungvoll gezeichneten Halse. Der Mond war jetzt über dem See aufgegangen und warf seinen ersten, noch matten Schein auf den Filea, den Sänger-Barden, Guffrud Kullur. Er griff einige
billig, daß die helle, jugendliche Dichtung den Reigen führe, daß ſie in den Seelen den ſchönen Stimmungs¬ grund für die ernſten Wahrheiten lege, welche die Wiſſenſchaft vorzutragen hat.“ Nach kurzem Wider¬ ſtreben gegen die Ehre, die ihm der ältere Freund erwies, trat ein jugendlicher Mann vor und beſtieg die Kanzel. Sie war vor dem Dolmen errichtet, ihre Brüſtung mit Tannenreiſern geſchmückt, darin war eine Oeffnung gelaſſen für eine Harfe. Ein Diener trug das hochgebaute Inſtrument, die Telyn, hinauf und ſtellte ſie zurecht. Mit feierlicher Verbeugung, die Hand auf die Bruſt gelegt, begrüßte der Dichter die Verſammlung. Erwartungsvolles Flüſtern gieng durch die Reihen. „Groß iſt er nicht,“ ſagte Bürger Porrex zum Nachbar Ferrex. „Aber ſieh', was für ein edles Haupt,“ erwiderte dieſer und hatte Recht, denn unter der klaren Stirne wölbten ſich in feinem Bogen die Brauen über den lichtvollen dunklen Augen, die Adler¬ naſe deutete auf Feuer und Schwung, und auf die ſüße Gabe des rhythmiſchen Wortes die wohlgeformten, nur leicht geſchloſſenen Lippen. „Und wie ſchön er den Kopf trägt,“ ergänzte Bürger Liwarch die beiden An¬ dern, denn ungeſucht ſtolz aufrecht ſtand das bärtige Haupt auf dem ſchwungvoll gezeichneten Halſe. Der Mond war jetzt über dem See aufgegangen und warf ſeinen erſten, noch matten Schein auf den Filea, den Sänger-Barden, Guffrud Kullur. Er griff einige
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billig, daß die helle, jugendliche Dichtung den Reigen
führe, daß ſie in den Seelen den ſchönen Stimmungs¬
grund für die ernſten Wahrheiten lege, welche die
Wiſſenſchaft vorzutragen hat.“ Nach kurzem Wider¬
ſtreben gegen die Ehre, die ihm der ältere Freund
erwies, trat ein jugendlicher Mann vor und beſtieg
die Kanzel. Sie war vor dem Dolmen errichtet, ihre
Brüſtung mit Tannenreiſern geſchmückt, darin war eine
Oeffnung gelaſſen für eine Harfe. Ein Diener trug
das hochgebaute Inſtrument, die Telyn, hinauf und
ſtellte ſie zurecht. Mit feierlicher Verbeugung, die
Hand auf die Bruſt gelegt, begrüßte der Dichter die
Verſammlung. Erwartungsvolles Flüſtern gieng durch
die Reihen. „Groß iſt er nicht,“ ſagte Bürger Porrex
zum Nachbar Ferrex. „Aber ſieh', was für ein edles
Haupt,“ erwiderte dieſer und hatte Recht, denn unter
der klaren Stirne wölbten ſich in feinem Bogen die
Brauen über den lichtvollen dunklen Augen, die Adler¬
naſe deutete auf Feuer und Schwung, und auf die
ſüße Gabe des rhythmiſchen Wortes die wohlgeformten,
nur leicht geſchloſſenen Lippen. „Und wie ſchön er den
Kopf trägt,“ ergänzte Bürger Liwarch die beiden An¬
dern, denn ungeſucht ſtolz aufrecht ſtand das bärtige
Haupt auf dem ſchwungvoll gezeichneten Halſe. Der
Mond war jetzt über dem See aufgegangen und warf
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/266>, abgerufen am 23.12.2024.
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